Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel

Peter Jackson dreht endlich den „Hobbit“. Dass es jetzt langsam wirklich ernst wird, merkt man auch am Markt der Franchise-Produkte. Ein weiteres Rollenspiel ist in der Mache. Neue Brettspiele tauchen in den Ankündigungen auf. Und mit „Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel“ hat der Heidelberger Spieleverlag unter Lizenz von Fantasy Flight Games den Startschuss für ein neues Sammelkartenspiel – oder genauer: Living Card Game – gegeben. Machen wir uns einmal mehr auf die Reise in die Welt von J.R.R. Tolkien und schauen, ob es noch neue Abenteuer zu erleben gibt.

von Bernd Perplies

Vor gut zehn Jahren waren Sammelkartenspiele das große Ding auf dem Markt der Fantasy-Spiele. Scharen von Fans versenkten Unmengen an Geld in die verschweißten Tütchen, in denen sich neun bis fünfzehn zufällig sortierte Spielkarten unterschiedlicher Seltenheit befanden. „Magic“, „Star Trek“, „Legend of the Five Rings“, „Duel Masters“ … was gab es nicht alles für Spielsysteme. Irgendwann wurden die Leute dieser Geldvernichtung und der Anhäufung von kistenweise Altpapier in Form wertloser doppelter „Common“-Karten überdrüssig. Auftritt der Living Card Games!

Das Spielprinzip ist gleich. Noch immer sammelt man als Spieler bunte Spielkarten, um aus dem immer größer werdenden Fundus zunehmend ausgeklügeltere Spieldecks zusammenzustellen, die dann dazu genutzt werden, wahlweise den Gegner oder einen Mechanismus des Spiels selbst zu bezwingen. Der wichtige Unterschied: LCGs werden nicht mehr als Katze im Sack in Boostern und Displays verkauft, sondern in Sets, deren Inhalt immer gleich ist. Außerdem gibt es in der Regel nicht alle paar Monate eine große Expansion, sondern monatlich verhältnismäßig kleine und günstige Erweiterungen, die die Hemmschwelle der Kunden, dafür Geld auszugeben, senken sollen.

Vor allem Fantasy Flight Games hat sich mit diesem neuen Konzept des Kartenspiels hervorgetan. Mit „Cthulhu“, „A Game of Thrones“ und „Warhammer: Invasion“ hat die rührige Spieleschmiede aus Amerika bereits drei gut laufende Systeme im Portfolio. Jetzt kommt mit dem Kartenspiel zu „Der Herr der Ringe“ eine neue spannende Lizenz dazu. Das Grundset, das in einer hübsch aufgemachten Midsize-Format-Pappbox daherkommt, umfasst dabei 226 Karten, zwei Bedrohungszähler, eine Reihe Pappmarker und ein Regelheft.

Die Regeln wirken mit dreißig DIN-A4-Seiten für ein Kartenspiel umfangreich und schrecken im ersten Moment etwas ab. Allerdings wird der eigentliche Regelteil nicht nur durch sehr viele Beispiele begleitet, viele Mechanismen kommen einem auch bekannt vor, wenn man in der Vergangenheit eine gewisse Sammelkartenaffinität aufwies. Es gibt „Farben“, die sich unterschiedlich spielen und deren Karten nur durch passende Ressourcenpunkte ins Spiel gebracht werden können. Verwendete Charaktere werden „getappt“. Es gibt einzigartige Charaktere und gewöhnliche. Ausrüstung wird an je einen Charakter angehängt. Kämpfe werden nach dem Schema „Angriffswert - Verteidigungswert = Wunden“ abgehandelt. Man kennt derlei von „Magic“ oder gar dem inhaltlich sehr ähnlichen, aber seit Jahren eingestellten „Lord of the Rings“-TCG von Decipher (das seine Hochphase während der Peter-Jackson-Adaption von Tolkiens „Der Herr der Ringe“ hatte).

Und doch ist einiges auf interessante Weise anders. Zunächst einmal ist „Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel“ ein kooperatives Spiel, das heißt alle Spieler arbeiten zusammen, um ein Szenario (das Grundspiel bietet derer drei) mit möglichst geringen Verlusten zu bewältigen. Dabei kann man das Spiel mit der vorliegenden Box entweder alleine oder zu zweit spielen; laut Regeln kann man mit einer zweiten Box auch zu viert ins Abenteuer ziehen. Jede der vier Farben (genannt „Einflusssphären“: Führung, Wissen, Geist, Taktik) ist mit drei Helden und einem Spielerdeck von um die vierzig Karten vertreten. Ein vollwertiges Deck würde ein bis drei Helden und ein Spielerdeck von mindestens fünfzig individuell zusammengestellten Karten (auch mischfarbig denkbar) umfassen.

Angetreten wird gegen ein Abenteuerdeck, das stets drei Schauplätze umfasst, die bewältigt werden wollen, um das Szenario zu besiegen. Hierfür muss man eine gewisse Menge Fortschrittsmarker auf die jeweils aktive Karte legen, um zum nächsten Schauplatz vordringen zu können. Damit das nicht zu leicht ist, sorgt ein individuell für jedes Szenario aus sieben Monstergruppen (wie Orks und Waldspinnen) zusammengestelltes Begegnungsdeck für Monsterbedrohungen und gefährliche Orte, die zwischendurch bezwungen beziehungsweise erforscht werden wollen. Diese sammeln sich als potenzielle Bedrohung in der Aufmarschzone vor dem Abenteuerdeck (pro Spieler wird eine Karte pro Runde hinzugefügt), und wenn sie nicht beseitigt werden – durch Kampf oder Bereisen –, blockieren sie durch einen Spielwertvergleich (Willenskraft der Guten vs. Widerstand der Bösen) mehr und mehr die Möglichkeit der Spieler, Fortschrittsmarker zu legen. Im schlimmsten Fall erhöhen sie sogar den Bedrohungszähler der Spieler.

Dieser Bedrohungszähler ist ein Kernelement des Spiels. Er dient als eine Art Maß, wie knapp die Spieler vor der Niederlage stehen. Erreicht er den Wert Fünfzig, ist es für den jeweiligen Spieler sofort vorbei; sind alle Spieler aus dem Spiel ausgeschieden, gewinnt das Böse. Dabei wird der Bedrohungszähler je nach eingesetzten Helden bereits zu Beginn auf etwa Dreißig gestellt, und jede Runde zählt er zusätzlich um einen Punkt hoch. Man sollte also nicht trödeln, um in dem Szenario vorwärts zu kommen. Nett ist die Idee, dass gewisse Monster erst ab einem bestimmten Bedrohungslevel die Spieler angreifen. So lassen stärkere Gegner Spieler zu Anfang noch in Ruhe (sofern man sie nicht selbst angreift). Später werden sie dann durch einen Spielmechanismus den Spielern zugeteilt und hauen den Charakteren kräftig auf die Mütze – es sei denn, man hat einen mit Axt und Rüstung ausgestatteten Gimli als Helden vor sich liegen. Den kriegt auch Ungoliants Brut nicht mehr klein. (Aber Zwerge waren auch zu Deciphers Zeiten echte Kampfschweine.)

Wurde ein Szenario erfolgreich bezwungen, kommt es zu einer Punktwertung, wobei mehrere Negativaspekte (wie tote Helden, Wunden und das Bedrohungslevel) addiert werden. Je höher der Wert ausfällt, desto schlechter. Leider fehlt dem Regelwerk ein Hinweis, welcher Wert denn jetzt eine solide, welcher eine grandiose Leistung darstellen würde. Ein weiterer Kritikpunkt ist die bereits jetzt schon erkennbare Ungenauigkeit mancher Kartentexte. Veteranen kennen das aus fast allen Sammelkartenuniversen. Irgendwann geraten diese komplexen Spielkonzepte an ihre Grenzen, und Karten beginnen sich zu widersprechen oder eigenwillige Kombos zu erzeugen. Hier wird dann ein FAQ unabdingbar, das wir uns im vorliegenden Fall bereits im Grundset gewünscht hätten, denn ob zum Beispiel die „Waldspinne“ ihren Angriffsbonus bekommt, wenn sie vom Spieler angegriffen wird oder ihm zugeteilt wurde, war ebenso wenig ersichtlich, wie die Frage, ob man jedwede Art von Ereigniskarten auch für seinen Spielpartner einsetzen kann, wenn es nicht explizit verboten wird.

Optisch kommt das Kartenspiel solide daher. Meinem Gefühl nach erreichen die Karten nicht ganz die visuelle Klasse von Platzhirsch „Magic“, aber sie sehen trotzdem überwiegend sehr stimmig aus und treffen auch meist den Ton, den man von „Der Herr der Ringe“ erwartet, ohne zu sehr nach einem Abklatsch des Peter-Jackson-Filmdesigns auszusehen (auch wenn sich das zum Teil nicht vermeiden lässt; Gandalf wird halt immer ein bärtiger Mann mit grauem Hut sein).

Fazit: Alles in allem legt „Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel“ einen Start hin, der Lust auf mehr macht – und genau das ist ja Sinn und Zweck der Living Card Games. Mit drei Szenarien und vier Starterdecks (die man auch noch beliebig umbauen könnte) ist genug Material für den Einstieg gegeben. Natürlich wird sich erst mit der Zeit das volle Potenzial des Spiels entfalten respektive zeigen. Die ersten 60-Karten-Erweiterungen sind schon in der Pipeline. Eine kleine Warnung zum Schluss an Spieler, die früher exzessiv das „The Lord of the Rings“-TCG gesammelt und gespielt haben. Auch wenn die Spielmechanismen nicht völlig gleich sind (hier wird ja beispielsweise kooperativ gezockt), fühlt sich das Ganze durch das Setting, die Fraktionen/Einflusssphären und einige Kleinigkeiten mehr doch irgendwie ähnlich an. Ob man hier in „more of the same“ investieren will oder lieber die alten „LotR“-Decks wieder aus dem Schrank holt, muss aber letztlich natürlich jeder selbst entscheiden.


Der Herr der Ringe – Das Kartenspiel
Kartenspiel für 1 bis 4 Spieler
Nate French
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2011
EAN: 4015566011342
226 Karten, 97 Pappmarker, 2 Bedrohungszähler, Regeln, deutsch
Preis: EUR 29,95

bei amazon.de bestellen