Der Hexer von Salem

Für viele Leser, und auch für mich, führte der Einstieg in den Cthulhu-Mythos nicht direkt über Lovecrafts Geschichten, sondern über Wolfgang Hohlbeins „Der Hexer von Salem“. Die Geschichten über den Hexer Robert Craven und seinen Kampf gegen die Großen Alten dürfte für jeden erfahrenen Hohlbein-Leser zur Pflichtlektüre gehören. Denn immerhin umfasst die manchmal etwas eigenwillige Interpretation des Mythos 24 Bücher, die zuerst in Form von Heftromanen und später immer wieder als Taschenbücher verlegt wurden.

 

Kein Wunder also, dass aus dem Stoff endlich ein Rollenspiel gesponnen wurde.

von Dominik Cenia

 

Das Regelwerk hat mit seinen ca. 260 Seiten den gleichen Umfang wie das neue „Spieler-Handbuch“ von „Call of Cthulhu“. Einband, Papier und Druck sind von gewohnt hoher Qualität der Pegasus-Produkte und machen das Buch wieder mal zu einem echten Blickfang in jeder Sammlung. Es enthält neben den etwas abgespeckten Spielregeln eine umfangreiche Beschreibung der Welt des Hexers von Salem, seiner Gegner und natürlich der Ereignisse aus den „Hexer“-Romanen von Wolfgang Hohlbein.

Unter dem Slogan „Pulp Cthulhu“, soll das „Hexer von Salem“-Rollenspiel dabei nicht nur ein neues, alternatives Setting für das „Cthulhu“-Rollenspiel darstellen, sondern den Mythos auf eine völlig neue Weise präsentieren. Alles geht sehr viel schneller, actionreicher und einfacher zur Sache. Kurz gesagt: Das Spiel wird dem Stil eines guten Horror-Groschenromans gerecht!

Knapp ein Viertes des Buchs beschäftigt sich mit den eigentlichen Spielregeln. Die Charaktere lassen sich relativ schnell erschaffen. Die Auswahl der Berufe beschränkt sich eher auf das Wesentliche (Privatdetektiv, Reporter, Professor ect.), und die Zusammenstellung der Fertigkeiten ist bei Weitem nicht so umfangreich wie im eigentlichen „Cthulhu“-Rollenspiel. Die Spieler haben auch deutlich mehr Punkte für die Fertigkeiten ihrer Charaktere zur Verfügung und die Anzahl der Trefferpunkte wird sogar verdreifacht!

Denn im „Hexer von Salem“-Rollenspiel übernehmen die Spieler wirklich die Aufgabe von echten Helden. Man kämpft beispielsweise gegen Shoggoten (die hier deutlich zahmer daherkommen als bei Lovecraft), Dinosaurier oder Dagon persönlich – natürlich stilecht mit Stockdegen, Shoggotenstern oder der guten alten Doppelflinte.

Die Spieler haben außerdem die Möglichkeit, Hexerei zu beherrschen. Der Umgang mit Magie ist also wesentlich einfacher als im „Cthulhu“-Rollenspiel gestaltet und bringt auch weniger Gefahren mit sich. So genannte Hexer haben neben Zaubersprüchen meist eine besondere Gabe, die sie anwenden können. Allerdings sind alle Hexer auch mit einem Fluch belastet, der ihnen mehr oder weniger das Leben schwer macht.

Auch beim Kampfsystem zeigt sich die Besonderheit der Charktere. Durch die dreifache Anzahl an Trefferpunkten (NSCs und Monster haben normale Trefferpunkte) können es die Spieler mit deutlich mehr und vor allem stärkeren Gegnern aufnehmen. Die ersten zwei Drittel der Trefferpunkte stellen dabei eine Art Polster dar, das ernsthafte Verletzungen verhindert (so genannte Fleischwunden). Erst danach geht es an die richtigen Verletzungen. Trotzdem müssen die Spieler sich nicht zurückhalten. Alle Charaktere beherrschen z. B. den waffenlosen Kampf („Handgemenge“) schon zu Beginn mit 50% und so ziemlich jede Waffe kann kritische Treffer erzeugen.

Natürlich sind die Charaktere nicht unbesiegbar. Die Regeln für geistige Stabilität und Wahnsinn wurden weitgehend beibehalten. Zwar fallen die Charaktere nicht ganz so schnell in geistige Umnachtung wie ihre Kollegen im „Cthulhu“-Rollenspiel, aber der Anblick von Hastur, Nyarlathotep oder Shub-Niggurath bringt sie trotzdem an den Rande des Wahnsinns.

Um diese actionreichere Spielweise zu fördern, liegt dem Regelwerk ein etwas vereinfachter Cthulhu-Mythos zugrunde. Einige der Großen Alten werden sogar völlig anders dargestellt (z. B. Hastur oder die Jungen von Shub-Niggurath). Gut und Böse sind klarer voneinander getrennt und die Pläne der Großen Alten lassen sich sogar mit genug Heldentum durchkreuzen.

Das ist aber bei Weitem noch nicht alles, was den „Pulp-Cthulhu“ Stil ausmacht. Denn beim Hexer von Salem wird an Klischees und namenhaften Gestalten der Horror- und Science-Fiction-Szene nicht gespart. So ist es in einem Abenteuer gut möglich, mit Hilfe der Zeitmaschine von H. G. Wells in die Vergangenheit zu reisen, um dort gemeinsam mit H. P. Lovecraft und dem Hexer Robert Craven die Beschwörung von Yog-Sothoth durch Dr. Mabuse zu verhindern. Kämpfe gegen Dinosaurier und Shoggoten und Morlocks inbegriffen! Okay… das war jetzt vielleicht ein wenig übertrieben, aber das Prinzip stimmt.

Die meisten Abenteuervorschläge sind darauf ausgelegt, dass die Spieler die Wege von Robert Craven und seinen Gefährten kreuzen. Vielleicht begleiten sie sogar den Hexer durch das Labyrint von Amsterdam oder schlüpfen selber in die Rolle von Craven, Lovecraft und natürlich Rowlf.

Falls sich jetzt hier dem ein oder anderen treueren Lovecraft- bzw. Cthulhu-Liebhaber der Magen umdrehen sollte, dem seit gesagt… es macht tieriach Spaß, auf diese Weise zu Spielen!

Im „Hexer von Salem“ kann man so ziemlich fast alles wagen, was man seinem Charakter im normalen „Cthulhu“-Rollenspiel niemals zutrauen würde. Der Horror ist greifbarer und lässt sich entsprechend direkter bekämpfen. Eine ordentliche Ladung „Steampunk“, der Zauber des späten viktorianischen Zeitalters, sorgen für die übrige Stimmung.

Neben den Spielregeln und dem ausführlichen Hintergrund, enthält das Buch noch ein paar gelungene Tipps für angehende Spielleiter und das umfangreiche Einstiegsabenteuer „Das Erbe der Templer“ von Thomas Finn. Ich habe selten ein so umfangreiches Abenteuer in einem Regelwerk gesehen. Hut ab!

Fazit: „Das Hexer von Salem“-Rollenspiel ist uneingeschränkt zu empfehlen. Jeder, der das normale „Cthulhu“-Rollenspiel bisher zu umfangreich oder zu langatmig fand, sollte unbedingt einen Blick auf dieses Spiel werfen. Durch die gesteigerte Action und den vereinfachten Mythos lassen sich spannende Rollenspiel-Abenteuer erleben, die so ein bisschen von allem was bieten. Dabei kommen aber auch Horror und Grusel wahrlich nicht zu kurz. Hohlbeins Hexer ist eine große Verbeugung von den Werken Lovecrafts. Die Wurzeln von Lovecrafts Geschichten bleiben also erhalten, weshalb auch erfahrene Spieler einen Blick in dieses aufregende Buch wagen können! Ohne Zweifel, die schönste Neuerscheinung, die man sich zum Jahresende nur wünschen kann.


Der Hexer von Salem
Grundregelwerk
Wolfgang Hohlbein, Heiko Gill, Thomas Finn
Pegasus Press 2005
ISBN 3-937826-41-6
260 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

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