Boston Unveiled

Welche andere amerikanische Stadt als das in Neuengland gelegene Boston mit seinen vielen Universitäten und Instituten wäre dafür prädestiniert gewesen, den Hintergrund für „Mage: The Awakening“ zu liefern? Mit „Boston Unveiled“ ist nun der Quellband erschienen, der die Stadt über die im Grundregelwerk angegeben Informationen hinaus beschreibt. Ist es eine Bereicherung für das Spiel oder ein unnützes Quellbuch, das im Regal verstauben wird? Betrachen wir es doch näher...

von Nicholas Hohmann

 

Von außen macht das Buch durchaus etwas her: Die 150 Seiten werden in einem qualitativ hochwertigen Hardcover-Einband mit einem ansehnlichen Bild präsentiert. In den Innenseiten des Einbandes finden wir eine grobe Karte von Boston und eine Karte von Massachusetts. Da eine gute Verarbeitung aber mittlerweile zum Standard im Rollenspielsektor gehört, gebe ich dafür keine Bonuspunkte.

Kommen wir zum Inhalt: Wie jedes White-Wolf-Quellbuch beginnt auch „Boston Unveiled“ mit einer Kurzgeschichte. Sie handelt von einer jungen Person, die nach Boston zieht und dort erwacht und ist eigentlich nicht lesenswert.

Es folgt eine Einführung darüber, was dieses Buch ist und was es nicht ist. Als positiv empfinde ich die Entscheidung, dass es sich hierbei nicht um einen Reiseführer mit Ortsbeschreibung von Boston handelt. Es wird empfohlen, in einer Bibliothek die benötigten Informationen über das weltliche Boston nachzuschlagen, das Quellbuch dient nur zur Beschreibung der übernatürlichen Aspekte der Stadt.

Das erste Kapitel nennt sich „Maps and Legends“ und ist eher Durchschnitt. Zunächst werden wir in die Geschichte Bostons und Neuenglands eingeführt, wobei sehr detailliert jede Ära von der Zeit der Pilger bis heute dargestellt wird. Ein besonderer Fokus liegt vor allem auf die Herkunft der einzelnen Kabalen, ihrer Ränkespiele und Machtkämpfe. Ein weiterer Fokus ist das berühmt-berüchtigte Salem, welches ja nicht allzu weit von Boston entfernt liegt. Leider ist das Kapitel recht verwirrend, da einem die Kabalen noch nicht vorgestellt wurden, wenn man aber später wieder zu diesem Kapitel zurückkehrt, bekommt man ein gutes Gefühl dafür, warum sich bestimmte Allianzen und Feindschaften herausgebildet haben. Der große Teil des Kapitels wird dann von einer katalogartigen Abhandlung über die einzelnen Viertel von Boston und Umgebung eingenommen. Hier werden vor allen Dingen Hauptquartiere der Kabalen, übernatürliche Phänomene und das Erscheinungsbild im Schattenreich erwähnt.

Die Kabalen werden in „Cabals“ ausführlich besprochen. Zunächst gibt es ein paar Seiten zu der erwachten Gesellschaft Bostons im Allgemeinen. Wie steht es um Gerechtigkeit und Justiz unter den Erwachten? Wie arbeitet das Konsilium? Wie die einzelnen Orden beziehungsweise Kabalen miteinander? Welche Etiquette herrscht auf Bostons Straßen und wie wird ein arkanes Duell hier richtig geführt.? Die Kabalen selbst sind dann nach dem Orden, in dessen Tradition die Gruppe steht, geordnet, obwohl nicht alle Magier der Kabalen zu genanntem Orden gehören müssen. Die wichtigsten Mitglieder werden hier inklusive Charaktergeschichte, Auftreten, Agenda und ausführlichen Werten vorgestellt. Ein kommentiertes Soziogramm zeigt an, wie die jeweilige Gruppe zu den anderen steht. Auf insgesamt 65 Seiten werden 11 Kabalen mit je zwei bis fünf Mitgliedern präsentiert. Der Umfang ist schon gewaltig! Es ist aber ein tolles Kapitel, denn zum einen steckt es voller guter Ideen und interessanten NSCs, es vermittelt einem zum anderen einen sehr guten Eindruck von den in Bosten herrschenden Verhältnissen und den Zielen der einzelnen Personen.

„Renegade Mages“ führt das Konzept des vorhergehenden Kapitels weiter: Nun werden uns alle Magier vorgestellt, die aus dem Ordenssystem herausfallen. Dort findet man von christlichen Fanatikern, die erwacht sind, bis zu den finsteren seelenverschlingenden Tremere-Magiern eine Vielfalt weiterer NSCs, diesmal jedoch mit einem düsteren Touch. Waren die vorhergehenden Gruppierungen potentielle Verbündete oder Rivalen, findet man hier eher wahre Feinde. Die genannten Tremere-Magier sind besonders abscheulich: Lange Zeit hielten sie die Kontrolle über die psychiatrische Anstalt Bostons, wo sie sich in Ruhe von den Seelen der armen Insassen ernährten und so Langlebigkeit erlangten. In den 1960ern wurden sie dann mit einem großen Aufgebot von Kräften vom Konsilium vertrieben und zerschlagen. Doch nun lauern sie im Dunkeln und warten auf eine Möglichkeit zur Rückkehr.

Kapitel 4 nennt sich „Off the Map“ und handelt von allerlei seltsamen und übernatürlichen Phänomenen und Geheimnissen in und rund um Boston. Die zwei vorhergehenden Kapitel waren schon toll, dieses  ist einfach nur phantastisch. Der Spielleiter findet hier eine ganze Schatztruhe voll mit Ideen, Anregung und Inspiration, mit denen man sich sofort in die nächste „Mage“-Chronik stürzen möchte. Beispielsweise findet man hier die Geschichte des Prinzen der 100.000 Blätter und dem Kult des Roten Wortes. Der Prinz ist eine manifestierte und personifizierte Antigeschichte, eine Geschichte unserer Welt, die nie existiert hat – aber kann, wenn sein Kult alle Fragmente dieser Geschichte in einem Buch zusammenfasst. Die Fragmente manifestieren sich durch Träume, die Schreiberlinge und Poeten erfahren und zu Geschichten anregen. Diese Antigeschichte ist natürlich ein Reich des Grauens, sodass es das Ziel der Kultisten zu verhindern gilt. Dies ist nur eine der vielen interessanten und anregenden Abschnitte aus diesem Kapitel.

Das letzte Kapitel des Buches ist ein Abenteuer namens „Beast of Burden“. Es handelt von einem Geist, welcher wenn er drei Seelen verschlingt, eine von ihnen in einem jugendlichen Körper wiedererweckt. Ein alter Nekromant hat sich absichtlich verschlingen lassen und zieht die Charaktere nun mitten in eine Intrige hinein, die dafür sorgen soll, dass er wiederbelebt wird. Das Szenario ist ziemliches Mittelmaß, kann aber für einen oder zwei heitere Abende dienen.

Fazit: Alles in allem handelt es sich bei „Boston Unveiled“ um ein sehr gutes Quellbuch und das aus folgenden Gründen: Zum einen dient es einem als Quell an Inspiration und Ideen für Abenteuer in und um Boston und es erweitert die Informationen aus dem Grundbuch von „Mage: The Awakening“ wesentlich. Die Ideen und Charaktere sind zum anderen gerade nicht so spezifisch, dass sie nirgends anders Verwendung finden könnten. Gerade die vielen NSCs, die wirklich detailliert ausgearbeitet sind, können ohne viele Mühe in andere Städte portiert werden – man kann sich als SL also viele mühselige Arbeit beim Werteausdenken ersparen. Und letztlich führt das Buch einem exemplarisch vor, wie man eine Stadt für „Mage“ ausarbeiten kann, sodass es als Leitfaden für die Erschaffung eines eigenen Hintergrundes in einer anderen Stadt sehr gut dienen kann. Ein hervorragender Quellband für „Mage“, dessen Kauf sich auch für Leute lohnt, die nicht in Boston spielen möchten.


Boston Unveiled
Quellenbuch
Kraig Blackwelder, Stephen Michael Dipesa, Malcolm Sheppard
White Wolf 2005
ISBN: 1588464199
152 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 26,99

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