Abgrund

Wasser ist Leben. Doch manchem Leben, das sich im Wasser tummelt, möchte man lieber nicht begegnen. In dem Trilogie-Auftakt „Abgrund“ von Peter Watts bekommt es ein Trupp Outcasts auf dem Meeresgrund mit einer Bedrohung zu tun, die das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten kann.

von Simon Ofenloch

„Rifter“ werden sie genannt, organisch modifizierte Menschen, die das Personal einer Tiefseestation bilden, die als Wartungseinrichtung für geothermale Kraftwerke am Grund des Pazifiks installiert wurde. Das Leben in den Tiefen des Ozeans ist nicht jedermanns Sache. Und nicht jedermanns Geschmack. Und so finden sich unter den Tiefseearbeitern auch keine feingeistigen Bildungsgenies, sondern speziell ausgewählte Soziopathen, leidvoll erprobt in Extremsituationen und daher hart im Nehmen. Personen mit wenig anderen Optionen im Leben.

Doch die andauernde Existenz unter Wasser nimmt Einfluss auf Körper und Seele. Klaustrophobie und Paranoia befallen immer wieder die Tauchergemeinde. Und schließlich wird die Bedrohung real. Vom Grund des Meeres erhebt sich ein Feind, der die Ökosphäre der Erde zu infizieren droht. Das Überleben der Menschheit steht auf dem Spiel. Ein verzweifelter Abwehrkampf beginnt, doch für einen erfolgreichen Gegenschlag scheint es längst zu spät zu sein.

Im Hauptthema der Handlung erinnert der Roman „Abgrund“ von Peter Watts an Frank Schätzings Öko-Thriller „Der Schwarm“, der in der Klimawandel-Ära zum Bestseller wurde. Doch Watts setzt andere Schwerpunkte in der inhaltlichen Ausführung. Während bei Schätzing actionlastige Großszenarien im Vordergrund stehen, konzentriert sich Watts mehr auf sein kleines, feines Figurenensemble und reduziert das Anbahnen der globalen Katastrophe eher kammerspielartig auf den Mikrokosmos der Taucharbeiter. Nur gegen Ende darf auch die Welt über Wasser brennen. Allerdings in kurzen, flüchtigen Beschreibungen, in einem knapp angedeuteten Weltuntergangsszenario. Und auch die Grundidee hinter der Menschheitsbedrohung ist eine andere als jene, die Schätzings gefährlichen „Schwarm“ motiviert. Hier will sich nicht die Natur an den umweltverschmutzenden Menschen rächen. Nein, bei Watts geht es um einen grundsätzlichen Vorherrschaftskampf zwischen zwei intelligenten Lebensformen. Und um die Gefahren wissenschaftlicher Hybris.

Interessante Themen, die Watts da ins Feld führt und auf einigen wenigen Seiten am Ende des Buches unter der Überschrift „Quellenangaben“ etwas näher erläutert. Schade, dass ihnen im Roman selbst so wenig Platz eingeräumt wird. Stattdessen hält sich der Text lange mit den auftretenden Figuren und ihren persönlichen Problemen auf. Fast gefühlte zwei Drittel und mindestens die Hälfte des Buches handeln vom Leben auf der Tiefseestation Beebe, dem mehr oder weniger harmonischen Miteinander der Taucher und ihren einzelnen Entwicklungen und Veränderungen unter den widrigen Lebensumständen.

Anfangs etwas zäh, entwickeln sich diese Schilderungen zwar zunehmend zu spannenden Psychogrammen, doch eine breitere Streuung der Haupthandlung hätte dem Roman gutgetan.

Das Ende ist keines. Gerade in dem Moment, in dem die Handlung an Fahrt gewinnt, bricht sie auch schon ab, mit einem Verweis auf den Folgeband „Mahlstrom“. Geplant ist wohl eine Trilogie, für die der Band „Abgrund“ als Einführung und Auftakt herhält. Dies mag als Erklärung für die intensive Vorstellung und Charakterisierung der handelnden Figuren dienen, sind dies in der klassischen Drei-Akt-Struktur doch wesentliche Aufgaben des ersten Aktes. Als Entschuldigung für ein langes Hinhalten des Lesers dient es allerdings nur schwerlich.

Nichtsdestotrotz darf man auf die Fortsetzung gespannt sein. Ob es auch dort wieder weitergeht mit Zeitenwechseln, deren Funktion sich nicht auf Anhieb erschließt, zwischen Abschnitten im Präsens und solchen im Präteritum, und für den Laien unverständlichen, referenztriefenden Kapitelüberschriften, wird sich zeigen.

Fazit: Mit feiner Hand zeichnet Watts in „Abgrund“ ein eindrucksvolles Bild zerrütteter Charaktere, die einem im Laufe der Geschichte durchaus ans Herz wachsen. Im letzten Drittel wandelt sich der Roman von einer etwas langatmigen Charakterstudie zum dramatischen Biotech-Thriller, was an diesem Punkt auch keinen Moment zu spät geschieht.


Abgrund
Science-Fiction-Roman
Peter Watts
Heyne 2008
ISBN: 978-3-45352-446-0
496 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 8,95

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