Das Flüstern der Nacht

Mit „Das Flüstern der Nacht“ setzt Peter V. Brett konsequent seine als dreibändig konzipierte Saga um das fiktive Land Thesa fort, die er mit „Das Lied der Dunkelheit“ begann.

von Tufir

 

Band eins endete damit, dass es dem Trio Arlen (der Kurier), Rojer (der Jongleur) und Leesha (die Kräutersammlerin) im „Tal der Holzfäller“, Leeshas Heimat, gelang, die Bevölkerung zum Umdenken zu bewegen und den nächtlichen Kampf gegen die Dämonen aufzunehmen. Arlen hatte sich nach seinem Beinahe-Tod durch Jardir, den Herrscher Krassias, in den „Tätowierten Mann“ verwandelt, dem die Dämonen kaum noch gefährlich werden konnten und den die Einwohner der nördlichen, grünen Länder fortan als neuen Erlöser ansehen.

Die knapp über tausend Seiten von Band zwei beginnen nun damit, den Werdegang Jardirs in seiner Heimat ausführlich zu beleuchten und seinen Aufstieg von einem normalen dal’Sharum (Krieger der Nacht) zum Herrscher und selbsternannten, wiedergeborenen Shar’Dama Ka, zum Erlöser, darzustellen. Fast die Hälfte des Buches verwendet der Autor auf diese Darstellung, die nach der Fast-Ermordung von Arlen durch Jardir eine überaus wichtige Komponente für den Fortgang der Geschichte und somit das Verstehen der Motive beider Protagonisten darstellt. Mit der Erzählung des beginnenden „Krieges unter der Sonne“, mit dem Jardir alle Völker Thesas gewaltsam für den Kampf gegen die Dämonen einen möchte, findet dann wieder eine Parallelisierung mit den aktuellen Geschehnissen in den Nordlanden statt.

Dort ist es Arlen, Rojer und Leesha tatsächlich gelungen, mit dem Tal der Holzfäller ein Bollwerk gegen die Dämonen zu errichten, in dem sich niemand mehr davor fürchtet, nachts vor die Tür zu gehen und die Mutigsten sogar den Kampf und den Tod Nacht für Nacht unter die Dämonen tragen. Die Einwohner beschlossen daraufhin, ihrem Tal einen neuen Namen zu geben und nennen es fortan „Tal des Erlösers“ – eine Entwicklung, die Arlen so gar nicht gefällt, weil er sich nicht als Erlöser sieht. Nachdem die Nachricht vom begonnen Krieg Jardirs gegen die Nordlande die Runde macht und erste Flüchtlinge im Tal auftauchen, macht sich Arlen auf den Weg, die freien Städte und Fürstentümer des Landes gegen Jardir zu vereinen. Während seiner Abwesenheit taucht dieser dann mit seiner Elitetruppe im Tal auf und findet Gefallen an Leesha. Die Konflikte spitzen sich zu und – wer hätte es anders erwartet – werden wohl erst in Band drei ihre Auflösung finden.

Mit seinem zweiten Teil verschärft Brett nochmals die Düsternis seiner Erzählung. Dieses Buch präsentiert sich mit all seiner Gewalt und Sexualität als Musterbeispiel der „Dark Fantasy“. Die Konflikte zwischen Männlein und Weiblein in jeder Kultur auf der einen Seite und die interkulturellen Differenzen auf der anderen bilden sowohl den roten Faden als auch den Hintergrund dieses Bandes. Als diese beiden Potenziale durch das Aufeinandertreffen von Leesha und Jardir auch noch eine Mischung erfahren, gerät der Roman fast schon zu einem Intermezzo in dem eigentlichen Konflikt zwischen Menschen und Dämonen. Beinahe genial muss man es dann nennen, als der Autor quasi so nebenbei noch eine weitere Komponente ins Spiel bringt, die den Leser ahnen lässt, dass die Dämonen keineswegs nur von einem Fressinstinkt gesteuerte Monster sind, sondern eine weitaus größer Macht wohl ihre Finger im weltumspannenden Spiel um Leben und Tod hat und diese Kreaturen in ihrer biologischen Vielfalt nur als Marionetten benutzt.

Gegenüber Teil eins hat Bretts Sprache sich in Ausdruck und Stilsicherheit nicht gewandelt, doch ist deutlich zu spüren, dass sie eine Stufe härter geworden ist. Die detailreiche Darstellung von Kampf, Verletzungen, Gewalt und Sex ist stellenweise sicher nichts für schwache Gemüter, und die Beschreibungen darüber, wie hart und teilweise erbarmungslos in seinen fiktiven Kulturen die Geschlechter miteinander umgehen, weckt durchaus Erinnerungen an reale Geschehnisse in Neuzeit und Geschichte. Dennoch lassen sich die über eintausend Seiten flüssig und fließend inhalieren, ohne Stopp gelangt der Leser ans offene Ende und wird so schnell wie möglich zu Band 3 greifen wollen, um zu erfahren, wie der Kampf um Thesa im Allgemeinen und die Schicksale der Protagonisten im Speziellen ihren Schlusspunkt finden.

Fazit: Peter V. Brett gelingt es mit „Das Flüstern der Nacht“ erneut Spannung zu erzeugen und Leselust zu entfachen. Wirkte Teil eins ungewöhnlich abgeschlossen und rund, so ahnt man bereits im letzten Drittel des vorliegenden Bandes, dass dem dieses Mal nicht so sein wird. Zwar ist auch Teil zwei der Saga in sich stimmig und passend, aber hier wird schnell klar, dass er weit davon entfernt ist, fertig zu sein. Dennoch wird ein Fantasy-Fan auch dieses Werk verschlingen und so zufrieden sein, als hätte er ein exquisites, opulentes Mahl genossen, bei dem man ihm letztendlich „lediglich“ den Nachtisch verweigert beziehungsweise ihn für diesen auf später vertröstet hat. Hütet euch vor dem „Flüstern der Nacht“ – es macht süchtig!


Das Flüstern der Nacht
Fantasy-Roman
Peter V. Brett
Heyne 2010
ISBN: 978-345-352611-2
1008 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 16,00

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