Das Albtraumreich des Edward Moon

„Seien Sie gewarnt. Dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert. Es ist ein grässliches, gewundenes, zweifelhaftes Konvolut von Unsinnigkeiten, bevölkert von wenig überzeugenden Charakteren, geschrieben in trockener, öder Prosa, des öfteren lächerlich und gewollt bizarr.“ So beginnt das bemerkenswerte Romandebüt des Briten Jonathan Barnes.

von Simon Ofenloch

 

Das viktorianische London ist als oft bemühter Hintergrund aus zahlreichen unterhaltsamen Kriminalgeschichten bekannt. In die Riege dieser Abenteuer, deren Speerspitze die Sherlock-Holmes-Erzählungen von Sir Arthur Conan Doyle sein mögen, reiht sich ein weiteres Exemplar, „Das Albtraumreich des Edward Moon“. Eine Geschichte, die in literarischer Tradition steht, aber erfrischend einfallsreich und unkonventionell daherkommt. Ein fantastischer, bizarrer und außerordentlich origineller Roman, der mit dem Leser so manchen Schabernack treibt, indem er ihn in die Irre führt, ihn belügt und betrügt.

Dieses Spiel beginnt schon mit den ersten Sätzen. Man fragt sich lange, wer der mysteriöse Ich-Erzähler ist, der da so tief stapelt. Der mit spitzer Zunge und unverhohlener Misanthropie dem Leser eine Geschichte serviert, die mit jeder neuen Wendung rätselhafter und seltsamer wird. Gleichzeitig mag man sich wundern, wer der widerwärtige Kerl ist, der einen mit gelüftetem Zylinder vom Bucheinband grüßt. Diese Fragen werden erst spät beantwortet.

Bis dahin ist man den raffinierten Possen des Autors aufgesessen. Ist der nicht unbedingt sympathischen, aber faszinierenden Hauptfigur, dem Bühnenmagier Edward Moon, der sich bisweilen privat als Detektiv betätigt, durch die Abgründe der britischen Hauptstadt gefolgt, dem Geheimnis einiger merkwürdiger Todesfälle auf der Spur. An Edward Moons Seite ein nicht weniger merkwürdiger Kompagnon, ein schweigsamer, hünenhafter „Schlafwandler“, der unverwundbar scheint und eine seltsame Leidenschaft für Milch hegt. Und dann ist da noch Mister Cribb, ein überaus hässliches Männlein, das überzeugt ist, die Zukunft zu kennen und rückwärts durch die Zeit zu reisen.

Alles fügt sich zu einer packenden, düsteren Geschichte, die zuletzt einen Bogen in Edward Moons Vergangenheit als passionierter Privatdetektiv schlägt. Die Erzählung gipfelt in einem nahezu apokalyptischen Finale, das ebenso verrückt ist wie alles Vorangegangene, allerdings in seiner drastischen Brutalität entsetzt und den positiven Gesamteindruck des Romans empfindlich schmälert. Zwei bestialische Schlächter sind da am Werk, bizarre Mörder in Schuluniformen, die an die beiden homosexuellen Killer Mr. Wint und Mr. Kidd in dem James-Bond-Werk „Diamantenfieber“ oder die grausamen „Zwillinge“ Finch und Mullet in „Otherland“ von Tad Williams erinnern.

Der Anfang des Textes stapelt tief. Aus dieser Ausgangssituation heraus ist es ein leichtes, etwas Überzeugendes folgen zu lassen. Doch Jonathan Barnes gelingt dies in einem Maße, das alle Erwartungen übertrifft. Ein grandioser Debütroman, der ein unterhaltsames Kuriositätenkabinett aufbietet. Atmosphärisch dicht, einfallsreich und frisch. Eine gelungene Melange aus Kriminalgeschichte, historischem Roman und Fantasyliteratur, mit einer Extraportion an britischem (schwarzem) Humor.

Fazit: Eine Geschichte, wie man sie selten zu lesen bekommt. Ein Roman, der seinesgleichen sucht. Originell, bizarr und albtraumhaft fesselnd. Man möchte hoffen, dass Jonathan Barnes mehr solcher Werke verfasst. Und dabei kein zweites Mal seine Genialität an abscheuliche Gewaltszenen verschenkt.


Das Albtraumreich des Edward Moon
Fantasy-Roman
Jonathan Barnes
Piper 2008
ISBN: 978-3-49270-157-0
400 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,90

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