Bodyshop

Die Grenzen des metamenschlichen Körpers, selbst die eines Trolls, sind für einen Runner oftmals zu eng gefasst. Was also tun, wenn man stärker, schneller, besser sein will oder muss? Die Wissenschaft hat die Antwort. Metall macht den Körper stark, gezüchtete Veränderungen machen ihn zäh, Implantate verbessern seine Fähigkeiten und Drogen machen ihn schnell. Doch wie immer gilt, dass all dies seinen Preis hat ...

von Adaon

„Bodyshop“ ist eine Regelerweiterung für „Shadowrun“, die sich in weiten Teilen wie ein Quellenbuch liest. Hier wird auch die Geschichte des KFS-Virus vorangebracht und der aktuelle Stand der Forschung beleuchtet sowie die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Naniten-Fabrikationsmöglichkeiten und -verwendung auf die Industrie und den Einbau von Bodytech thematisiert. Es macht eigentlich nur einen kleinen Teil des Buches aus, doch das immer wieder auftauchende Thema gibt beim Lesen das Gefühl, als könnte man den Einband auch in Rot und Grün (den Farben für Regelergänzungs- und Quellenbücher) einfärben.

Dieser starke Einfluss von KFS würde unpassend wirken, wenn man nicht die Aufmachung des „Bodyshop“-Buches bedenkt. Wie die anderen Regelergänzungsbände auch, besteht es zum größten Teil aus erklärendem Text, der die Form einer Datensammlung für Nutzer des „Jackpoint“, einer Matrix-Seite für Shadowrunner, hat und von verschiedenen Nutzern dort zusammengetragen wurde. Da sich diese Nutzer aktuell in ihrer Gegenwart mit KFS herumschlagen müssen, wird darüber natürlich ausführlich gesprochen. Auch in den weiteren Bereichen des Buches, also in den Kurzgeschichten, Regelanteilen, Tipps für den Spielleiter, Tabellen für das Spiel und den Illustrationen, taucht diese Thematik teilweise auf.

Das klingt jetzt schlimmer als es ist. Das Versprechen, alles über Körpermodifikationen zu erfahren, die im Jahre 2077 erhältlich sind, wird natürlich eingehalten. So finden sich auf den 236 Seiten zum gewohnt günstigen Preis von 19,95 Euro jede Menge Informationen über Bodytech, seine Entwicklung zum heutigen Stand, die Konzerne, die daran beteiligt sind, und wo damit für Runner Geld zu holen ist. Die Verbreitung von Bodytech wird ebenso angesprochen wie der Widerstand, den manche Seele gegen eine solche Änderung des eigenen Körpers leistet. Die Entwicklungen im Bereich der Genetik, der Züchtung von Bioware und der Anpassung des Körpers an gewünschte Umweltbedingungen werden ausführlich beleuchtet, ebenso die Möglichkeiten, die sich durch Drogen bieten. Wozu den Körper für teures Geld umbauen lassen, wenn eine kleine, günstige Pille, im richtigen Moment eingeworfen, einem genauso weiterhilft? Und man kann immer das richtige für die jeweilige Situation aussuchen. Zugegeben, es gibt da ein paar Nebenwirkungen, vor allem wenn man sich eine Mischung einwirft. Und irgendwann lässt die Droge nach.

Wie für Regelerweiterungen üblich gibt es auch wieder Vor- und Nachteile, sowie einige Lebensmodule für das Charaktererschaffungssystem aus „Schattenläufer“ für eine echt üble Hintergrundgeschichte. (Wo werden zum Beispiel eigentlich neue Entwicklungen getestet? Oder besser: An wem? Richtig, an den Leuten die niemand vermissen wird.) Ein Abschnitt für psychische Störungen, auch und gerade durch Cyberware, ihren Einsatz im Spiel für NSC und Charaktere und ihre Behandlungsmöglichkeiten – oder zumindest, wie man mit ihnen umgehen kann – hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack, erlauben aber auch mehr Spieltiefe und wirken überzeugend. Man sollte also seine Medikamente nicht vergessen, solange man sie sich leisten kann. Und was passiert wohl, wenn man mit einem Zauber in einen Geist hineinsieht, der nicht ganz gesund ist? 17 Seiten an Tabellen am Ende des Buches fassen alles an Cyber-, Bio- und Nanoware zusammen, was man sich einbauen lassen kann, dazu kommen genetische Anpassungen und jede Menge Drogen.

Für die Verbreitung von Bodytech muss man bedenken: Magie ist selten. Das übersieht man mit einem Schamanen, einem Hermetiker und einem Adepten im eigenen Team leicht. Und selbst wer sie hat, kann oder will sie nicht unbedingt für den Kampf einsetzen. Wie kann man dann dem „Stärker, Schneller, Besser“, das die moderne Welt fordert, gegenübertreten? Eben, mit Bodytech. Und wie kann man als Konzern damit auch noch Gewinn machen? Hohe Preise und Massenproduktion sind die direkten Antworten. Doch viele Verfahren sind aufwändig und müssen individuell abgestimmt werden. Dennoch schreitet die Entwicklung immer weiter voran, und auch dies wird im neuen Regelwerk gut dargestellt.

Wenn man über Bodytech spricht, muss man auch über Transhumanismus reden. Also das Ziel, die (Meta)Menschlichkeit zu überwinden, indem man Grenzen überschreitet. Sei es aus praktischen Gründen, aus ästhetischen Ansprüchen oder um „anders“ zu sein. Es gibt eine Bewegung, die Veränderung um der Veränderung willen anstrebt, mit dem Konzern E.V.O. an der Spitze. Doch nicht in jedem Konzern ist eine offensichtliche Veränderung gewünscht, zumindest nicht offiziell. Wer sich also auf einem Konzerngelände einschleichen muss – und seien wir ehrlich, das ganze Land Atzlan beispielsweise ist eigentlich Atztechnology –, sollte sich auch damit beschäftigen, wie die Masse der Bewohner dort auf Bodytech reagieren wird. Was muss unauffällig bleiben, und was bringt im Gegenteil Respekt?

Negativ kann wie schon angesprochen auffallen, dass sich ein großer Teil des Buches um KFS dreht. Dies erschwert das Mal-eben-nachschlagen, und ist für diejenigen, die KFS nicht als Teil „ihrer“ Spielwelt betrachten, etwas lästig. Dagegen ist es für diejenigen, die sich damit beschäftigen wollen, eher ein Vorteil. Weiterhin sind Cover und Einband nicht mehr geprägt, wie die bisherigen gebundenen „Shadowrun“-Bücher (mit Ausnahme des Grundregelwerkes). Der vorige Quellenband, „Sperrzone Boston“, wies dieses Gestaltungselement noch auf, war jedoch auch teurer. Dieses Designelement steigert zwar die wahrgenommene Qualität des Buches; doch für die Menge an Informationen und den günstigen Preis ist dies zu verkraften. Immerhin kommt es auf den Inhalt eines Buches an.

Sehr interessant sind die neuen Ansätze, KFS zu behandeln sowie die Entwicklung der KFS-„Kultur“. Die Fragmentierten sind überall, und ob man sie bekämpft oder versucht Gemeinsamkeiten zu finden: Die Hintergrundgeschichte wird von ihnen mitgeschrieben. Interessant sind auch die Beschreibungen der Fortschritte, die die Fragmentierten auf der Mars-Basis „Gagarin“ im Bereich der Bio- und Bodytech erzielt haben und die weit über das hinausgehen, was auf dem Markt im Jahr 2077 erhältlich ist. Man fühlt sich an den Abenteuerband „Renraku Arcology: Shutdown“ für das Spieljahr 2059 erinnert, in dem die feindselige KI Deus nach Übernahme und Abriegelung der Seattler Renraku-Arkology Überwachungstechniken und Drohnen entwickelte, die ihrer Zeit weit voraus waren.

Fazit: „Bodyshop“ fasst den aktuellen Stand an Cyber- und Bioware sowie Drogen zusammen, die für Runner (oder ihre Gegner) interessant sein können. Alle bisher im Grundregelwerk, im Quellenbuch „Gestohlene Seelen“ und in diesem Band vorgestellten Modifikationen werden in Tabellen zusammengefasst. Doch „Bodyshop“ ist nicht nur eine Shoppingliste für Straßensamurai oder Transhumanisten; der Stand der KFS-Forschung und zahlreiche Hinweise auf damit zusammenhängende Ereignisse sowie Informationen über den Umgang der Konzerne mit diesen Ereignissen bieten die Möglichkeit, die KFS-Krise zeitnah in der eigenen Kampagne unterzubringen. Ob nun als Grundlage für Runs oder als Bedrohung im Hintergrund und in Matrixmeldungen: KFS ist derzeit das zentrale Motiv der Sechsten Welt. Ob man damit leben möchte oder nicht, muss den Kauf dieses Buches nicht beeinflussen, kann es aber. Werft also beim freundlichen Spieleladen um die Ecke einen Blick hinein und kauft es dann auch dort – es kostet nicht mehr als im Online-Versand.


Bodyshop
Quellenbuch
Brooke Chang, Kevin Czarnecki, David Ellenberger, u.a.
Pegasus Spiele 2016
ISBN: 978-3-95789-042-9
236 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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