von Lars Jeske
Boris Koch nimmt uns in „Der Drachenflüsterer“ mit auf eine Reise in das Großtirdische Reich. In dessen Norden befindet sich das Dorf Trollfurt. Einstmals eine bedeutende Stadt, aber seit die Blausilber-Mine vor Jahren geschlossen wurde und auch der Orden der Drachenritter nicht mehr im Ort ist, ist die historisch bedeutende Stadt von der Welt vergessen.
Hier lebt Ben, der jugendlich Protagonist der Geschichte, welcher nach dem Tod seiner Mutter (seinen Vater hat er nie gekannt) als Nichtsnutz und Tagelöhner sein Dasein fristet. Er ist ein Außenseiter, der als einzigen Freund den gleichaltrigen Yanko an seiner Seite weiß und gern mit diesem, trotz Missbilligung von dessen Eltern, seine Zeit verbringt.
Seit er als Kind einen Drachritter samt gebändigtem Drachen gesehen und die schuppige Haut des Tieres sogar berührte, steht für ihn sein Traum fest, einmal diesem Orden angehören zu wollen. Er will mithelfen, diese edlen Tiere von Samoths Fluch zu befreien, indem er ihre Flügel abschlägt, um die Welt dadurch sicherer zu machen. Denn der Legende nach wurden diese reinen und edlen Geschöpfe von Samoth verdorben und sind seitdem Menschenfresser.
Nach Jahren bekommt sein großer Kindheitstraum, Drachenritter zu werden, wieder Auftrieb, als ein neuer Minenbesitzer in die Stadt kommt und sogar einen eigenen zahmen Drachen mitbringt. Aber nicht nur dieser tut es ihm an, auch Nica, die Tochter des Besitzers, spukt immer öfter in seinen Gedanken herum. Abends schleicht sich Ben zum Drachen und schnell entwickelt er für diesen Sympathie.
Obwohl er durch seinen geringen gesellschaftlichen Status und den damit verbundenen miserablen Ruf schlechte Karten hat, wähnt er sich am Ziel seiner Träume, als dann eines Tages sogar wieder ein Drachenritter des Ordens in die Stadt kommt. Ben nimmt all seinen Mut zusammen, um diesen anzusprechen und zu fragen, wie er selbst ein Drachenritter werden kann.
Aber von da an laufen die Dinge für ihn schlecht. Nach einer Prügelei in der Kneipe muss Ben Hals über Kopf aus der Stadt und seinem bisherigen Leben flüchten, da der Lynchmob schon hinter ihm her ist. Auf seiner eher planlosen Flucht stolpert er dabei zufällig in einen Kampf zwischen einem Ritter und einem Drachen. Seine schon wankende Mythensicht wird hierauf total erschüttert, als er wider erwartend nicht vom Drachen gefressen wird und sogar erkennt, eine seltene Gabe zu besitzen…
Obwohl es der Titel vermuten lassen könnte, ist „Der Drachenflüsterer“ keine weitere Parodie wie „Die Anderen“. Dennoch hat der neue Roman von Boris Koch als „ernsthafte Fantasy“ seinen Reiz, vor allem für jüngere Leser. Dieses verspricht auch schon das Cover von Dirk Schulz, befinden sich doch dort ein Drache und ein Junge im Zwiegespräch.
Als schablonenhafte Identifikationsfigur dieses Kleiner-Junge-Romans dient der Protagonist in Form des mittellosen Waisenjungen Ben, welcher an seinen großen, für ihn unerreichbaren Traum glaubt. Das Schicksal zwingt ihn dann, sein gewohntes Leben des Müßiggangs hinter sich zu lassen und seine Träume zu verwirklichen. Obwohl hier ein typisches Klischee für die Adoleszenz entworfen wurde, weiß die Geschichte durch Individualität zu überzeugen und macht es einem leicht, in diese einzutauchen. Der sympathische Außenseiter, in welchem auch erste Gefühle für Mädchen aufkeimen, ist hervorragend angelegt. Vor allem durch seine offenkundigen Schwächen, seine Einstellung zur Welt, die Handlungsmotivationen und die Art seiner Charakterisierung ist er eine glaubwürdige Hauptfigur. Bei den emotionalen Beschimpfungsschwallen kann man sich sogar noch das ein oder andere Wort abgucken.
Dennoch hat der Roman auch erwachsenen Lesern etwas zu bieten, vor allem wenn man die vornämlichen Konflikte abstrahiert und als symbolische Analogien auf die Weltfragen unserer Zeit transponiert. Ob dieses vom Autor überhaupt gewollt war, bleibt dahingestellt, beispielsweise drängt sich der Vergleich zwischen den Religionen als Parallele zu Drachenrittern und Ketzern jedoch förmlich auf.
Die einfache Sprache und die klare, geradlinige Struktur der Geschichte tun ihr übriges dazu, dass die 350 Seiten wie im Fluge (quasi auf einem Drachenrücken) vergehen und man sich ob des eigenen Lesetempos dieser Geschichte selber überrascht.
Fazit: Der leicht und schnell lesbare Roman „Der Drachenflüsterer“ ist ein angenehmer Mix aus Märchen und Abenteuergeschichten im Stile von Tom Sawyer & Huck Finn, angereichert mit einem Schuss Pubertäts-Herzschmerz. Vorrangig für fantasybegeisterte Jungen ein empfehlenswertes Buch, erwachsene Leser kommen aber garantiert auch auf ihre Kosten.
Der Drachenflüsterer
Fantasy-Roman
Boris Koch
Heyne 2008
ISBN: 978-3453524927
349 S., Hardcover, deutsch
Preis: 10,00 EUR
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