von Kurt Wagner
„Marvel Comics für dummies“ kommt im typischen Gewand der „für dummies“-Reihe daher, also im schwarz-gelben Design, mit ein paar schmissigen Teasern in Bulletpoint-Manier auf dem Cover und im mittelgroßen, mittelbreiten Softcover-Format US-amerikanischer Studienlektüre. Auch das Innenleben des wie alle „für dummies“-Bände im Wiley-Verlag erschienen Werks versprüht eher Sachbuchcharme. Das Inhaltsverzeichnis ist kleinteilig, die Seiten vergleichsweise nüchtern mit viel einspaltigem Text, der durch zahlreiche Zwischenüberschriften und gelbe Querstreifen gegliedert wird. Alle 2 bis 3 Seiten lockert ein Comic-Seiten-Scan das Ganze auf (zu Referenzierungszwecken sehr korrekt untertitelt mit „Abbildung X.Y“, wobei X der Kapitelnummer entspricht und Y einer fortlaufenden Abbildungsnummer).
Damit unterscheidet sich das Buch deutlich vom sehr viel verspielteren und bilderreichen Ansatz der Popkultur-Begleitbände von Dorling Kindersley. Ich erwähne DK, weil da zum Beispiel die „Marvel Enzyklopädie“ oder das „Marvel Studios Lexikon der Superhelden“ erschienen sind, zu denen das vorliegende Werk – auf den ersten Blick – in Konkurrenz tritt. „Marvel für dummies“ wirkt im Vergleich trocken. Auf der Habenseite kann man das Buch damit auch problemlos in der U-Bahn lesen, ohne wie ein Nerd zu wirken. Die „für dummies“-Bücher sind Bildungsllesestoff für den vielseitig interessierten Renaissance-Menschen der Gegenwart. Andererseits ist das vorliegende Buch nichts, was man seinem 10-jährigen Sohn in die Hand drückt und sagt: „Hier, da erfährst du alles über Marvel.“ Das wird er einem sofort zurückgeben, das garantiere ich.
Aber Kinder sind auch nicht die Zielgruppe der „für dummies“-Reihe, es sei denn sie tragen Brille, sind ausnehmend wissbegierig und entsprechen auch sonst bereits in jungen Jahren jedem Klischee des Super-Nerds. ;-) Nein, eigentlich richten sich die Bände an Erwachsene, die ihren Horizont in einem bestimmten Wissensbereich erweitern wollen, ohne dazu gleich ausufernde Spezialliteratur zu wälzen. Im vorliegenden Fall dürfte sich Autor Brownfield vor allem an Menschen richten, die vielleicht ein paar MCU-Filme gesehen oder mal einen „Spider-Man“-Comic gelesen haben – und sich nun gern endlich mal ein fundiertes Grundwissen zum Thema „Marvel Comics“ aneignen wollen. Ich betone „Comics“, denn es geht in dem Buch nicht um Filme, Romane oder Videospiele. Comics stehen klar im Fokus.
Den selbst auferlegten Auftrag, neugierige Erwachsene weiterzubilden, erledigt Brownfields Buch ziemlich gut. Interessant sind dabei vor allem die essayistischen Teile über die Themen, die einen Marvel-Comic ausmachen, oder die Historie der Marvel-Comics. Dieser erste große Komplex bietet vor allem Gelegenheits-Fans, die sich bislang eher im Bereich des Blockbuster-Kinos bewegt haben, viele Hintergrundinformationen. Ich hätte mir regelrecht gewünscht, dass dieser Teil noch ausführlicher ist. Popkulturgeschichte finde ich immer aufregend.
Anschließend folgt im zweiten Komplex, was natürlich kommen muss: eine Übersicht über Teams, Helden und Schurken. In diesem Moment wird das Buch eher zum Nachschlagewerk – und hier tritt es inhaltlich auch in direkte Konkurrenz mit etwa der „Marvel Enzyklopädie“. Obwohl ich verstehe, warum dieser Teil zwingend nötig für ein Buch über Marvel-Comics war, empfinde ich ihn zugleich am uninteressantesten, denn ganz ehrlich: Niemand kauft sich ein Buch „Marvel-Comics für dummies“, der nicht mindestens mal was von Spider-Man, Iron Man und Thor gehört hat. Ja, das Buch hat noch ein paar mehr Figuren auf Lager, grundsätzlich bleibt es hier aber sehr auf MCU-Niveau. Also wer in den letzten Jahren eine Handvoll (oder alle) dieser Filme geschaut hat, kennt die präsentierten Akteure. Lobenswert ist immerhin, dass es Brownfield gelingt, die oft ausufernde und sehr sprunghafte Biographie der meisten Akteure so weit einzudampfen, dass man mit dem nötigsten Wissen versorgt ist, ohne sich in kleinteilige Einzelheiten zu verlieren. Wer wann mit wem oder gegen wen gearbeitet hat, das ist in den meisten Fällen eh absolut unübersichtlich – und auch nicht so wichtig.
Spannender wird wieder der dritte Komplex, der sich dem Multiversum und den wichtigen Sagas der Marvel-Historie widmet. Hier erhält man zumindest eine kursorischen Übersicht, was in den verschiedenen Jahrzehnten so passiert ist und welche großen Geschichten man vielleicht kennen sollte, wenn man im Smalltalk auf der nächsten ComicCon zumindest den Anschein eines Insiders erwecken will. Selbstverständlich bietet es auch ein paar Anreize, sich mit ein paar zentralen Comics einzudecken.
Den Abschluss bildet ein kurzer Teil über das Sammeln von Comics und welche Wege ins Fandom es gibt. Gut, für völlige Neulinge mag das hilfreich sein, aber mit ein wenig Erfahrung in der Szene kann man die Seiten lässig überfliegen. Dass man sich auf ein Teilgebiet des Marvel-Kosmos konzentrieren sollte (weil das Sammeln sonst jede Freizeit und Geldbörse sprengen würde) und dass Comic-Shops und Cons ein guter Ort sind, um Gleichgesinnte zu treffen, das versteht sich fast von selbst. Netterweise wurde dieser Teil an deutsche Verhältnisse angepasst. So wird der Gratis Comic Tag ebenso erwähnt wie der ComicPark Erfurt und der Comicgarten Leipzig. Eine schöne redaktionelle Anpassung an den hiesigen Markt.
Fazit: „Marvel Comics für dummies“ gibt dem wissbegierigen Gelegenheits-Fan einen guten Überblick über das Thema Marvel Comics, genau wie versprochen. Das Buch kommt eher als textlastige Bildungslektüre, denn als knallbuntes Schmökerwerk daher, was angesichts der eigenen Zielsetzung völlig okay ist. Interessant sind vor allem die Kapitel über die Themen der Marvel-Comics, die Marvel-Historie und die großen Sagas. Im lexikalischen Teil über Helden und Schurken bleibt das Buch dagegen weit hinter dem Referenzprodukt der „Marvel Enzyklopädie“ von DK zurück. Die ist allerdings auch viel teurer und unhandlicher und eignet sich wirklich nur zum Nachschlagen, weniger zum Fortbilden. „Marvel Comics für dummies“ ist empfehlenswert für alle, die entweder wirklich einen Einstieg in die weite Welt von Marvel suchen oder aber zumindest so tun können wollen, als hätten sie Ahnung von der Materie – wie Oma Erna.
Marvel Comics für dummies
Sachbuch
Troy Brownfield
Wiley-VCH 2025
ISBN: 978-3-527-72349-2
287 S., Softcover, deutsch
Preis: 20,00 EUR
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