von Ansgar Imme
Wie man bereits nach zwei Kompendien feststellen konnte, waren diese nicht so unverzichtbar, wie sie auf dem Buchdeckel angepriesen wurden. Sie lieferten immerhin den einen oder anderen Mehrwert für die Kampagne und ergänzten die Spielwelt durch Charaktere, Kurzabenteuer oder Beschreibungen von Orten oder Kulten. Im Folgenden wird sich zeigen, wie viel Qualität im dritten Kompendium steckt, welches wie bisher Graeme Davis zu verantworten hat, der sowohl alte als auch neue Autoren um sich gescharrt hat.
Zum Inhalt
Ähnlich dem zweiten Kompendium versuchen die Autoren auf 128 Seiten, sich gezielter dem Hintergrund und der Ergänzung des zugehörigen Abenteuers zu widmen, als einfach eine bunte, unzusammenhängende Themenvielfalt zu bieten. Neben einem weiteren Einblick zur Arbeit eines Autoren gibt es einen Tribut an den verstorbenen Autor von „Die Graue Eminenz“, Carl Sargent. Auf die Erklärung von „Easter Eggs“ und Anspielungen zu Namensgebungen wird dieses Mal verzichtet.
Der inhaltliche Teil beginnt mit einer Beschreibung des Gartenfestes des Grafen von Middenheim, welches im Abenteuer nur in einem Absatz gestreift wurde. Da die Helden die Möglichkeit haben, auf einen Schlag sehr viele wichtige Persönlichkeiten des Hofes kennenzulernen, wird dieses hier wesentlich genauer beschrieben. Neben einem sehr genauen Ablauf, wann welche Person eintrifft, geht und wann wo anwesend ist, werden verschiedene Gerüchte und Informationen aufbereitet und zusätzliche Personen eingeführt, von denen die Spieler Informationen erhalten können.
Kurze Szenarien, die im Rahmen des Haupt-Abenteuers eingebaut werden und die Handlung erweitern können, finden sich im zweiten Kapitel. Teilweise können die Spieler und Helden dadurch weitere Hinweise erhalten oder Kontakte knüpfen, die sie im Abenteuer dann wieder voranbringen.
Im dritten Abschnitt wird der Kult des Jadezepters vorgestellt, dessen Anhänger dem Chaosgott Slaanesh anhängen und ihre geistigen und körperlichen Gelüste befriedigen wollen. Ihre Organisation, Methoden des Vorgehens zum Erreichen ihrer Ziele sowie Kräfte der Kultisten werden beschrieben. Dabei finden sich auch Regelelemente mit einer langen Liste von Zaubern des Slaanesh.
Während der Slaanesh-Kult deutlich dem Chaos verfallen ist, steht der Ulric-Kult, der im nachfolgenden Kapitel vorgestellt wird, doch deutlich auf der Seite des „Guten“. Man bekommt eine bunte Mischung für einen ersten Überblick mit berühmten Ulric-Anhängern, bekannten Tempeln und heiligen Stätten, dem Ar-Ulric als Führer des Kults und seinen Priestern, Omen und Zeichen Ulrics, dem Streit mit der Sigmar-Kirche sowie einigen Wunder des Ulric als Regelerweiterung.
Im fünften bis siebten Teil des Bandes geht es um die Nichtspielercharaktere (NSC). Zunächst erweitert man die Riege der vielen NSC aus dem Abenteuer hier noch mal um einige weitere, falls man an bestimmten Stellen weitere Informationen streuen möchte oder die Spieler besondere Institutionen aufsuchen wie etwa die Hohepriester der Shallya und Verena, aber auch der Kämmerer des Grafen. Die neuen Kontakte erhalten jeweils etwa drei Seiten, auf denen ihre Rolle im Abenteuer, die passenden Schauplätze, ihre Ziele, Reaktionen, Wissen oder Schwachpunkte beschrieben werden. Ebenso werden die Meinungen der bekannten NSC zu den neuen NSC aufgezeigt.
Danach werden schon bekannte Personen aus vergangenen Abenteuern eingebunden beziehungsweise erklärt, wie und warum diese hier in der Handlung auftauchen können und welchen Mehrwert sie für die Handlung ermöglichen. Abgeschlossen wird der NSC-Teil mit einem besonderen Antagonisten aus dem Abenteuer, welcher zum Höhepunkt angetroffen wird.
Der Band schließt mit zwei Abenteuern ab, die einst im Magazin „White Dwarf“ veröffentlicht wurden und nun neu bearbeitet erscheinen. „Das Ritual“ spielt direkt in und unter Middenheim. Die Helden werden Zeuge eines Überfalls, folgen den Spuren in die Kanalisation und decken einen Plan der Skaven auf. Das zweite Kurzabenteuer „Die fliegenden Todesschädel“ spielt nahe Middenheim und bietet sich als Abstecher auf der Reise in die Stadt an. Diese Variante wurde umgearbeitet, sodass der Antgonist im Hintergrund und seine Motive sich im Vergleich zum Original geändert haben. Gleich geblieben ist, dass ein Dorf während der Ernte der Weinreben von fliegenden Totenköpfen angegriffen wird. Die Beendigung der Angriffe und das Ermitteln des Verantwortlichen wird den Helden angetragen.
Kritik
Nein, auch hier ist es kein unerlässlicher Begleitband, wie es die Beschreibung glauben lassen möchte. Aber die inhaltliche Nähe zum Hauptband und Abenteuer ist noch einmal etwas stärker als in den beiden anderen Kompendien. Auch die Qualität und Nutzbarkeit hat sich noch einmal erhöht. Trotzdem kann man „Die Graue Eminenz“ problemlos ohne das Kompendium spielen.
Die viel umfangreichere Beschreibung des Gartenfestes und das erste Kapitel zu zusätzlichen NSC erlauben sowohl für die im Abenteuer nur kurz beschriebene Festivität als auch mit NSC aus der zweiten Reihe Teile des Abenteuers ausführlicher zu gestalten und den Spielern die Gelegenheit für weitere oder genauere Nachforschungen zu geben. Das ermöglicht es dem Spielleiter, das Tempo des Abenteuers zu beschleunigen oder auch zu senken. Kommen die Spieler nicht richtig voran, bekommen sie schnell viele Kontakte auf dem Fest oder können nicht ganz so hof-nahe Personen als zusätzliche Informationsquelle nutzen. Geht es zu schnell, kann man schnell einige „rote Heringe“ legen, da die Helden viele neue Kontakte bekommen oder im Irrgarten falsche Gerüchte aufschnappen. Dazu kann man es auch gut als Vorlage für andere Festivitäten des Abenteuers verwenden.
Die Erweiterung des Abenteuers ist ebenso mittels der Kurzszenarien als auch durch die Einbindung schon aus den beiden vorherigen Abenteuern bekannter Charaktere möglich. Hier ist beides inhaltlich nicht wichtig und dient vor allem der Vermittlung des Flairs der Stadt, rollenspielerischer Momente oder kleiner Aufgaben als Ablenkung. Dazu kann man aufzeigen, dass es neben dem Abenteuer auch sonst weiter geht. Gleichzeitig kann man auch hier das Abenteuer deutlich erweitern, wenn es zu schnell und direkt geht oder man den Spielern kleine Zusatzaufgaben geben möchte. Für unerfahrene Spielleiter sicherlich jeweils eine Fundgrube, für langjährige Spielleiter kann man es eher als „netter Zusatznutzen“ bezeichnen.
Die Beschreibung der beiden Kulte ist am ehesten das, was – von den beiden Abenteuer zum Schluss abgesehen – den geringsten Bezug zum Abenteuer hat. Zwar tauchen beide im Abenteuer auf, je nach Recherchen der Spieler kann dies aber auch nur für einen kurzen Moment sein. Dazu sind die Inhalte vielfach nicht Middenheim-zentriert, sondern geben allgemeine Informationen und etliche Regelelemente wieder. Das hat den Vorteil, dass ein Spielleiter dies auch gut außerhalb der Kampagne und des Abenteuers nutzen kann. Aber wer das gar nicht möchte, hätte vielleicht lieber Hinweise bekommen, wie man beide Kulte noch stärker mit der Handlung verknüpft.
Auch wenn zumindest das zweite Abenteuer um die fliegenden Schädel zu Middenheim und „Die Graue Eminenz“ erst mal keinen Bezug hat, ist sowohl dieses als auch das erste Abenteuer „Das Ritual“ sehr schön und einfach mit der Gesamthandlung verknüpfbar. Das Abenteuer um die Totenschädel kann als ideale Einleitung oder Vorabenteuer auf der Reise verwendet werden, während „Das Ritual“ das Thema Skaven hier schon einmal nebenbei platziert, ehe es in Teil 4 der Kampagne dann vertieft wird. Beide Kurzabenteuer haben zwar einen deutlichen roten Faden, bieten aber trotzdem etliche Freiheiten für die Spieler.
Insgesamt hat man in diesem Kompendium weniger den Eindruck als in den vorherigen, dass Platz und Inhalt geschunden werden sollte. Die Texte sind deutlicher mit dem Abenteuer verbunden und nutzbar. Schade ist in allen drei Kompendien bisher, dass die Einblicke der Designer, Autoren, Illustratoren oft sehr kurz gehalten sind. Hier hätten Einblicke in die Arbeitsweise und Gründe für inhaltliche Entscheidungen sicherlich einen Mehrwert oder großen Unterhaltungswert geboten.
Fazit: Wenn man den Band nicht hat, kann man das Abenteuer trotzdem ohne Probleme spielen. Aber das dritte Kompendium steigert noch mal die Spielbarkeit und den Nutzen im Vergleich zu den beiden vorherigen Kompendien. Alles ist zentrierter auf die Handlung des Abenteuers und die Stadt Middenheim ausgerichtet. Es bleibt aber natürlich eine Mischung von Themen, dafür dieses Mal mit sehr vielen Abenteuerszenarien, die dafür auch ohne das Abenteuer sehr gut nutzbar sind. Ob es einem noch mal zusätzlich 40 Euro wert ist, hängt davon ab, ob man die Handlung eher straff oder weiter aufgespannt erleben möchte.
Der Innere Feind 3: Die Graue Eminenz – Kompendium
Quellenbuch
Jim Bambra, Phil Gallagher, Graeme Davis u. a.
Ulisses Spiele 2024
ISBN: 978-3-96331-906-8
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: 39,95 EUR
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