von Bernd Perplies
Erzählt wird vom Exodus der Sternenbund-Streitkräfte unter dem Kommando des legendären General Aleksandr Kerensky. Nachdem 2781 der Sternenbund gescheitert zu sein scheint und die Hauslords der Inneren Sphäre beginnen, nur noch ihre persönliche Machtzunahme zu verfolgen, ruft General Kerensky die „Operation Exodus“ aus und macht sich mit einem Großteil der SBVS auf den Weg, irgendwo jenseits der Peripherie ein neues Leben zu beginnen, das die alten Ideale des Sternenbunds weiterhin ehrt. Neben Tausenden von Soldaten und Zivilisten begleiten ihn auch seine beiden Söhne, Nicholas, der zielstrebige, unnahbare Militär und Andrej, der junge – würde man nicht so viel Sympathie für ihn empfinden, würde man sagen – Looser, der seinen Weg noch nicht gefunden hat und, von Selbstzweifeln geplagt, zum Spielball seiner feindlichen Umwelt wird. Denn so problemlos vollzieht sich die Odyssee ins Unbekannte nicht. Rebellische Elemente unterminieren die Vision des Generals, sei es aus persönlichem Machtstreben, zunehmender Entbehrung der Annehmlichkeiten des Lebens in der Inneren Sphäre oder der erneuten, schleichenden Verführung zu falschem, isolationistischen Hauspatriotismus, welchem Kerensky doch eigentlich hatte entfliehen wollen. Immer wieder stehen die Ideale des Sternenbunds auf dem Prüfstand, nicht nur während der Reise durchs All, sondern auch, nachdem man auf den Pentagon-Welten eine neue Heimat gefunden zu haben glaubt. Und am Ende steht ein zweiter Exodus.
Diese Inhaltsangabe kann nur fragmentarisch sein, denn im Gegensatz zu vielen anderen BattleTech-Romanen erzählt „Clangründer: Abkehr“ keine kompakte Geschichte in einem überschaubarem Zeitfenster. Vielmehr zeichnet Randall Bills Stück für Stück und immer wieder mit Sprüngen von mehreren Jahren zwischen den Kapiteln die Entwicklung und das Scheitern der Vision einer der berühmtesten Gestalten des BattleTech-Universums nach. Die Perspektive ist dabei die des jungen Andrej, was auf den ersten Blick etwas irritierend sein mag, vor allem, wenn man die politisch in höchsten Ebenen spielenden Romane von Michael Stackpole zum Vergleich heranzieht – ein Vergleich, der so abwegig nicht ist, wird doch sowohl in vielen Stackpole-Romanen als auch hier nun „große“ BattleTech-Geschichte geschrieben.
Doch vielleicht ist diese Herangehensweise auch ganz geschickt. Wie nähert man sich einem Giganten vom Schlage Kerenskys? Entweder man zerbricht sich exzessiv den Kopf über das Innenleben solch eines Mannes und riskiert bei dem Versuch der Charakterisierung dieser tragischen Figur von griechischen Ausmaßen trotzdem, dass die Fans unzufrieden sind. Oder man tritt von außen an ihn heran, mit der vielleicht unbescholtensten, naivsten Figur des Romans, die perfekt die eigene Lage als Autor spiegeln kann und von den historischen Ereignissen genauso überrollt wird, wie man selbst, derweil sich sukzessiv die völlig subjektive Meinung des Lesers über General Kerensky bildet (womit man als Autor aus dem Schneider ist).
Andrej ist eigentlich ein bis ans Schmerzhafte grenzender Antiheld. Selten ist mir in einem BattleTech-Roman ein Protagonist untergekommen, der so überfordert von seiner Umgebung war. Er ist ständig unsicher, macht Fehler, lässt sich manipulieren, versagt im Kampf und ist ebenso gestört in seiner Beziehung zu seinem Vater wie der zu seinem Bruder. Auch in der Liebe wäre er eine Niete, würde ihn seine Zukünftige nicht nachhaltig zum Handeln ermuntern. Der Kontrast wird umso stärker, wenn man bedenkt, dass um ihn herum überall Legenden stehen, die sich in zahlreichen Schlachten des Sternenbundes verdient gemacht haben.
Und trotzdem schafft es Bills, ihn irgendwie sympathisch rüberkommen zu lassen. Man fiebert nicht direkt mit seinem Schicksal mit – dem stehen leider die allzu großen Zeitsprünge entgegen, die einen ständig nachblättern lassen, wie viele Jahre nun schon wieder vergangen sind –, aber man hat Anteil an seiner Entwicklung und wartet sozusagen von Kapitel zu Kapitel darauf, dass Andrej sich endlich seinen Dämonen stellt, dass er Selbstsicherheit entwickelt, aktiv wird, seinem Bruder die Stirn bietet und aus der Opferrolle hervorbricht – sprich, dass er endlich ein Mann wird, wie es das BattleTech-Universum verlangt. (Ganz abgesehen davon wartet man natürlich auch auf die Bildung der Clan-Gesellschaft, doch von der ist konkret in diesem ersten Band noch auf keiner Seite die Rede, auch wenn bereits diverse Andeutungen auf die kommende Entwicklung gemacht werden.)
Freunde zünftiger Mechduelle werden von dem Buch möglicherweise enttäuscht sein. Es gibt sie praktisch nicht, was vor allem damit zusammenhängt, dass die Geschichte zunächst auf einer Reise durch den Weltraum spielt und danach den Aufbau einer neuen Gesellschaft beschreibt. Doch die historische Größenordnung der Handlung macht meines Erachtens den Mangel an kriegerischem Schlagabtausch wett. Abgesehen davon handelt es sich hier um den ersten Band einer Trilogie. Es gibt also noch viel Potential, das sich vor allem zum Ende des Romans zu entfalten beginnt.
Vielleicht noch zwei Sätze zum Drumherum: Das Cover zeigt, passend zur Handlung (manch einer nennt dies sarkastisch bereits eine kleine Revolution des Genres), den Abflug zahlreicher Landungsschiffe von einem Planeten. Im Vordergrund steht der BattleMech Aleksandr Kerenskys. Persönlich finde ich den Zeichenstil etwas grob und qualitativ hinter dem zahlreicher Heyne-Romane zurückbleibend. Auch die Leimbindung war in meinem Fall etwas hart, sodass das Buch nach einem Lesedurchgang (und ich lese sehr vorsichtig) am Rand bereits „aus dem Leim“ zu gehen droht. Sehr schön ist allerdings erneut der angehängte Glossar, der neben militärischen Begriffen auch historische Ereignisse erklärt und damit Neulingen und Wiedereinsteigern den Zugang ins Universum erleichtert.
Fazit: Fans des BattleTech-Universums können an diesem Roman mit seinen historisch weit reichenden Ereignissen eigentlich nicht vorbeigehen. Dabei ist die Geschichte eher ruhig und der Protagonist überraschend wenig heldenhaft. Als „typischen“ BattleTech-Roman wird man „Clangründer“ daher nicht unbedingt bezeichnen – was ihn deswegen kein bisschen weniger lesenswert macht (eher im Gegenteil). Freunde zünftiger Metall- und Materialschlachten sollten allerdings eher zu einem anderen Roman greifen; Wahnsinn und Methode beispielsweise...
Clangründer 1: Abkehr (Classic BattleTech-Roman Nr. 1)
Rollenspiel-Roman
Randall Bills
Fantasy Productions 2004
ISBN: 3-89064-596-8
333 S., Taschenbuch, deutsch
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