Classic HârnWorld

Zu dem bereits erschienen Fantasy-Rollenspiel „Classic Hârnmaster“ ist als Setting die Fantasy-Welt „Classic HârnWorld“ veröffentlicht worden. Das Setting ist aber systemunabhängig und kann auch mit anderen Fantasy-Rollenspiel-Regelwerken verwendet werden. Schwerpunkt ist eine realistischere Darstellung der Welt (Politik, Militär, Wirtschaft, Religion etc.), wie man sie vielleicht aus anderen Settings nicht kennt, mit dem irdischen Mittelalter als Inspirationsquelle. Was taugt die Weltbeschreibung, was fehlt und wie realistisch ist das Ganze wirklich?

von Markus Kolbeck

„Classic HârnWorld – Eine realistische Fantasywelt“ ist 2023 bei Ulisses Spiele als edles Hardcover erschienen und begeistert Rollenspieler*innen seit 1983. Es umfasst 304 Seiten und ist mit kleineren Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustriert. Es gibt auch drei ganzseitige, ebenfalls schwarz-weiße Coverbilder sowie mehrere Seiten mit Schwarz-Weiß-Illustrationen von klerikalen Gewändern, Ordenswappen etc. Autoren des eigentlichen Weltsettings „HârnWorld“ sind N. Robin Crossby, Tom Dalgliesh und Edwin King. Als Autoren des auch enthaltenen Moduls „Buch der Burgen“ zeichnen sich Edwin King und Richard Porter verantwortlich. Als Autoren des ebenso enthaltenen „Buch der Götter“ fungierten N. Robin Crossby,  Tom Dalgliesh, John Frazer und Edwin King. Das Universum von „Hârn“ heißt Kelestia, die Welt Kethira, einer der Schauplätze ist der Kontinent Lythia und Hârn ist eine Inselgruppe.

Inhalt

Modul „HârnWorld“:

Im Modul „HârnWorld“ wird die Inselgruppe Hârn gründlich unter die Lupe genommen. Es finden sich Informationen zu Wetter, Klima, Vegetation, Verkehrswegen, Kulturen, dem Feudalismus, der Regierung, Gutswirtschaft, Städten, Gilden, Preisen, Einkommen, Handel, Religion, Geschichte (mit Politik und Kriegen) und Geburtsattributen. Die Geschichtsschreibung erfolgt bis ins Jahr 720 TR (Tuzyn-Rechnung, wird im Band näher erläutert). Ferner wird noch eine Kulturenkarte und eine Bewegungstabelle abgedruckt. Des Weiteren wird hier auch der Kontinent Lythia (vor dessen Nordwest-Küste Hârn liegt) näher beschrieben. Auch hierzu gibt es einen Kulturenkarte, außerdem eine Wirtschaftskarte. Im Kartenindex werden mit Verweisen auf die beigelegte Landkarte die zahlreichen (Stadt)Staaten, Städte und (Meeres)Gebiete vorgestellt. Es finden sich ausführliche Hinweise zu den Sprachen und Sprachfamilien auf dem Kontinent.

Der Planet Kethira findet eigens im Anschluss Erwähnung mit den drei Kontinenten Lythia, Mernat und Kamerand. Den Himmelsbildern wird ein eigenes Kapitel gewidmet, außerdem der Vegetation, den Wind- und Meeresströmungen und der Tektonik sowie dem Vulkanismus des Planeten, ergänzt durch Projektionskarten von Kethira. Im sogenannten „Hârndex“, einem Kapitel zum Nachschlagen, wird auf einzelne Völker, Kreaturen, Gilden, Götter*Göttinnen, klerikale Orden, Ritterorden usw. und die Örtlichkeiten der Insel (samt Verweisen auf die beigelegte Landkarte) wie Nationen, Städte, Festungen, Gebirge, Flüsse etc. eingegangen und Begriffe zu Geographie, Kultur, Politik, Geschichte, Wirtschaft und Religion betrachtet.

Modul „Buch der Burgen“:

In diesem Modul werden acht hârnische Burgen samt Lageplänen der Ortschaften, die sich um die Burgen gebildet haben, beschrieben. Es werden – wieder einmal – Details zu Geschichte, Regierung, Wirtschaft, Steuern, Religion und manchmal Besonderheiten wie Legenden oder spezielle Orte rund um die Burgen genannt.

Modul „Buch der Götter“:

Hier werden Kleriker*innen eingeführt; ihre zentrale Fertigkeit ist das Ritual, die sich nur durch Studium beziehungsweise Belehrung steigern lässt (im Gegensatz zu Zauberspruch-Fertigkeiten, die sich durch Anwendung steigern lassen). Die Gottheiten sehen es nämlich nicht gern, wenn sie von Priester*innen durch Üben belästigt werden. Ihnen stehen keine Zaubersprüche (für die man Erschöpfungspunkte aufbringen muss) zur Verfügung, sondern das Erflehen göttlicher Interventionen beziehungsweise rituelle Anrufungen (die Frömmigkeitspunkte erfordern).

Frömmigkeit erlangt man durch bestimmte Vorgehens- und Verhaltensweisen, wie man sie von einem*einer Gläubigen erwarten kann, beispielsweise durch den Besuch einer Messe. Göttliche Interventionen können verschieden mächtig sein, jedoch eher subtil und eher zum Wohl des Gläubigen, als zum Schaden seiner Feinde. Ansonsten sind sie nicht näher definiert, bis auf die Tatsache, dass mächtigere Interventionen auch mehr Frömmigkeitspunkte kosten und auch vergeblich sein, Bedingungen seitens der Gottheit beinhalten oder Vergeltung durch die Gottheit mit sich bringen können (wie einen Fluch). Rituelle Anrufungen, die am ehesten Zaubersprüchen ähneln, gibt es 31 an der Zahl, jedoch stehen dem*der Kleriker*in nur rund acht bis zehn ausgewählte, je nach Kirche und Zirkel der Macht, zum Erlernen zur Verfügung. Echte Offensivanrufungen sind selten und es gibt auch nur einen Heilzauber; dafür ist in manchen Kirchen Wiederbelebung per Anrufung möglich. Es wird in diesem Modul natürlich auch und vor allem auf die zehn Hauptgötter*göttinnen von Hârn und Lythia und ihre Kirchen (samt klerikaler und Ritter- beziehungsweise Kriegerorden) und dazugehörige Legenden eingegangen.

Anhang:

Im Anhang sind noch Schwarz-Weiß-Abbildungen klerikaler Gewänder, Abzeichen und Wappen der kirchlichen Orden und ein religiöser Kalender abgedruckt.

Landkarten:

In der separaten, beidseitig bedruckten, großformatigen Farblandkarte ist auf der einen Seite die Inselgruppe Hârn abgebildet, auf der anderen Seite in kleinerem Format der Kontinent Lythia, eine Vegetationskarte der Welt Kethira, eine Darstellung der Sprachen und Sprachfamilien auf Lythia, ein religiöser Kalender, Abbildungen der formellen Gewänder der Kleriker*innen der wichtigen hârnischen Kirchen, Abzeichen der klerikalen Orden Hârns und Wappen der Ritterorden Hârns.

Kritik

Die Beschreibungen sind natürlich detailliert bis hin zur Wissenschaftlichkeit, etwa was Vegetation, Tektonik und die zugehörigen Projektionskarten betrifft. Hier mag man sich natürlich fragen, ob so ein hoher Grad an Realismus denn notwendig ist. Interessant sind die Abhandlungen aber auf alle Fälle, auch kann man das ein oder andere Detail (wie einen Vulkanausbruch oder ein Erdbeben) in eine Kampagne einfließen lassen. Somit bin ich nicht gegen den angestrebten Realismus, wenn man weiß, dass man nicht immer alles davon im Kopf haben muss und sich mit dem Einfließenlassen des ein oder anderen Details dann und wann begnügt. Der Quellenband will keine Simulation der Wirklichkeit sein, lediglich fundiert und somit realistisch. Erfreulich auch, dass es für die eigene Geschichtsschreibung durch die Geschehnisse in einer Kampagne ab dem Jahr 720 TR noch Platz gibt, die Geschichte der Welt also danach noch nicht festgelegt ist.

Es werden auch im Modul „Buch der Burgen“ Informationen zu Geschichte, Regierung, Wirtschaft etc. geliefert. Dies geschieht zwar mit Schwerpunkt auf die aufgeführten Burgen, jedoch sind manche der Details redundant, da sie teilweise bereits im Modul „HârnWorld“ behandelt wurden. Es bleibt die Frage, wozu man gleich acht Lagepläne und Beschreibungen von Burgen brauchen kann. Als Ausgangsbasis oder Anlaufstelle für Abenteurer*innen hätten auch eine bis drei Burgen gereicht, und wenn man nicht das Strategiespiel für „Hârn“, das es auch gibt (allerdings nicht in der „Classic“-Reihe), benutzen will, ist die Zahl der Burgen fraglich. Das Modul nimmt aber nicht übermäßig viel Platz im Band ein, sodass es wohl noch in Ordnung geht.  Die Lagepläne der Ortschaften im Modul sind im Text nummeriert beschrieben. Diese Nummern fehlen leider auf den Plänen. Es gibt die korrigierten Lagepläne zum Herunterladen, mehr dazu in dieser Rezension weiter unten unter „Downloads:“.

Auch im Modul „Buch der Götter“ gibt es Redundanzen innerhalb des Quellenbandes und auch des Regelwerks. Was mir aber besonders gut gefallen hat, ist, dass die Kleriker*innen und Gläubigen angehalten sind, um Frömmigkeit zu erlangen, sich auch so zu verhalten, wie es ihrem Glauben geziemt. Die Regeln unterstützen hier also das Rollenspiel deutlich! Was für den ein oder anderen nicht so prickelnd sein dürfte, ist, dass zum Kleriker*innenspielen das Regelwerk nicht ausreicht, sondern man diesen Quellenband zusätzlich erwerben muss. Und das eben auch, wenn man die enthaltene Weltbeschreibung nicht benutzen will, weil man eine eigene Entwicklung oder eine anderes kommerziell verfügbares Weltsetting verwenden will. Alles in Allem halte ich dieses Modul jedoch für gelungen und eine Bereicherung für die Auswahl der Spieler*innen an Berufen. Problematisch ist, dass Spieler*innen, die weibliche Charaktere in Ritter- bzw. Kriegerorden spielen wollen, kaum dazu vorgesehene Orden in Hârn vorfinden. Das im Quellenband erwähnte Modul zur Seefahrt ist übrigens auch nicht dort sowie nicht im Regelwerk enthalten, was es etwas weniger komplett erscheinen lassen mag! Der Umfang dieses Moduls ist dem hohen Stellenwert von Kirchen auf den hârnischen Inseln angemessen.

Etwas merkwürdig ist, dass die Landkarten auf der beigefügten Karte in englischer Sprache beschriftet sind, die Legenden aber in Deutsch gehalten sind. Die restlichen Beschriftungen (Kirchengewänder, Wappen etc.) sind dann aber ebenfalls auf Deutsch beschriftet. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nicht nur wegen dieser wirklich großformatigen Landkarte besser als beim Regelwerk „Classic Hârnmaster“, sondern auch weil „Classic HârnWorld“ fast 90 Seiten mehr zum gleichen Preis umfasst. Leider enthält es auch einige Rechtschreibfehler; so wurden u. a. öfters die Buchstaben „h“, „n“ und „b“ miteinander vertauscht. Es sieht so aus, als hätten sich bei der Konvertierung einer alten Datei für eine neuere Software diese Fehler eingeschlichen. Rechtschreibfehler gibt es auch schon in „Classic Hârnmaster“ und auch oft in der restlichen „Classic“-Reihe. Das ist, besonders für Sammler*innen, ein eklatanter Schwachpunkt der Reihe!

Downloads:

Die korrigierten Lagepläne für das Modul „Buch der Burgen“, sowohl als Handout in Farbe für die Spieler*innen, als auch als Schwarz-Weiß-Karten mit den Nummerierungen für den*die Spielleiter*in, kann man auf der Webseite von Ulisses Spiele (www.ulisses-spiele.de) unter „Downloads“ (einfach dort nach „Hârn“ suchen) finden. Zusätzlich gibt es in der gleichen Download-Datei den nummerierten Lageplan in Farbe der Ortschaft Chendy aus dem Abenteuer „Die Toten des Winters“ aus dem Regelwerk „Classic Hârnmaster“. Außerdem kann man dort das Charakterblatt und einen Wabenbodenplan zum Ausdrucken herunterladen.

Fazit: Am besten ist wohl das Modul „Buch der Götter“, gleich gefolgt vom Modul „HârnWorld“, weil beide sehr nützlich für die Ausstaffierung der Welt sind. Das Modul „Buch der Burgen“ weiß nicht ganz so gut zu gefallen; jedoch kann es seinen Nutzen entfalten, wenn man Belagerungen oder Verteidigungen von Burgen durchspielen will (mit einem entsprechenden, separaten Regelwerk) oder eine Burg als Ausgangsbasis für Charaktere braucht. Liebhaber*innen von Priester*innencharakteren kommen natürlich nicht ohne diesen Band aus, wenn sie „Hârn“ spielen wollen (diesen Regelteil hätte man aber gut und gerne vom Umfang noch ins Regelwerk aufnehmen können). Falls man nicht auf kommerzielle Abenteuer zurückgreifen will, kann man in dem Quellenband gut und gerne Ideen für eine oder vielleicht auch mehrere Kampagnen finden. Für Fans von realistisch und fundiert beschriebenen Welten ist das Fantasy-Rollenspiel-Setting „Classic HârnWorld“ eine Empfehlung wert! Abgesehen von meiner Empfehlung muss aber jede*r selbst wissen, ob er*sie den Band trotz der genannten kleineren Makel erwirbt!

Classic HârnWorld
Quellenband
N. Robin Crossby, Tom Dalgliesh, Edwin King u. a.
Ulisses Spiele 2023
ISBN: 978-3-98732-054-5
304 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 49,95

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