Deep Regrets

Udo Lindenberg ist vieles: Musiker, Maler, vor allem aber ein Nuschler in Interviews. Dass er aber auch zum Visionär werden würde, hätte ich niemals geahnt. In seinem Song „Odyssee“ sang er damals schon davon, dass der Wahnsinn am Steuer eines Bootes steht. Und wer hätte gedacht, dass mir knappe 40 Jahre später genau diese Textzeile in den Kopf kommt, während ich „Deep Regrets“ aufbaue, das Spiel, in dem ich auf See langsam dem Wahnsinn verfalle.

von Oli Clemens

Bei „Deep Regrets“ geht’s eine Woche lang auf hohe See, um dort mit Würfeln die wertvollsten Fische an Land zu ziehen. Da das Leben an Bord unseres Kutters aber kein Ponyhof ist, sondern die ein oder andere schreckliche Realität in den Tiefen der Wogen auf uns warten wird, müssen wir gleichzeitig noch eine gute Balance zwischen Wahnsinn und Reue hinbekommen. 

„Deep Regrets“ wird über einen Ablauf von sechs Runden gespielt. Wer es etwas kürzer haben will, kürzt um eine Runde ab. Grundsätzlich habt ihr immer die Wahl, ob ihr euer Glück mit Würfeln auf See versuchen oder im Hafen unsere Spielausrüstung optimiert. Im sicheren Hafen warten Angelruten und Angelrollen auf euch, mit denen ihr erfolgreicher Beute machen könnt. Und dort gibt es auch Würfel mit besseren Werten. Für alles braucht man aber Geld, und das bekommen man nur, wenn man Fische verkauft, die man vorher gefangen habt. Oder stellt ihr euren Fang lieber aus, damit er am Ende Siegpunkte abwirft? Dann geht ihr aber mit leerem Geldbeutel und ohne Ausrüstung wieder an Bord eures Kutters. Auch auf See regiert Geld die Welt und Knete gibt es nur durch Fische. Entsprechend werdet ihr euch am häufigsten mit euren Holzbötchen auf dem Seeplan tummeln.

Wer fischt, deckt eine Karte auf. Durch die Gestaltung der Kartenrückseite bekommt man schon einen Eindruck, wie hoch die Würfelwerte gleich sein müssen, um den Fisch zu bekommen. Je größer der Umriss, desto höher ist der Aufwand an Würfeln, den ihr bringen müsst. Natürlich ist aber auch der Ertrag entsprechend höher, wenn ihr ihn an Bord hieven könnt. Auch spielt die Tiefe eine wichtige Rolle. Um einen großen Fisch aus der Tiefe 3 an Land zu ziehen, sollte euer Würfelpool entsprechend berstend voll gefüllt sein. Ich hoffe, ihr wart vorher schon im Hafen und habt euch entsprechend ausgerüstet. Jetzt sind die Angeln und Rollen, die ihr dort finden könnt, nämlich eine wertvolle Hilfe. Gelingt es einem nicht, den Fisch an Bord zu ziehen, bleibt er aufgedeckt liegen und die anderen können sich  daran versuchen.

Nun ist es aber leider auch so, dass ihr gar nicht jeden Fisch haben wollt. Einige lösen nämlich schon beim Aufdecken negative Effekte aus oder sind schlichtweg verdorben. Die verkauft ihr für weniger Geld, es sei denn, ihr lasst euch langsam aber sicher dem Wahnsinn anheimfallen. Das geht über das Sammeln von Reuekarten. Die bekommt man durch Effekte von Fischen, wie etwa dem „Augenaal“ oder dem „Lungenapfel“, oder wenn ihr die See überfischt und die letzte Karte einen Stapels nehmt. Ja, das Leben hat auch so seine Schattenseiten, und die Reuekarten sind die harte Währung dafür. Aber „Deep Regrets“ wäre nicht „Deep Regrets“, wenn ihr nicht auch aus Reue Fisch-Limonade machen könntet. (Ja, die Redewendung ist arg fischig und barsch-einlich falsch).

Je mehr Reuekarten man besitzt, desto besser werden die Verkaufspreise der verdorbenen Fische und desto mehr Würfel darf man nutzen, um die fetten Brocken aus dem Wasser zu ziehen. Da lohnt es sich auch, die richtige Balance zwischen frischen und verdorbenen Fischen zu finden. Um jederzeit genau erfassen zu können, wie sich der aktuelle Stand der Reue auf euer Spiel auswirkt, schenkt euch „Deep Regrets“  die Wahnsinnstafel. Dort schiebt ihr euren farbigen Marker immer weiter, wenn ihr Reuekarten bekommt oder ablegt, und könnt die unmittelbaren Effekte für das Spiel sofort ablesen. Je nach Position der Marker habt ihr nun vielleicht ganz andere Ziele, wenn ihr auf Fischzug geht. Was für die einen vielleicht verdorben aussieht, mag für andere ein wabbeliger Wonneproppen sein, den man gut verkaufen kann.

Egal, ob ihr die reguläre Spielzeit über sechs Runden in Anspruch nehmt oder die verkürzte Arbeitswoche mit fünf Runden spielt, kommt am Ende die Abrechnung eures Erfolgs.

Gefangene Fische auf der Hand geben Punkte und vielleicht ist es euch ja auch gelungen, bei eurem Langgang in den Hafen eure Fische auszustellen. Dafür gibt es nämlich doppelt Punkte. Dumm nur, dass die Person, welche ungeniert die meisten Reuekarten gehamstert hat, einen ausgestellten Fisch abwerfen muss. Hoffentlich ist dann noch die Bargeldkasse gut gefüllt, denn auch kleine Geldreserven können einen am Ende nach vorne katapultieren.

„Deep Regrets“ bringt ordentlich was auf den Tisch: einen großen, stimmungsvoll illustrierten Spielplan, stabile Spielertafeln, die schnittigen, farbigen Holzkutter und eine bunte Auswahl an ungewöhnlichen Würfeln, die man gerne in die Hand nimmt. Dazu kommen jede Menge Fischkarten, Hafen-Upgrades und natürlich die Doublelayer-Wahnsinnstafel. Die Würfel liegen extra in einem Beutel, der Startmarker ist ein Rettungsring aus Holz. Sogar eine schicke Münze bekommt ihr spendiert, und wir wissen ja: Jedes Spiel wird durch Metallmünzen besser. Der Materialumfang von „Deep Regrets“ ist einfach beachtlich. Die Karten sind stabil, die Marker dick genug, um auch nach vielen Partien noch ansehnlich zu wirken. Einzig die Illustrationen schwanken: Manche Fische sind wahre Kunstwerke, andere wirken eher wie Schnellskizzen. Ihr wisst ja aber: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Und für mich ist klar: Die gollumartige Meerjungfrau aus „Deep Regrets“ würde ich locker am Strand stehen lassen. 

Trotz sechs Runden ist „Deep Regrets“ erstaunlich flott. Mehr Personen erhöhen zwar die Spielzeit, jedoch selbst mit Grüblern am Tisch ist man nach 60 bis 90 Minuten durch. Der Spielablauf ist jedoch nicht sehr abwechslungsreich: Fisch lokalisieren, Würfel zahlen, Parameter aktualisieren – mehr steckt nicht unter der Haube. Das kann reichen, wenn man sich von der unglaublichen Optik und dem Material bezaubern lässt, kann aber auch zu Stirnrunzeln führen, wenn man auf mehr hofft.


  
Die Anleitung von „Deep Regrets“ ist erfreulich klar strukturiert. Nach einer halben Stunde kann man loslegen, und auch während der ersten Partie musste ich nur selten zurückblättern. Besonders gelungen finde ich die vielen Beispiele, die typische Spielsituationen anschaulich machen. Die Regeln selbst sind logisch, greifen ineinander und vermitteln das Gefühl, dass man tatsächlich zwischen Risiko und Vernunft balanciert – genau wie das Thema es verspricht. Dabei pendelt sich „Deep Regrets“ meiner Meinung nach sehr gut zwischen gehobenem Familienspiel und Kennerspiel aus. Regeln für ein Solospiel-Erlebnis sind auch beinhaltet.

Fazit: „Deep Regrets“ ist ein überraschend thematisches Würfelspiel, jedoch sicher kein Spiel für alle. Wer sich aber auf die schwankende Planke wagt, bekommt ein atmosphärisches Spielerlebnis, das sowohl mechanisch als auch thematisch überzeugt und durch sein Material zu einem Erlebnis wird. 

Deep Regrets
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren
Judson Cowan 
Board Game Circus 2025
EAN: 4262360070307
Sprache: Deutsch
Preis: 54,99 EUR 

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