von Andrea Bottlinger
2008 rief der Heyne Verlag seinen Schreibwettbewerb aus, 2009 erschien der Gewinnerroman „Des Teufels Maskerade“. Nun hat es auch Platz fünf in die Buchläden geschafft und wird mit großen Klassikern verglichen. Kann der Roman diesen Vergleichen gerecht werden?
Ein Geheimnis in einer Spieluhr
Die 14-jährige Mina lebt in Schleswig-Holstein des frühen 20. Jahrhunderts. Auf dem Dachboden ihres Elternhauses hat sie eine zerbrochene Spieluhr gefunden, und darin ein Medaillon mit den Fotos zweier unbekannter Jungen. Jahrelang spielt sie damit, bis sie eines Tages ein Gespräch belauscht, in dem Doktor Rädin, ein Freund der Familie, ihr verträumtes Verhalten als bedenklich bezeichnet. Sie sei möglicherweise ebenso verrückt wie ihre Brüder.
Endlich weiß Mina, wer die Jungen auf den Fotos sind, und sie läuft von zu Hause fort, um sie zu suchen. Ein sprechender Kater und eine Zigeunerfamilie stehen ihr auf ihrer Reise bei, auf der sie viele phantastische Abenteuer erlebt.
Eine hübsche Geschichte
Minas Geschichte ist ein klassisches Märchen. Sie zieht durch die Welt, findet Freunde, trifft alle möglichen seltsamen Wesen und erhält von ihnen Aufgaben. So erklärt der Schlangenkönig ihr den Weg zu einem Schatz, an dessen Fundort sie ein verfluchtes Mädchen befreit, dessen Kette sie zu einem See bringen muss, wo sie mit einer Nixe redet, die sie wieder anderswo hinschickt. Beinahe wie in einem alten Computerspiel sammelt sie dabei Gegenstände, die irgendwann wichtig werden. Und ebenso wie in einem alten Computerspiel ist die Hinweiskette, der Mina folgt, nur schwer nachvollziehbar. Es gibt viele Dinge, die sie einfach ahnt oder weiß. Plötzliche Erkenntnisse sagen ihr, was zu tun ist, ohne dass man als Leser darauf hätte kommen können, und neue phantastische Hilfsmittel werden immer dann eingeführt, wenn es nicht mehr weiterzugehen scheint.
Irgendwann gibt man es auf, die Handlung mitdenken zu wollen, und lässt sich einfach von der blumigen Sprache der Autorin an den nächsten phantastischen Ort treiben. Auf diese Art gelesen ist „Der siebte Schwan“ durchaus eine hübsche Geschichte. Man kann mit Mina mitfühlen, die auf der Suche nach ihren Brüdern viele Opfer bringen muss, und sich nach und nach von einer behüteten Gutshaustochter in eine selbstbewusste junge Frau verwandelt. Auch die Zigeunerfamilie hat man schnell ins Herz geschlossen und liest mit Spannung die kleinen Geschichten, die einige der Familienmitglieder aus ihrem Leben erzählen.
Zuletzt sorgen die vielen, liebevollen Details dafür, dass „Der siebte Schwan“ trotz recht flachem Spannungsboden zu einem interessanten Leseerlebnis wird. Der Autorin gelingt es, in jedem Stück Natur und im einfachen Wanderleben etwas Phantastisches zu finden, das sie in einer sehr adjektivlastigen und vor Neuologismen strotzenden Sprache beschreibt, die sicherlich nicht jedermanns Sache ist.
Dieser Punkt gibt allerdings auch Anlass zur Kritik. Lilach Mer entwirft ein sehr romantisches Bild von Minas Umgebung und ihren Freunden. Schattenseiten gibt es nur dort, wo diese märchenhafte Welt mit einer modernen, wissenschaftlichen Denkweise in Konflikt gerät. Natur und Magie stehen gegen die Wissenschaft, und zwar in einer Art, die oft etwas sehr naiv und sehr schwarz-weiß-malerisch daherkommt. Doch wer sich daran nicht stört, der kann sich von der märchenhaften Atmosphäre des Romans verzaubern lassen.
Fazit: „Der siebte Schwan“ ist vor allem etwas für diejenigen Leser, die Bücher mit sehr märchenhafter Atmosphäre und einen blumigen Schreibstil mögen. Wer Wert auf Spannung, nachvollziehbare Wendungen und die kritische Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen legt, sollte besser die Finger von dem Roman lassen.
Der siebte Schwan
Fantasy-Roman
Lilach Mer
Heyne Verlag 2011
ISBN: 978-3-453-52749-2
556 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 14,00
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