von The Masked Menace
Mongoose Publishing hat es sich seit einiger Zeit auf die Fahnen geschrieben, unabhängigen Autoren und kleinen Verlagen mit geringer Erfahrung bei der Herausgabe von Rollenspielen ein Forum zur Veröffentlichung und dem Vertrieb ihrer Produkte anzubieten. Unter dem Label „Flamming Cobra“ werden daher einige ausgesuchte Rollenspiele vertrieben. Eines davon ist das „Chimaera Roleplaying Universe Core Rulebook“. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei dem Buch um ein Grundregelwerk, das 255 Seiten dick und durchgehend in Schwarz-Weiß gehalten ist um als Softcover daherkommt. Das Softcover-Format ist meiner Meinung nach für ein Grundregelwerk allerdings eher ungeeignet. Hier hat man an der falschen Stelle gespart. Für die nächste Edition – wenn es denn eine geben sollte – wäre eine Hardcover-Ausgabe sicher sinnvoller.
Wie es sich für ein Rollenspiel gehört, das nach einer Comic-Vorlage geschrieben wurde, findet man eine Menge Bilder im Inneren. Die Qualität von diesen reicht von sehr gut bis sehr schlicht. Auffällig sind die extrem unterschiedlichen Zeichenstile, die von „kantig“ bis „grobe Skizze“ ein breites Spektrum abdecken. Unerfreulich fand ich, dass etliche Zeichnungen doppelt oder sogar dreifach verwendet wurden. Diese beiden Aspekte sind offenbar dem Umstand geschuldet, dass das gesamte Verlagsprogramm der Chimaera Studios in das Rollenspiel eingeflossen ist. Dieses ist einerseits breit gefächert, andererseits sind die allein den USA erhältlichen Serien in den meisten Fällen bisher nicht über das erste halbe Dutzend Hefte hinausgekommen. Das schränkt die Auswahl für das Artwork allem Anschein nach etwas ein. Zu guter Letzt ist die Bebilderung leider völlig vom Inhalt des Textes losgelöst.
Als Pluspunkt ist zu bewerten, das die Macher reichlich Erfahrung bei DC, Marvel und Dark Horse gesammelt haben und unter anderem bei den ewig populären Serien wie „Batman“ und „Fantastic Four“ mitgearbeitet haben. Und was man von den Comics im Anhang zu sehen bekommt, auch wenn es fast ausschließlich Teaser und Previews sind, welche sage und schreibe 15 Seiten einnehmen, kann sich sehen lassen. Auch der kurze Comic „The Tragedy of Titus“, der hier abgedruckt ist, zeigt, dass hier durchaus auch Könner am Werk sind.
Jetzt aber zum eigentlichen Inhalt und Aufbau. Zu Beginn bekommt man eine Einführung in das Comic-Universum, seine extrem skizzenhaft gestaltete Geschichte, und für alle Neulinge des Rollenspiels die obligate allgemeine Einführung und eine Erklärung der wichtigsten Begriffe.
Danach geht es zur Charaktererschaffung. Man kann Helden oder Bösewichte spielen. Das Ganze ist als interaktiver Prozess zwischen Spieler und Spielleiter angelegt, eine Prozedur, die meiner Meinung nach für Anfänger nicht gut geeignet ist. Erfahrene Spieler werden sich relativ schnell zurechtfinden, wer aber von Rollenspielen keine Ahnung hat, der wird hier sehr schnell an seine Verständnisgrenzen stoßen. Witzig fand ich die Idee, dass der Spielleiter parallel zum Spieler Würfe durchführt, und entscheiden kann, welche Würfelergebnisse zur Charaktererschaffung genutzt werden.
Im Anschluss werden Attribute und Abilities sowie einige Superkräfte und Fertigkeiten vorgestellt. Jedes Attribut wird kurz vorgestellt und seine Einsatzmöglichkeiten werden umrissen. Danach werden beispielhafte Fertigkeiten repräsentiert, wobei diese mitunter willkürlich zugeordnet scheinen und auch mehrfach betont wird, dass man sich weitere Attributsverwendungen und Fertigkeiten ausdenken kann. Alles in allem mutet das Ganze eher wie ein Brainstorming an, als wie eine repräsentative Beispielliste, mit der jemand arbeiten kann. Dieses Verwirrspiel dauert satte 35 Seiten. Ein Index wäre sehr hilfreich gewesen, fehlt aber völlig. Den Abschluss machen ein paar Vorschläge, wie ein Superheld im normalen Leben seine Brötchen verdienen kann.
Auffällig ist der „lockere“ Sprachgebrauch, der mich etwas irritiert hat. Allgemeine Slangausdrücke und umgangssprachliche Redewendungen verleihen dem Ganzen zwar einen gewissen Charme, aber vieles ist überflüssig und trägt zum Spiel an sich in keiner Weise bei, sondern gibt lediglich dem Autor eine Bühne, um seine Meinung zu verschieden Themen kund zu tun.
Zum Thema „Reiten“ fällt dem Autor etwa ein, dass Pferde Menschen hassen, weil diese sie als Nutztiere verwenden und am Ende in die Leimfabrik schicken. Die Fertigkeit „Reiten“ erlaubt es, sich auf ein Pferd zu setzen, ohne dass es einen beißt oder abwirft. „Reiten“ sei eine wichtige Fertigkeit, wenn absolut keine andere Beförderungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Wenn jemand die Fertigkeit „Mathematiker“ erwirbt, so versichert ihm der Autor, dass sein Charakter dann keine Probleme mit Steuererklärungen haben dürfte. Im Nebensatz lässt er den Leser dann auch wissen, dass er es hasst, Steuererklärungen abzugeben. Manchen Leser mag diese lockere Schreibe beim Lesen unterhalten. Ich bevorzuge in einem Regelwerk eine gradlinigere Sprache.
Ab Seite 67 werden über 13 weitere Seiten die Regeln erläutert. Das Regelsystem basiert auf Prozentwürfen, ist einfach gestaltet und sehr allgemein gehalten. Weitere Regeln sind in der Sektion für den Spielleiter zu finden.
Als erstes wird die Charaktererschaffung aus der Sicht des Spielleiters Schritt für Schritt erklärt. Dann werden auch Superkräfte näher erklärt und wie sie im Spiel funktionieren. Hier ist der Ton erfreulich sachlich gehalten, und die Konfusion der Spielersektion klärt sich langsam auf. Am Ende der Sektion soll sich der Spielleiter einen eigenen Charakter, eine Spielleiterpersönlichkeit entwerfen. Dahinter steckt aber lediglich die Idee, dass der Spielleiter Buch über den Fortgang seiner Spielrunden führt. Wichtige Dinge werden dort festgehalten, so etwa, wie viele Spielercharaktere getötet wurden, wie viele Gebäude zerstört oder wie viele Ziele die Gruppe geschafft hat. Wofür diese Zahlen allerdings benötigt werden, wird nicht gesagt – möglicherweise für ein XP-Scoring wie bei „Dungeons & Dragons“.
Darauf folgt eine Schritt-für-Schritt-Anweisung wie man Abenteuer und Kampagnen entwickelt. In sechs Schritten zum spielbaren Abenteuer: Das ist für Anfänger sicher hilfreich, lässt aber für Rollenspiel-Veteranen viele Feinheiten wie Subplots weitestgehend unberührt. Da hätte man noch Einiges an dramatischen Kunstgriffen einfügen können.
Um das gerade Gelernte in Aktion zu sehen, werden im Nachgang fünf (!) Beispielkampagnen und ein Kampagnenabschluss vorgestellt. Hört sich gut an, ist aber irreführend – jede der vorgestellten „Kampagnen“ ist tatsächlich nur eine grobe Abenteuerskizze, die alle inhaltlich miteinander verbunden sind. Die wichtigsten NSC werden mit separaten Charakterbögen abgehandelt. Auf den Bögen stehen jedoch nur rudimentäre Informationen, die eigentliche Info passt auf eine Viertelseite. Die Abenteuer selbst sind extrem einfach gestrickt und wirken lieblos.
Als nächstes werden Kreaturen beschrieben: Zombies, Minotauren, Haie, Gorillas, Riesen, Schlangen und Raben. Es wird nur Allgemeines über diese Wesen (ja, nur diese Wesen!) aufgeführt, und auf Spielwerte wurde komplett verzichtet.
Die darauf folgende Sektion präsentiert etablierte Stars des „Chimaera“-Universums: White Mantis, Dead Bolt und First Lady… soweit ich das verstehe, sind das alles Helden aus der zweiten Reihe. Ich hätte Titus und Wargod, National Guard oder Lone Bow erwartet, das sind augenscheinlich die prominenten „Zugpferde“ des Franchise. Die Sektion hätte man sich leider nahezu komplett sparen können. Dass die Personen in Form von Charakterbögen vorgestellt werden, ist noch akzeptabel. Dass diese aber weder beschrieben, noch ihre Persönlichkeit und Geschichte wenigstens angerissen werden, sondern stattdessen lediglich auf Spielwerte reduziert werden, reduziert den Informationswert für den Spielleiter praktisch auf Null. Das Brauchbarste ist eine Tabelle, die es einem erlaubt, sich schnell ein paar NSC zu erwürfeln.
Die Sektion über Religionen, die darauf folgt, ist genauso hilfreich wie die vorhergegangenen. Kurz werden die auf Gott basierenden Religionen in einen generellen Topf geworfen (wobei auffällt, dass man den Islam außen vor gelassen hat), und dann werden Naturreligionen und Schamanismus in einen Topf geworfen. Die Information, die man dabei erhält, geht nicht über eine wenig fundierte Allgemeinbildung hinaus. Schließlich wird dem Spielleiter vorgeschlagen, sich selbst ein paar Götter und Religionen auszudenken. Dazu soll er das bei den oben genannten Religionen verwendete Format verwenden.
Im Anschluss folgt die ultimative Waffe des Spielleiters, um Spieler in den Griff zu bekommen, die zu viele Kollateralschäden verursachen (hier wird die Buchführung hinsichtlich der zerstörten Gebäude interessant): Es ist ein Versicherungsagent/Rechtsanwalt, der den Spielern eine saftige Rechnung präsentiert. Eine schöne Liste zeigt, was es kosten kann, ein paar Gebäude der Stadt zu beschädigen, oder mit welchen Strafen man rechnen muss, wenn man zu begeistert seinem Heldenjob nachgeht. (Wenn Batman jedes Mal eine Rechnung bezahlen müsste, wenn irgendetwas oder irgendwer zu Bruch geht, müsste Bruce Wayne wahrscheinlich betteln gehen.) Ich kenne eine Menge Leute, die nach einer solchen Begegnung als Schurken weiterarbeiten würden, denn Held zu sein zahlt sich offensichtlich nicht aus – und bei Schurken ist das wirklich nur ein stumpfes Schwert.
Nach all den Dingen, die ich bisher bemängeln musste, gibt es natürlich auch ein paar Sachen, die mir gefallen haben. Das modulare Waffendesign fand ich ganz ansprechend – damit lässt sich auf die schnelle jede Art von (Schuss-)Waffe zusammenstellen. Ein paar typische Waffen – ohne Werte – runden das Kapitel ab.
Eine etwas ausgeschmückte Zeitlinie für das „Chimaera“-Universum vermittelt dem Spielleiter gegen Ende noch ein wenig Hintergrundwissen.
Den Abschluss macht ein Anhang mit Tabellen und Charakterbögen – diese beinhalten nicht nur die obligatorischen Leerbögen zum Kopieren, sondern auch (noch einmal) die Bögen aller Charaktere, die zuvor bereits vorgestellt wurden. Die eingangs erwähnte Preview Art zum Abschluss des Buches konnte mich dann auch nicht mehr versöhnen. Wenn Mongoose schon so etwas veröffentlicht, sollte wirklich mehr auf die Qualität geachtet werden.
Fazit: Das „Chimaera Roleplaying Universe Core Rulebook“ mag ein netter Versuch gewesen sein, der leider in weiten Teilen gescheitert ist. Ein Rollenspiel zu einer in Europa kaum bekannten Comic-Vorlage, das es ermöglicht, sowohl Helden als auch Schurken zu spielen, und das zudem recht einfach gehaltenen Regeln hat, hört sich im ersten Moment ganz gut an. Leider mangelt es an der Ausführung: Die Regeln sind umständlich beschrieben, sodass Anfänger leicht überfordert werden. Das Artwork weist qualitativ sehr starke Unterschiede auf. Der lockere Umgangston ist zwar meistens unterhaltsam, aber nicht wirklich informativ. Und die Softcover-Ausführung eignet sich nicht wirklich für den exzessiven Spieleinsatz, den ein Grundregelwerk normalerweise aushalten muss.
Chimaera Roleplaying Universe Core Rulebook
Grundregelwerk
George T. Singley, Michael D. Murphy
Mongoose Publishing 2008
ISBN: 978-1-906103419
255 S., Softcover,englisch
Preis: $ 34,95
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