Blackout Hong Kong

Es war wie ein Donnerschlag. Die Nachricht verblüffte und erfreute die Brettspielgemeinschaft gleichermaßen, als wie aus dem Nichts ein neues, komplexes Spiel von Alexander Pfister angekündigt wurde. Er gehört zu den weltweit erfolgreichsten Autoren und hat in den letzten Jahren mit seinen Spielen diverse Preise gewonnen. Nach Piraten, der Kolonialisierung Afrikas und Cowboys steht am Anfang dieses Spiels eine Katastrophe. 

von Kai Melhorn

Aus einem nicht näher genannten Grund kommt es in der Stadt Hong Kong zu einem Blackout. Ohne Strom droht die Stadt im Chaos zu versinken, und es ist an den Spielern, der Bevölkerung zu helfen. Durch die Anwerbung und Koordination von Hilfswilligen, die Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen und den Aufbau von Infrastruktur wird die Stadt nach und nach gesichert, und trotz des scheinbar irreversiblen Rückfalls in die Steinzeit kann langsam wieder Ruhe einkehren. Hierbei konkurrieren die Spieler darum, die meisten und besten Verbündeten um sich zu scharen, die meisten Bezirke zu sichern und so viel wie möglich erkundet zu haben.

Das Material

Zunächst fällt dem Betrachter die Gestaltung ins Auge. Natürlich sind schwarz und wenig kontrastreiche Farben vorherrschend im Design. Es gibt einen Spielplan, der an eine dunkle Version von „Pandemie“ erinnert und  Personenkarten mit Porträts darauf, die eine eher gedrückte Stimmung verbreiten. Das mag manche Spieler in Summe zwar stören und wird vor allem nicht von jedem hübsch gefunden werden, aber thematisch wurden keine Kompromisse eingegangen und der permanente Stromausfall wird hier wirklich sehr gut herübergebracht. Des Weiteren gibt es die üblichen Pappmarker, Holzwürfelchen, Karten, den Startspielermarker und drei Ressourcenwürfel in verschiedenen (diesmal leuchtenden) Farben.

Hier komme ich aber nicht umhin, ein paar Dinge zu kritisieren, denn die Spielbarkeit leidet unter ein paar Entscheidungen, die getroffen wurden:

  • Teilweise lassen sich die Symbole auf den Würfeln nicht besonders gut unterscheiden.
  • Die Symbole auf den Erkundungsplättchen sind nahezu mikroskopisch klein.
  • Die Ressourcensymbole auf dem Rondell des Hauptspielplans werden durch die Würfel der Spieler verdeckt, sodass man sich nicht mehr erkennen kann.
  • Besonders ärgerlich ist die Wahl von rot und lila für Symbole, die auch noch die gleichen Umrisse haben. Dies hat bei uns mehrfach zu Missverständnissen geführt.

Natürlich wiegen diese Punkte bei steigender Erfahrung weniger schwer, aber das Spiel verlangt viel vom Spieler und so wird es ihm noch zusätzlich erschwert.



Ausdrücklich positiv sind hingegen die Gestaltung des Regelhefts und die Spielerboards zu erwähnen. Die Regeln sind extrem gut geordnet und man findet Regeln schnell wieder, wenn man etwas nachlesen möchte. Auch haben die zahlreichen Beispiele bei uns keine Fragen zu Feinheiten offen gelassen. Das Regelbuch ergänzt sich zudem sehr gut mit den Spielerboards, die jeden Spieler gut übersichtlich durch die diversen Schritte einer Runde führen und bei der Organisation des eigenen Spielbereichs hilfreich sind.

Ein wenig schade finde ich jedoch, dass die Regeln den Spieler bezüglich der Thematik in keinster Weise abholt. Ein Begriff wie „Häkchenbereich“ für eine Ablagezone neben dem Spielerboard macht jede Illusion einer thematischen Zuordnung zunichte und das finde ich einfach unnötig. Auch sonst bringt das Thema genug Fleisch mit, um alle Aktionen und Abläufe zu erklären, aber nichts davon wird wirklich genutzt. Mit ein wenig Vorstellungskraft finden sich aber auch genug Beispiele, wo das Thema wunderbar integriert wird. Als Beispiel sei hier nur das Krankenhaus erwähnt. Dort werden Hilfskräfte abgelegt, die sich bei Erkundungsmissionen verletzt haben und durch einen Arzt wieder ins Spiel gebracht werden können.

In Summe bleiben bei mir für das Material gemischte Gefühle zurück. Die genannten Schwächen hätte ich bei der Kombination von Alexander Pfister, Eggert Spiele und Pegasus Spiele nicht erwartet.

Das Spiel



Die Aufgaben für die Spieler sind vielfältig. Man muss jede Runde auf zufällig ermittelte Ressourcen planen, seine Kartenhand, die Ablageflächen sowie das Krankenhaus organisieren, die Finanzen im Blick behalten, die Bezirke von Hong Kong sichern und potenzielle Mitarbeiter anwerben und ausstatten. Insbesondere dem Einsatz und Anwerben von Mitarbeitern muss eine Menge Aufmerksamkeit gewidmet werden, damit man seine Maschine ans Laufen bringt, aber hier beginnt das Dilemma. Für die richtigen Arbeitskräfte benötigt man Geld, für Geld muss man die richtigen Ressourcen haben und Ziele erfüllen. Für diese benötigt man wiederum die richtigen Mitarbeiter. Hinzu kommt, dass man einige Ziele nicht einfach auf die nächste Runde verschieben kann. Organisiert man seine Ablage nicht richtig, können wichtige Ziele erst diverse Runden später erfüllt werden und dies bedeutet zumeist, keine Chance mehr auf den Sieg zu haben.

Dieses Spiel zwingt zu ständiger Optimierung und dem perfekten Timing, wobei der Zufall ebenfalls eine wichtige Rolle spielt: Welche Ressourcen gewürfelt, welche Arbeitskräfte ausgelegt, welche Erkundungen gemacht werden. Als dies kann den gefassten Plan verändern. Mal läuft alles wie gewünscht. Aber manchmal könnte man sich die Haare raufen, weil wichtige Dinge nicht umsetzbar sind oder schmerzhaft teuer werden. Und als wäre all dies noch nicht genug, bringt die Interaktion mit den Mitspielern noch weitere Ecken mit sich, um die man denken muss. Wartet man auf den richtigen Moment, kosten potenzielle Arbeitskräfte auf einmal nur noch die Hälfte und erfüllt man das eine oder andere Ziel zur rechten Zeit, kann sich plötzlich der Erfolg des Mitspielers auf der eigenen Siegpunktleiste positiv niederschlagen.



Gerade bei den ersten Versuchen wird man noch nicht alle Abläufe verinnerlicht haben. Dinge, die letztes Mal problemlos funktionierten, werden in der nächsten Partie zu nahezu unlösbaren Herausforderungen und man fragt sich unweigerlich, was man plötzlich falsch gemacht hat. Aber optimiert man dann an der einen Stelle, verändert sich dadurch das Timing und auf einmal ändert sich alles. Man beginnt zu merken, was für ein gemeines Biest dieses Spiel ist. Aber zumindest mir und auch anderen Betroffenen wurde damit dann auch spätestens klar, wie viel Spaß es macht.

Natürlich hat es auch seine Schwächen. Es gibt zum Beispiel diverse zufällige Faktoren, die einem das Leben einfach oder schwer machen können. Zudem könnte die sehr begrenzte Interaktion stören, da es sich zeitweilig recht solitär anfühlt. Außerdem ist es kaum verwunderlich, dass so viel Planung auch zur Schockstarre (Analysis Paralysis) führen kann. Und als wäre das alles nicht genug, versteht sich das Spiel darauf, den Spielern ihre Fehler mit Genuss aufs Butterbrot zu schmieren. Realisiert man den Fehler, ist es oft bereits viel zu spät und man kann kaum noch etwas dagegen tun. Mit etwas Pech scheitert daran die gesamte Partie.

Und dennoch habe ich für dieses Spiel schlichtweg nur Begeisterung übrig. Für viele Zufallsfaktoren bietet das Spiel passende Antworten, um sie abzumildern und auch die anderen potenziellen Probleme des Spiels konnten meinen Spielspaß nicht wirklich mindern.

Solomodus und Kampagne – alles neumodischer Unsinn, oder?



Man könnte denken, es sei eine strategische Entscheidung gewesen, einen Solomodus und eine Kampagne einzuführen. Beides erfreut sich in der Community wachsender Beliebtheit und ohne diese Gimmicks könnte man gegenüber der Konkurrenz abfallen.

Mit einer gewissen Skepsis habe ich beides ausprobiert. Der Solomodus kam mir ganz gelegen, um meine erste Partie in einer Mehrspielerrunde vorzubereiten. Was ich zu der Zeit noch nicht ahnen konnte: Es sollte meine erste von vielen Solopartien werden. Öfter habe ich in ein Spiel dieser Größe noch nie solo gespielt. Tatsächlich ist dies sogar dem Kampagnenmodus geschuldet, der von Spiel zu Spiel die Regeln leicht verändert. Es sind wirklich minimalste Änderungen, die aber gewaltige Auswirkungen haben, was meine Begeisterung für dieses Spieldesign zusätzlich entfacht. Denn am Ende funktioniert das Spiel trotzdem wunderbar.

Fazit: Es ist leicht abzulesen, dass ich von diesem Spiel begeistert bin. Die Schwächen und Probleme im grafischen Design und beim Transport des spannenden Themas können mir die Freude ebensowenig nehmen, wie das planerische Labyrinth, in das man geschickt wird. „Blackout: Hong Kong“ ist ein Expertenspiel der Gattung Euro par excellence.

Blackout Hong Kong
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Alexander Pfister
Pegasus Spiele 2018
EAN: 4250231716645
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,99

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