Bram Stoker's Dracula

Seit Bram Stoker 1897 seinen Roman über den untoten Vampirfürsten Dracula veröffentlicht hat, ist diese Figur zu einem der berühmtesten Bösewichte der Literaturgeschichte und Popkultur aufgestiegen. Die Medien, die sich mit ihm beschäftigen, von Fortsetzungsromanen über Comics bis hin zu Kinofilmen, sind Legion. 1992 verfilmte Francis Ford Coppola die Geschichte als schwülstig-blutige Leinwandoper. Der vorliegende Comic – die Neuausgabe einer vierteiligen Mini-Serie aus dem Jahr 1993 – ist die Adaption jenes Films.

von Frank Stein

Na und?, könnte man denken. Noch eine „Dracula“-Adaption. Auch im Comic ist das nun nichts Neues. Trotzdem ist diese hier in zweifacher Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen basiert sie – wie gesagt – auf dem Film von Coppola und kommt damit noch ein gutes Stück theatralischer und symbolbefrachteter daher als sonst. Zum anderen – und das macht den Comic wirklich besonders – liegt hiermit ein, wenn man so will, Übergangswerk des (heutigen) Comic-Stars Mike Mignola vor, der bis dato nur für Marvels und DCs Superheldenwelten gearbeitet hatte und nach der Arbeit für Coppola mit seiner Eigenschöpfung „Hellboy“ (natürlich auch ein Schauerstoff) zu Weltruhm gelangen sollte. Mignola arbeitete übrigens direkt im Umfeld der Filmproduktion, sodass er in unmittelbarem Austausch mit Coppola seine ausdrucksstarken, von Hell- und Dunkelflächen dominierten Bilder zu Papier brachte.

Die Geschichte dürfte hinlänglich bekannt sein. Ende Mai 1897 trifft Immobilienmakler Jonathan Harker in Transsylvanien ein, um einem exzentrischen alten Grafen namens Dracula ein Anwesen in London zu verkaufen. Doch der Gastgeber entpuppt sich als unheiliger Schrecken, der Harker auf seiner Burg in der Einsamkeit festsetzt, bevor er selbst sich nach London aufmacht, um dort seine Albträume zu verbreiten – und um Harkers Verlobte Mina zu erobern, in der er seine vor 450 Jahren verstorbene Geliebte wiederzuerkennen glaubt. Nächte des Grauens schließen sich an, bis sich eine kleine Gruppe entschlossener Männer unter der Führung des eigenwilligen Akademikers Abraham van Helsing  aufmacht, um Dracula die Stirn zu bieten.

Stärker noch als im Originalstoff arbeiten Coppola und die Comic-Schöpfer die tragische Seite von Dracula heraus, des Mannes, der im Spätmittelalter im Kampf gegen die Türken seine junge Frau verliert und über ihren Selbstmord wahnsinnig wird, Gott entsagt und zu dem unsterblichen Monster wird, das wir kennen. So bleibt bei aller Abscheu über Draculas bestialische Seite immer ein Rest von Mitleid, den auch Mina verspürt, die gegen Ende der Geschichte eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Grafen spielen wird. Eine gelungene Interpretation des Stoffes.

Gelungen ist auch in jeder Hinsicht der Transfer vom Film zum Comic. Autor Ray Thomas schafft es, die Filmhandlung auf die Seiten zu bannen, ohne dass sie irgendwie gehetzt oder verstümmelt wirken würde, ein Problem, das immer wieder bei Comic-Adaptionen gerade von actionlastigen Filmen auftritt. Der wahre Star ist und bleibt aber Mignola, dessen ganz eigener Stil fantastische und in ihrem Minimalismus großartig auf den Punkt gebrachte Bildkunstwerke entstehen lässt. Wie aus einem Pfauenauge eine verzerrte Monsterfratze wird, die doch in Wahrheit nur der Dampf der Eisenbahn ist, die Jonathan Harker nach Transsylvanien bringt, wie tiefe Schatten nicht nur an Wänden Eigenleben entwickeln, sondern auch ganze Seiten zu ersticken drohen, wie starke Emotionen holzschnittartige Gesichter verzerren – das fesselt einen als Leser an die Seiten. Die expressiven Farbflächen von Mark Chiarello, die eine anderweltliche Atmosphäre erzeugen, ergänzen die Bildmotive obendrein perfekt.

Der Deluxe-Band ist als Hardcover erschienen und neben einem Vorwort von Christian Endres bietet er im hinteren Teil einige Beispiele noch ungetuschter Seiten von Mignola, eine sehr kurze Covergalerie und zwei Künstlerbiografien. Das ist jetzt kein episches Bonusmaterial, aber diesen Mangel macht der eigentliche Comic mehr als wett.

Fazit: Die Comic-Adaption des Francis-Ford-Coppola-Films „Bram Stoker's Dracula“ ist sowohl erzählerisch als auch visuell ein absoluter Leckerbissen – für Fans des Blutsaugers und von Mike Mignola sowieso, aber auch für alle, die der Neunten Kunst zugetan sind und ausdrucksstarke Comic-Werke mögen. Mit 29 Euro ist der Hardcoverband nicht ganz billig, aber dieses Prachtstück ist das Geld absolut wert.

Bram Stoker's Dracula
Comic
Ray Thomas, Mike Mignola
Panini Comics 2019
ISBN: 9783741614347
140 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,00

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