von KaiM
In „Cryo” geht es um das blanke Überleben. Ein Raumschiff ist nach einem Sabotageakt auf einem Planeten notgelandet und auseinandergebrochen, aber zum Glück haben viele der Reisenden in ihren Schlafkammern überlebt. Doch der Planet ist unwirtlich und tödlich, denn nur solange die Sonne noch auf die Oberfläche der Absturzstelle scheint, reichen die Temperaturen dort zum Überleben. Geht die Sonne erst unter, sinken die Temperaturen extrem ab, und für alles Leben auf der Oberfläche wird es das Ende bedeuten.
In den Höhlensystemen scheint ein Überleben möglich zu sein, aber dafür müssen die Crewmitglieder aus dem Tiefschlaf geweckt werden. Außerdem werden Fahrzeuge benötigt und brauchen genug Energie, um überhaupt die Reise zum Mittelpunkt der Welt antreten zu können. Um das zu erreichen, senden die Spielenden Drohnen aus, um Materialien aus dem Wrack zu bergen, Nahrung zu sammeln, Crewmitglieder zu wecken oder der eigenen Basisstation Upgrades zu verpassen. Alle wollen ihre Position auf dem Planeten so stark wie möglich gestalten. Doch nur, wer eine gute Strategie wählt und seine Gegner im Auge behält, wird am Ende am meisten Einfluss haben, um die Geschicke auf dem Planeten zu lenken.
Das Spiel ist für 2 bis 4 Spieler ab 13 Jahren. Inzwischen gibt es auch eine offizielle Solovariante, die man sich beim Verlag herunterladen kann (aktuell leider nur auf Englisch, den Link dazu findet ihr unten beim Fazit). Der Alterseinstufung nach könnte es sich um ein Spiel an der Grenze zum Expertenspiel handeln, aber allein vom Umfang der Regeln her, würde ich es nicht so einstufen. Durch das Thema und die Art der Interaktion würde ich es tendenziell aber auch nicht mit jüngeren Spielern spielen. Die Zeitangabe von 60 bis 90 Minuten geht durchaus in Ordnung. In den ersten Partien sollten man aber wie immer etwas mehr Zeit einplanen.
Das Material
Schon die Box selbst fällt auf. Eine Zeichnung in einem Stil, der mich ein wenig an Comics aus den 1980er-Jahren erinnert, prägt das Cover. Insgesamt ist es eher schlicht gehalten. Aber die Farben und das Bild eines abstürzenden Raumschiffs hat sofort meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Alles in allem also ein recht verheißungsvoller, optischer Ersteindruck, der sich nach dem Öffnen der Schachtel auch bestätigen sollte. Alle Illustrationen sind ganz im Zeichenstil des Covers gehalten. Das Farbspektrum umfasst viele Pastelltöne und die Ikonografie ist eher ungewöhnlich, aber auffällig und klar gehalten. Ich vermute, das Design polarisiert, aber ich finde es großartig, da es neben der tollen Optik auch Funktionalität nicht vernachlässigt und das Thema super integriert.
Das Spielbrett ist dabei in zwei Zonen aufgeteilt. Während der obere Teil die vier verschiedenen Zonen des Schiffswracks darstellt, haben wir im unteren Teil die rettenden Höhlen. Zudem verfügt jeder Spieler über eine Kontrolltafel, über die seine Arbeiter, die Drohnen, gesteuert werden, der Ressourcenstand markiert wird und Maschinen sowie Upgrades eingesetzt werden. Die Drohnen sind relativ große Kunststoffminiaturen, die entweder auf der Tafel oder dem Spielplan platziert werden. Die Kontrolltafeln fügen sich nahtlos in das Design ein und sind zudem doppelschichtig. Wieder ein schönes Plus, da man viele Dinge darauf verwaltet. Die Ressourcen werden auf Zählleisten abgetragen und jede Leiste hat dafür einen besonders hübschen Würfel spendiert bekommen. Sei es der grün-melierte oder der glitzernd lilafarbene, keiner davon ist 0815, alles ist besonders, aber auch funktional.
Ein kleiner Stapel Karten stellt Maschinen dar, die jeweils für einen von vier verschiedenen Effekten eingesetzt werden können. Dafür werden diese an verschiedenen Stellen unter die Spielertafel geschoben und die Kanten an der Tafel sind auf das Design der Karten abgestimmt, sodass sie sich wie Puzzleteile aneinander fügen. Zu guter Letzt haben wir noch einige Marker und Plättchen, und dann kommen wir auch schon zu dem einzigen, kleinen Kritikpunkt, den ich am Design und an der Handhabbarkeit habe. Es gibt einige Plättchen, die zu kleinen Türmchen gestapelt werden werden müssen, um sie dann auf dem Brett zu platzieren. Diese sind etwas zu klein geraten und das Ganze wird dadurch etwas fummelig. Insbesondere dieser Teil führt auch dazu, dass sich der Auf- und Abbau der Spiels ein wenig länger gestaltet. Verglichen mit vielen anderen Spielen sind wir bei dieser Kategorie aber immer noch im grünen Bereich.
Das war es aber schon mit der Kritik am Material, denn auch die Regeln sind übersichtlich und gut lesbar. Wenn jetzt das Spiel auch noch gut ist, haben wir hier einen echten Hit.
Das Spiel
Der dominierende Mechanismus dieses Spiels ist „Worker Placement“. Hinzu kommen noch Handkarten mit verschiedenen Einsatzmöglichkeiten, der Aufbau einer sehr überschaubaren Maschine und ein klein wenig „Area Control“. Reihum schickt jeder Spieler eine seiner Drohnen in eines der vier Schiffsteile, wobei drei davon den Fokus auf eine bestimmte Ressource setzen und jede Ressource wiederum ein bestimmtes Einsatzgebiet hat. Mit Kristallen bekommt man Energie, mit Nahrung kann man seine Crew aktivieren, mit Werkzeugteilen kann man Maschinen (Karten) bauen und zum Einsatz bringen. Der vierte Teil des Schiffs setzt den Fokus auf den Einsatz der Crew, die man vorher aus dem Kälteschlaf geholt hat. Das besondere an dieser Art des Worker Placement ist, dass man die Drohnen nicht direkt auf ein bestimmtes Feld setzt, sondern alle Aktionsfelder von mehreren Einsatzpunkten aus erreicht werden können. Außerdem sind je nach Spieleranzahl ein unterschiedliche Menge von Einsatzfeldern bei der Bruchlandung zerstört worden. Diese Felder werden komplett zufällig bestimmt, sodass sich dadurch jedes Spiel anders gestalten kann.
Zu jeder Zeit kann man alle seine Drohnen zurückholen, anstatt eine Neue einzusetzen, aber normalerweise wird man zunächst drei Aktionen gemacht haben, bevor man die Drohnen zurückholt. Setzt man seine Drohnen zurück auf das eigene Tableau, darf man Transformationen auslösen, die man sich vorher zusammengestellt hat. Denn durch den Einsatz von Drohnen kann man sich Plättchen nehmen, die man ebenfalls auf seinem Tableau platzieren kann. Diese können dann als Ausgaben oder Einnahmen deklariert werden. Hat man eine Kette vervollständigt, darf man dann die Kosten des ersten Plättchens bezahlen, um den Bonus des Zweiten zu bekommen. Aber anders als in anderen Spielen dominiert die Maschine nicht die Geschicke und man kann auch nicht sehr viel aus ihr heraus ziehen. Sie ist eher dafür geeignet, eine gewählte Strategie zu unterstützen.
Wie gewinnt man?
Der wichtigste Teil des Spiels besteht darin, die schlafende Crew zu aktivieren und in die Höhlen unter der Planetenoberfläche zu retten. Hauptsächlich durch den Einsatz von Nahrung werden die Kollegen aus den Pods geholt und können dann entweder bei der Arbeit unterstützen oder in die Tiefen der Höhlensysteme gebracht werden, bevor die Sonne untergeht und die Kälte all jenen den sicheren Tod bringt, die sich noch auf der Oberfläche befinden. Das ist dann auch ein wesentlicher Punktelieferant, wenn es am Ende darum geht, den Sieger einer Partie zu bestimmen. Am Ende bekommt man nämlich Punkte für jede gerettete Seele und für jede Höhle, die man dominiert. Aber auch wenn die Rettung ein wichtiger Teil ist, so sind noch diverse andere Faktoren für den Sieg wichtig, und nicht immer sind die Ziele der anderen klar ersichtlich. Die Karten, die jeder Spieler hat, können auch als geheime Ziele dienen und so kann man durchaus versuchen, eine Menge Punkte zu machen, ohne sich ausschließlich auf das Höhlensystem zu konzentrieren. Zudem bringen auch Fahrzeuge und Anbauten am eigenen Tableau ein paar Pünktchen. Wer am Ende schließlich am meisten Punkte hat, kann sich als Herrscher dieses Planeten ausrufen und gewinnt damit das Spiel.
Wie fühlt es sich an?
Dies ist kein Spiel der großen Sprünge. Von Anfang an befindet man sich in einem Überlebenskampf. An keiner Stelle hat man das Gefühl, alles im Griff zu haben. Die Zeit ist knapp, die Ressourcen sowieso und einen geraden Weg ans Ziel gibt es eigentlich auch nicht. Somit kann man durchaus behaupten, dass es sich bei „Cryo“ um ein vergleichsweise thematisches Spiel handelt. Man beutet Ressourcen aus, man sabotiert, man erweckt die Crew und bringt sie in zusammengeschusterten Vehikeln in die kalten Höhlen, wo sie hoffentlich eine Weile überleben werden. Manchmal bringt die eigene Drohne gerade mal eine oder zwei Ressourcen, manchmal kann man damit gleich drei wichtige Karten ergattern. Aber selbst wenn man diese Karten auf der Hand hat, benötigt man wieder einige Zeit, um die Karten auch ins Spiel zu bringen. Anders als in anderen Spielen, die sich am Ende anfühlen, als könne man die Welt erobern, ist man hier doch eher bescheiden und froh über jeden Schritt, den man geschafft hat. Der Druck, den das Spiel ausübt, ist nicht für jeden etwas, und das leicht bedrückende Thema spiegelt sich darin perfekt wider.
Es ist toll, wie unterschiedlich man sich ausrichten kann. Während sich einige Strategien aufdrängen und für Anfänger leicht unbalanciert wirken, gibt es andere, die man sich erst im Laufe mehrer Partien erschließen muss. Hinzu kommt ein angenehmer Grad an Interaktion. Sabotagen sind meist nicht übermäßig schmerzhaft und es gibt immer genug Einsatzfelder, um etwas Sinnvolles zu erreichen, auch wenn der gewünschte Einsatzpunkt gerade durch ein Drohne blockiert wird. Die Abrechnung der Siegpunkte nach dem Mehrheitsprinzip bringt gerade gegen Ende eine schöne Spannung in das Spiel, wenn die Zeit langsam knapp wird und die Crewmitglieder nun endlich mit Volldampf in die Höhlen gefahren werden müssen.
Alles in allem gefällt mir „Cryo” sehr. Die Optik und die Komponenten sind wirklich fantastisch und es macht viel Spaß, im Laufe des Spiels die eigene Taktik zu erarbeiten, während man gleichzeitig auf die Aktionen der Konkurrenz reagiert. Auf der anderen Seite fühlen sich gut getroffene Entscheidungen auch nicht wirklich belohnend an. Man hat äußerst selten dieses Hochgefühl nach einem gelungenen Plan, der einen großen Fortschritt zur Folge hat. Es sind vielmehr die kleinen Dinge, die kleinen Rädchen, die ineinandergreifen und den Fortschritt anzeigen. Falls es dann noch gelingt, den richtigen Zeitpunkt für die Rettung der Crew abzupassen und alle wichtigen Dinge zu erledigen, hat man wahrscheinlich gewonnen und dann fühlt es sich an, als wäre alles richtig gelaufen. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.
Den Solo-Modus ist nicht gerade leicht und gut gemacht. Ein eleganter Automatismus lenkt die Geschicke des virtuellen Gegners und ermöglicht einen Spielfluss mit vertretbarem Aufwand zwischen den eigenen Zügen. Insgesamt skaliert das Spiel auch mit verschiedenen Spielerzahlen recht gut. Durch die dynamische Blockade von Einsatzfeldern ergeben sich gerade bei weniger Spielern unterschiedlich gelagerte Partien, und bei voller Besetzung ist ohnehin darauf zu achten, was die anderen Spieler so planen. Die Spielerreihenfolge kann dabei durchaus als sehr schmerzhaft empfunden werden, da man sich nur durch Aufgabe eines eigenen Zuges in eine andere Position bringen kann. Aber insbesondere mit mehr Spielern kann es absolut wichtig sein, sich auch mal vor allen anderen ein Plättchen aussuchen zu können. Außerdem lässt sich dadurch auch das Spiel verkürzen, womit man die Pläne anderer natürlich auf schmerzhafte Weise stören kann.
Spielregeln beim Verlag herunterladen
Solo-Regeln beim Verlag herunterladen (nicht im Spiel enthalten, nur auf Englisch verfügbar)
Fazit: „Cryo” ist zweifellos ein tolles Spiel mit umwerfender Optik und einer für das Genre beachtlichen thematischen Einbettung. Viele werden das Spiel gut finden, wenn sie sich darauf einlassen und das Thema kein Problem darstellt. Aber man muss auch sagen, dass es nicht wirklich ein Alleinstellungsmerkmal hat und es belohnendere Spiele gibt, die ähnliche Mechanismen verwenden. So schade es ist, wird sich das Spiel mit diesem Manko nur schwer gegen viele andere gute „Euro-Games“ durchsetzen können.
Cryo
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 13 Jahren
Tom Jolly, Luke Laurie
Asmodee 2021
EAN: 4015566029378
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,99
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