Charakterhandbuch

Mit dem „Charakterhandbuch“ haben die Jungs von der Sonnenfeste einen richtig dicken Wälzer auf den Markt gebracht. Knapp 400 Seiten Regeloptionen, Hintergründe, Talente, Makel, neue Rassen, Berufe und Fertigkeiten, ganz getreu dem Motto des Buches: Nieder mit dem zweidimensionalen Charakter! Schauen wir es uns doch näher an.

von Nicolas Hohmann

In dem für das deutsche „Rolemaster“ typischen Gewand – brauner Rahmen und geniales Cover von Lucio Parillo – kommt das „Charakterhandbuch“ daher. Schon die äußere Inspektion verspricht viel Material, denn 384 Seiten aus qualitativ hochwertigem Papier wurden zwischen die zwei Hardcoverdeckel gepresst. Zwei Lesezeichen erlauben die Markierung wichtiger Seiten oder den aktuellen Lesestand. Blättert man das Buch durch, so fällt sofort auf, dass sich die Sonnenfeste in Sachen Innenabbildungen mit diesem Werk selbst übertroffen hat. Vor allem die doppelseitigen Bilder sind sehr gut gelungen und vermitteln das richtige Fantasyflair. Allerdings fällt auch direkt auf, dass die Abbildungen der Rassen und Menschenkulturen sowohl von der Kolorierung als auch vom Zeichenstil her nicht mit dem Rest der Abbildungen mithalten können.

Inhaltlich wendet man sich zunächst den Rassen und Kulturen zu. Waren es im Grundregelwerk zunächst nur fünf Völker, welche man wählen konnte, so wird mit dem Charakterhandbuch die Auswahl um Hoch- und Grauelfen, Menschenhybride, normale und große Orks, Halborks und Halbelfen auf insgesamt 10 erweitert. Außerdem müssen alle Menschen und Menschhybride eine Kultur wählen, aus der sie stammen, womit die Anzahl an Optionen weiter steigt. Die fünf Völker aus dem Grundregelwerk wurden der Vollständigkeit halber, damit man alle relevanten Regeln zur Charaktererschaffung in diesem Handbuch findet, ebenfalls noch mal abgedruckt. So verhält sich das später auch mit den Berufen, Ausbildungspaketen und Fertigkeiten.

Weiter geht es mit den Berufen. Alle bislang publizierten Berufe aus dem Grundbuch, dem „Kampfhandbuch“ und dem „Zauberbuch“ wurden hier abgedruckt, neu sind lediglich der Laie und der Gelehrte hinzugekommen. Immerhin neu ist bei jedem Beruf die erweiterte Liste mit den Ausbildungspaketen aus dem „Charakterhandbuch“. Denn der Charakter lässt sich nach der Wahl des Berufs noch etwas genauer durch die Wahl eines Ausbildungspaketes ausdifferenzieren. Das „Charakterhandbuch“ enthält nun insgesamt 56 verschiedene Pakete vom Fechter über den Bibliothekar, Berserker und Spion hin zu Tierarzt oder Klatschtante. In diesen 56 Ausbildungspaketen sind ebenfalls die alten aus den vorangegangenen Publikationen abgedruckt, doch die meisten sind tatsächlich ein Novum.

Der Charakter lässt sich weiter durch eine ausführliche und vollständige Liste an Talenten und Makeln verfeinern. Talente und Makel lassen sich in die Untergruppen körperlich, geistig und mystisch einteilen und umfassen eine Fülle an besonderen Eigenschaften, sei dies nun ein Zauberspruch, den man in der Kindheit gelernt hat, eine besondere Angriffstechnik, eine ausgesprochen schöne Stimme, ein photographisches Gedächtnis oder die Fähigkeit der Telekinese. Doch auch die wählbaren Nachteile sind nicht ohne. So lassen sich beispielsweise Charaktere, die nur einen Arm haben oder an Lykantropie leiden, die einem besonderen Ehrenkodex folgen oder sich eben einen Magier zum Erzfeind gemacht haben, erschaffen. Dem SL werden verschiedene regeltechnische Möglichkeiten und Tipps an die Hand gegeben, mit denen er ausufernde und unlogische Wahlkombinationen seitens der Spieler in Schach hält.

Weiterhin führt das „Charakterhandbuch“ ein System für Stand, Ehre und Abstammung ein, und es werden Regeln für die Bestimmung der Kinder- und Jugendzeit des Charakters geliefert, bevor es zu einem weiteren Kernstück des Buches geht: den Fertigkeiten. Insgesamt nehmen die Fertigkeitsbeschreibungen und neuen Regeloptionen mit etwa 140 Seiten mehr als ein Drittel der Seitenzahl ein, somit verfügt „Rolemaster“ über eines der detailliertesten Fertigkeitssysteme, wobei dieser Detailgrad natürlich nur rein optional ist. Die beschriebenen Fertigkeiten entstammen allen Gebieten, die man sich nur vorstellen kann. Es sind die Basisfertigkeiten aus dem Grundbuch wie Diplomatie oder Poesie mit drin, aber auch so exotische Fertigkeiten wie Lykantropie kontrollieren, Trance Tod, Manöver unter Benommenheit oder Realität wahrnehmen. Alle sind in dem aus dem Grundregelwerk bekannten Schema verfasst und enthalten nebst Beschreibung auch noch Spezialisierungen und beispielhafte Schwierigkeiten, damit der SL ungefähr einschätzen kann, was man mit dieser Fertigkeit machen kann. Insgesamt sind es 243 einzelne Fertigkeiten, die einem geboten werden.

Die Regeln zur Erschwerung von Magie sind sehr gut gelungen. Es geht prinzipiell um die Frage, wie man das Wirken von Magie und die Anzahl an Zauberwirkern unter SC und NSC reduzieren kann, wenn man in einem Low-Fantasy- oder Low-Magic-Setting spielen möchte. Nebst der Einführung einer maximalen Anzahl pro Gruppe, was ja recht nahe liegend ist, werden besondere gegen Magier gerichtete Monster eingeführt, sowie Regeln zur Akkumulation von Korruptionspunkten, die durch exzessives Zauberwirken entstehen. Alles in allem hilfreich und stimmig. Zu guter Letzt wäre wohl kein „Rolemaster“-Regelbuch ohne einen Tabellenteil komplett. Im letzten Kapitel findet man, durch die Wahl rein weißen Papiers abgehoben, die wichtigsten Tabellen aus dem „Charakterhandbuch“ zum schnellen Nachschlagen, gefolgt von einem Index, der jedoch nur Talente und Makel umfasst.

Inhaltlich ist das „Charakterhandbuch“ ein reines Regelwerk mit sehr, sehr vielen Optionen zum Charakterbau. Zum großen Teil ist der gebotene Inhalt sehr gut, und wer sich nicht nur auf die Grundregeln beschränken möchte, sondern „Rolemaster“ in seiner ganzen Pracht spielen will, der kann auf dieses Buch nicht verzichten. Ein mit den hierin gebotenen Optionen gebauter Charakter sollte im Spiel wirklich das leisten, was sich der Spieler von ihm wünscht, und so detailliert sein, dass intensives Charakterspiel möglich ist.

Streiten kann man sich über den Abdruck der bereits schon einmal publizierten Rassen, Berufe etc. Das Vorhaben, alles in einem Buch zu kompilieren, ist zwar sehr löblich, doch wird jede Gruppe mit dem „Charakterhandbuch“ auch auf das „Kampfhandbuch“ und „Zauberbuch“ zurückgreifen wollen, und sei es alleine wegen der Zauber bis Stufe 50, sodass man die Seiten auch als verloren werten kann, wenn man denn will. Ein zweites Manko, das erwähnt werden muss, ist das schlechte Lektorat des Buches. Nicht nur Rechtschreibfehler finden sich vermehrt, auch ein redaktionsinterner Vermerk wurde mit abgedruckt.

Fazit: Abschließend halte ich das „Charakterhandbuch“ für ein gutes Produkt und einen integralen Bestandteil der „Rolemaster“-Regeln, der in keiner Gruppe fehlen sollte.


Charakterhandbuch
Regelbuch
Coleman Charleton, Erik Dewey, John Curtis III, Peter Mork u. a.
Sonnenfeste 2008
ISBN: 9783981171884
384 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 44,95

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