Kingsport Festival

Dass tapfere Ermittler sich cthuloiden Schrecken entgegenstellen, kennt man nicht zuletzt aus zahlreichen Spielen von Fantasy Flight Games. „Arkham Horror“, „Das ältere Zeichen“, „Villen des Wahnsinns“ – alle von der Ausgangslage ähnlich. „Kingsport Festival“ von Stratelibri (deutsch bei Kosmos erschienen) dreht den Spieß um: Wir sind die Kultisten und wir haben vor, es in der alten Stadt von H. P. Lovecraft so richtig krachen zu lassen.

von Bernd Perplies

Normalerweise sind Kultisten ja immer die Dummen. Das war schon in den Horrorgeschichten von Autor H. P. Lovecraft so, der den Cthulhu-Mythos einst ersann, und das ist auch bei aktuellen Brett- und Rollenspielen nicht anders. Wenn einer von den Helden auf die Mütze bekommt, dann die Kultisten, die kleinsten und schwächsten aller Gegner. In „Kingsport Festival“ schlagen diese nun zurück. Jeder der drei bis fünf Spieler übernimmt einen der Bösen, dessen Job es fürderhin sein wird, möglichst viele Große Alte (und deren Dienermonstrositäten) auf die Erde zu holen. Dazu muss man natürlich die Stadt vorher unter seine Kontrolle bringen. Und aufpassen, dass man bei all dem Chaos, das man heraufbeschwört, nicht völlig den Verstand verliert.

Optisch erinnerte das Spiel zunächst sehr an den Klassiker „Arkham Horror“. Ein Spielbrett mit vielen Örtlichkeiten dient als Bühne für das Kommende, zudem existieren verschiedene Arten von stimmungsvollen Zauberspruchkarten, Ereigniskarten und Ermittlerkarten und 20 höchst grausig anzusehende Tafeln mit „Großen Alten“ (das Spiel unterscheidet der Einfachheit halber nicht zwischen Dienerkreaturen wie Mi-Gos und tatsächlichen Alten wie Cthulhu). Doch schon das dünne Regelwerk legt den Verdacht nahe, dass hier kein typisches US-Themenspiel vorliegt, sondern eher ein Eurogame im schicken Gewand. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man die zahlreichen bunten Holzklötzchen sieht, die statt Ermittlerfiguren und Monsterplättchen in der schön gestalteten Box auf einen warten.

Tatsächlich handelt es sich bei „Kingsport Festival“ eher um ein Ressourcenmanagement-Spiel wie „Lords of Waterdeep“. So geht es in den 12 Runden, die eine Partie dauert, darum, Große Alte zu beschwören, indem man drei vorab geworfene Würfel der eigenen Farbe einzeln oder addiert auf die von 1-19 nummerierten Große-Alte-Tafeln legt. Je nach Beschwörung verliert man dabei Geistige Gesundheit und gewinnt Ressourcen in drei Farben (violettes Übel, rote Zerstörung und schwarzen Tod). Mit diesen Ressourcen kann man dann Gebäude auf dem Spielplan besetzen, was wiederum Kultpunkte einbringt (= Siegpunkte). Eine wechselnde Initiative, Magiepunkte sowie Zaubersprüche sorgen dabei für zusätzliche strategische Elemente; die normalerweise alle drei Runden angreifenden Ermittler fügen dagegen Schaden zu, was Geistige Gesundheit und/oder Kultpunkte kostet. Tatsächlich besiegen können die Ermittler die Spieler aber nicht. Das Spiel ist nicht kooperativ. Stattdessen gilt es, möglichst viele Kultpunkte zu sammeln respektive möglichst wenige zu verlieren, auf dass man nach 12 Runden als kultigster Anhänger cthuloider Gottheiten die Partie gewinnt.

So leicht das Ganze erklärt ist, so herausfordernd ist es im Detail. Mag man am Anfang noch eher planlos die Besetzung von Kingsport vorantreiben, stellt sich spätestens ab der Hälfte der Partie das Bewusstsein bei den Spielern ein, dass jetzt so langsam um jeden Punkt gekämpft werden sollte. Welche Ressourcen brauche ich, um welche Gebäude zu infiltrieren? Sollte ich Gesundheit opfern, um noch ein paar Kultpunkte mehr zu ergattern? Ist Vorsicht besser als ein hemmungsloses Hingeben an den Wahnsinn? Und welche Spieleffekte der Gebäude könnten am Ende das Zünglein an der Waage sein, um den Sieg herbeizuführen? Diese und andere Gedanken macht man sich, wobei das Spiel lange Zeit einen sehr offenen Ausgang ermöglicht. Wenn man keine gröberen Fehler macht, ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis kurz vor Schluss garantiert. Bloß allzu großes Würfelpech darf man nicht haben. Denn wer ständig nur kleine Zahlen würfelt, wird nie die Gottheiten anrufen können, die wirklich viele Ressourcen bieten. Das kann einen dann doch zurückfallen lassen.

Als hübschen Bonus bieten sowohl das Regelwerk als auch die Große-Alte-Tafeln stimmige Einführungen in den Katalog der Helden und Monster, die sich in Lovecrafts literarischem Universum tummeln. Wer sich auskennt, schmunzelt, wenn er gegen Ermittler wie William Dyer und Frank H. Pabodie (Figuren aus dem Roman „Berge des Wahnsinns) antreten muss. Neulinge mögen sich durch das Spiel angeregt fühlen, ein paar der Geschichten Lovecrafts erstmals zu lesen. (Etwas, das absolut jedem Freund der Phantastik zu raten ist – und sei es, um zu verstehen, wo viele der Referenzen ihren Ursprung haben, die heute in Genre-Geschichten immer wieder auftauchen.)

Fazit: „Kingsport Festival“ ist ein leicht zu erlernendes und trotz seiner etwas abstrakten Natur erstaunlich stimmungsvolles Spiel. Wie groß ist die Begeisterung, wenn man seinen ersten Azathoth beschworen hat. Und wie hektisch wird man, wenn die Geistige Gesundheit kurz vor Null steht. Man muss jedoch ein gewisses planerisches Geschick mitbringen, wenn man das Spiel gewinnen will. Ansonsten wird man von seinen Mitspielern vermutlich rasch abgehängt. Nicht unbedingt für Fans von „Arkham Horror“ geeignet, die auf Charakterkarten, Ausrüstung und eine echte „Geschichte“ stehen – aber als thematisch hübsch verpacktes Ressourcenmanagement-Spiel absolut gelungen. (Nur der „Festival“-Aspekt des Titels spielt eine eher untergeordnete Rolle.)


Kingsport Festival
Brettspiel für 3 bis 5 Spieler ab 13 Jahren
Andrea Chiarvesio, Gianluca Santopietro
Stratelibri/Kosmos 2014
EAN: 4002051692360
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,99

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