Der Fluch des Wüstenfeuers

Andrea Bottlinger gehört zu den Multitalenten unter den Phantastikschaffenden in Deutschland. Sie konzipiert und verfasst Heftromane, schreibt Hörspiele und hat zusammen mit Christian Humberg heitere Einführungen in die Welt der Geeks und Nerds ersonnen. Mit „Aeternum“ hat sie einen Urban-Fantasy-Roman vorgelegt, der gänzlich ohne romantische Vampire und Werwölfe auskommt, und ihr Cyberpunk-Mehrteiler „Beyond“ hat seinerzeit ein Augmented-Reality-Phänomen wie „Pokémon Go“ vorweggenommen und auf die spannende Spitze getrieben. Nun liegt mit „Der Fluch des Wüstenfeuers“ ihr erster Fantasy-Roman vor.

von Bernd Perplies

Full Disclaimer: Ich kenne Andrea nicht nur als Autorenkollegin, ich schätze sie auch als Mensch und bekennenden Geek. Man könnte mir nun vorwerfen, dass ich ihr und ihrem Roman möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen gegenüberstehe, aber, Teufel, wer bewertet einen Roman schon nach „rein objektiven“ Kriterien? Wenn ein George R. R. Martin-Jünger einem „Game of Thrones“-Roman bei Amazon fünf Sterne geben und ein alternder „Star Wars“-Fan J. J. Abrams „The Force Awakens“ durch die nostalgische Macht-Brille bewerten darf, dann darf auch ich über ein Buch schreiben, das jemand verfasst hat, den ich kenne. Was ich hiermit tue.

Ich halte das obendrein für wichtig, denn „Der Fluch des Wüstenfeuers“ ist in mehrfacher Hinsicht nicht ganz das, was man als Standardkost im Genre der Fantasy bezeichnen würde. Insofern ist dies auch eine Warnung an Menschen, die gerne Mainstream lesen.

Der Hintergrund der Geschichte ist die erste Überraschung, denn das Abenteuer ist nicht in einem angelsächsisch anmutenden Mittelalter angesiedelt, sondern in einem orientalischen Umfeld. Das erfährt nun gerade eine kleine Konjunktur. So hat der Akram El-Bahay mit seinem märchenhaften Flammenwüste-Zyklus in den letzten zwei Jahren von sich reden gemacht, und auch der Herr der „Zwerge“, Markus Heitz, hat jüngst einen Wüsten-Roman auf den Markt gebracht. Dennoch ist das Setting ungewöhnlich genug, um aufzufallen. Dank des unzweideutigen Covers, das einen Krummsäbel schwingenden Krieger, eine rot gewandete Zauberin und eine zügellose Schurkin zeigt, wird man als Leser auch ganz gut darauf vorbereitet, wenn man solche Zeichen denn zu deuten weiß.

Nicht vorbereitet wird man auf den Umstand, dass fast der komplette Roman in dem Gefängnis unter dem Palast des Herrschers spielt. Zu Beginn wird die Haremsdame Iaret in die dunklen Katakomben geworfen, weil sie ihrem Herrn, dem tyrannischen Secham, der seit schier ewigen Zeiten über die Stadt Niat herrscht, nicht zu Diensten sein will, sondern stattdessen einen Fluchtversuch unternimmt. Erschwerend kommt hinzu, dass sie das Siegel zu brechen versuchte, das auf ihrer Stirn prangt, seit sie ein junges Mädchen ist, und das das sogenannte Wüstenfeuer aussperren soll, für das vor allem Frauen empfänglich sind und das eine Art Magiequelle für diese darstellt. In der finsteren Unterwelt findet Iaret alles, was zu einem düsteren Dungeon gehört: ein Labyrinth an Gängen, den Kampf ums Überleben (der durch die tägliche Fütterung der Gefangenen durch die sadistischen Gefängniswärter noch befeuert wird), eine skrupellose Bande, die das Sagen hat, Kannibalen, ein Ungeheuer, das der Herrscher hier anketten ließ, um aus seiner Magie Macht zu ziehen. Alle Zutaten für einen schonungslosen Gefängnisroman sind vorhanden.

Dennoch hat Iaret Glück, denn sie lernt direkt zu Beginn ihrer Zeit dort unten den verstoßenen Königssohn Ahat und die  Mörderin Tehu kennen. Beide sehen in der hilflosen Frau etwas, das ihr Herz berührt, und nehmen sie daher unter ihre Fittiche. Gemeinsam mit ihnen und dem Dieb Chen versucht Iaret, einen Weg aus der Unterwelt zu finden, ein Unterfangen, das für sie nicht bloß eine Laune ist, sondern überlebenswichtig, denn ihr zu diesem Zeitpunkt halb gebrochenes Stirnsiegel wird nun zu ihrem Fluch. Sie kann das Wüstenfeuer aufnehmen, aber sie kann es nicht wieder durch magische Taten abgeben. Kommt sie nicht frei, ist ihr der Tod gewiss.

Die dritte Eigenheit des Romans liegt in seiner Erzählform. Eine Umgebung aus „1001 Nacht“ und die Tradition des Erzählens sind gewiss untrennbar miteinander verbunden, und so wählt auch Andrea Bottlinger diesen Stil. Deutlich stärker als in anderen Romanen hebt sie hervor, dass die ganze Geschichte von Iaret von einem viel älteren Ahat sowie seinem Bruder Yasin einer jungen Geschichtenschreiberin erzählt wird. Anzweifeln muss man als Leser das Gehörte deswegen nicht. Aber man muss sich damit anfreunden, dass immer wieder die Handlung selbst durch Einschübe gebrochen wird, die den Erzähler wieder in den Vordergrund rücken, etwa wenn dieser direkt seine Zuhörerin und damit den Leser anspricht. Dadurch mag auf den ersten Seiten eine gewisse Distanz vom Leser zum Geschehen aufkommen, die aber im Laufe der Lektüre völlig verschwindet, was nur zeigt, wie elegant die Autorin den Wechsel der Erzählperspektiven hinbekommt und wie gekonnt sie den Leser nach jede Bruch wieder einfängt. Mehr als ein paar Zeilen braucht sie dafür normalerweise nicht.

Fazit: Mit „Der Fluch des Wüstenfeuers“ legt Andrea Bottlinger ein ungewöhnliches Kammernspiel (ja, der Plural ist Absicht) in der Finsternis eines orientalischen Kerkers vor. Vergleichsweise schonungslos – es wird gemordet, gehungert und gelitten – beschreibt sie das Schicksal ihrer Protagonistin Iaret, einer Frau, die hilflos in die Handlung startet und dann noch zunehmend hilfloser wird, bis es am Schluss zur Wende kommt. Der Roman wird aus mehreren Perspektiven erzählt, wobei die Erzählhaltung recht deutlich zutage tritt. Das mag, genauso wie die Ortsbeschränkung und die fortwährende Düsterkeit, nicht jedermanns Sache sein. Ich allerdings habe den Roman verschlungen. Ein mutiges Experiment, das aus dem Gros der aktuellen Fantasy heraussticht. 


Der Fluch des Wüstenfeuers
Fantasy-Roman
A.S. Bottlinger
Klett-Cotta 2016
ISBN: 978-3-608-96027-3
367 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 16,95

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