Black Kiss 1

Sex und Gewalt und die Suche nach dem Tabubruch haben im Comic eine lange Tradition. Skandale werden nicht selten später bejubelt, Geschichten, die mancher brave Bürger für obszönen Schund halten würde, entwickeln sich zum Kult. „Sin City“ von Frank Miller ist nur eines der populärsten Beispiele für diese Lust am Lasterhaften. Auch die Comic-Reihe „Black Kiss“ von Howard Chaykin, die 1988 beim kanadischen Independent-Verlag Vortex Comics erschien, schlägt in diese Kerbe. Sie ist ein in Panels erzählter Film Noir und lotet einmal mehr Geschmacksgrenzen aus. Panini Comics hat nun einen Sammelband der ersten zwölf Ausgaben herausgebracht.

von Kurt Wagner

Es weht ein Hauch von Philip Marlowe und Martin Scorsese durch die Seiten des in Schwarz-Weiß gehaltenen Hardcoverbandes, dessen Titelseite eine blasse Frau mit blutroten Lippen und in schwarzer Spitze ziert. Wir befinden uns in der schwülen Hitze amerikanischer Nächte im Los Angeles der 1980er Jahre. Die Sache beginnt undurchsichtig, wie es sich für einen Film Noir gehört: Eine Prostituierte, Dagmar Laine, macht eine andere gerade hübsch für einen Freier, der natürlich ein Priester ist. Das junge Ding soll es dem alten Gottesmann so richtig besorgen, dabei allerdings einen Walkman in der Nähe eines bestimmten Pakets platzieren. Wie sich später herausstellt, ist der Walkman ein Sprengsatz und das Paket enthält einen kompromittierenden Film über Dagmars Geliebte, den ehemaligen Filmstar Beverly Grove. Das Haus samt Priester und Flittchen fliegt in die Luft, doch der Film wurde zuvor von einer geheimnisvollen Frau, die High Heels zum Habit einer Nonne trägt, gestohlen. Und damit beginnt der Reigen aus Sex und Gewalt erst so richtig.

Eine skrupellose Professionelle, die für einige Überraschungen gut ist, eine gefallene Schauspielerin mit dunklem Geheimnis, eine Sekte von Satanisten, die sich auch an Leichen vergehen (natürlich nur an jungen, hübschen, frisch verstorbenen Mädchen), zwei abartig brutale Mafiakiller und ein korrupter Cop – das ist die ehrenwerte Gesellschaft, mit der sich der Leser in „Black Kiss“ konfrontiert sieht. Der Comic, so heißt es im Vorwort von Übersetzer Marc-Oliver Frisch, wurde seinerzeit von Druckerei und Fachhandel nur mit der Kneifzange angefasst. Die Hefte mussten in der der Erstauflage in schwarze Plastikfolie eingeschweißt werden, damit kein Kunde beim zufälligen Durchblättern einen Schock im Laden erlitt. (Schon beim ersten Sammelband 1989 wurde allerdings darauf dann verzichtet.)

Aus diesen Zeiten sind wir mittlerweile raus. Man ist heute ja einiges gewöhnt. Dennoch ist „Black Kiss“ garantiert nichts für jüngere Leser oder solche, die zart besaitet sind. Es wird misshandelt, gemordet und vergewaltigt, dazu kommen eine ziemlich derbe Ausdrucksweise der Protagonisten und ständig gehen willige Frauen notgeilen Männern an die Hose. Immerhin ist der Sex – und das passt dann wieder ganz gut zur Noir-Atmosphäre des Comics – in fast allen Fällen eine Waffe der Prostituierten, um die Männerwelt zu manipulieren. Der Einzige, der in dieser kaputten Welt so etwas wie eine Identifikationsfigur für den Leser sein kann, ist der abgehalfterte Jazzmusiker Cass Pollack, der just nach einem Entzug mit den beiden gefährlichen Femme Fatales Dagmar und Beverly zusammenstößt und von diesen in den Strudel der Ereignisse gezogen wird. Nicht dass er nicht schon genug Ärger mit Mafia und Cops hätte; die einen wollen ihn tot sehen, die anderen halten ihn für den Mörder an seiner Frau und seinem Kind.

So entspinnt sich die Geschichte, eine Spirale der Gewalt, die am Ende in einer kathartischen Nacht voller Toter zu ihrem Höhepunkt findet. Dabei erzählt Howard Chaykin angenehm verworren und indirekt. Viele Handlungen, die außerhalb der Panels passieren oder passiert sind, werden nicht erklärt, sondern bestenfalls erwähnt, und man muss sich die Vorgänge als Leser selbst herbeileiten. Tatsächlich mag man bei der ersten Lektüre stellenweise irritiert sein, wer jetzt mit wem und warum und was das alles soll. Doch tatsächlich ergeben alle Mosaiksteine schließlich ein rundes Ganzes, auch wenn man einige von ihnen eigenständig einsetzen muss. Dadurch, dass Chaykin den Leser nicht nur durch seine expliziten Bilder herausfordert, sondern ihm auch eine Handlung bietet, wird „Black Kiss“ zu mehr als bloß einer vulgären Sex-und-Gewalt-Fantasie. Der eigentliche Clou enthüllt sich dabei erst zum Schluss, wenngleich viele kleine Hinweise, in Satzfetzen die ganze Geschichte hindurch eingestreut, kundige Genre-Leser bereits ahnen lassen, worauf es hinausläuft.

Um den Noir-Charakter zu unterstreichen, präsentiert sich der Comic ganz in Schwarz-Weiß. Allerdings wird verhältnismäßig wenig mit Licht und Schatten gearbeitet. Die meisten Panels sind in grobem, wenn auch ausdrucksstarkem Pinselstrich gezeichnet und Weiß ist als Farbe deutlich vorherrschend. Einzig Chaykins Neigung zu diagonalen Schwarzfeldern im Hintergrund, die in einzelnen Panels die Blickrichtung lenken, fällt ins Auge. Ansonsten herrscht eher eine Helligkeit vor, die zum sonnigen Los Angeles passt.

Fazit: Vulgär, brutal und gelegentlich hart an der Geschmacksgrenze – selbst für heutige Verhältnisse: So wirkt „Black Kiss 1“ auf den unvorbereiteten Leser. Das Personal der Geschichte ist, bis auf einzelne Ausnahmen, absolut verkommen; dessen Überlebenskampf spielt sich in einer düsteren Parallelwelt am Rande der Gesellschaft ab. Bemerkenswert ist die durchaus ausgefeilte Erzählstruktur, die dem Leser nicht jedes Detail vorkaut und die bis zum Schluss für Überraschungen sorgt (die in der Rückschau jedoch stets behutsam vorbereitet wurden). Sicher ein ungewöhnlicher Comic, sicher nicht für jedermann. Doch wer Hardboiled Stories in der Art von „Sin City“ mag und auch vor expliziten Passagen nicht zurückschreckt, wird hier einen Film-Noir-Comic mit nettem Clou erleben.


Black Kiss 1
Comic
Howard Chaykin
Panini Comics 2014
ISBN: 978-3862019540
140 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,99

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