World of Warcraft – Das Brettspiel

Der Abend hat sich gelohnt. Nach endlosen Scharmützeln mit Ghoulen, dunklen Schemen und anderem Ungetier haben wir den Overlord Kel Thuzad vor die Flinte bekommen. Zumindest vor die alte Donnerbüchse von Burbonn Fang. Da unser Anführer, der Paladin Brandon Lightstone, mit seinem Siegel und dem neuen „heiligen Schock“ noch angriffslustiger geworden ist, benötige ich nur zwei Treffer und der Sieg ist unser. Alternativ hätten wir auch die drei Vertreter der Horde in einem PvP-Endkampf erledigen können. Aber die Genugtuung, den Oberboss persönlich vermöbelt zu haben, ist einfach größer.

von Lars Jeske

 

 

Willkommen in der Welt von „Warcraft“, in welcher sich die Allianz und die Horde noch immer nicht sonderlich grün sind und auch im Lande Lordaeron um die jeweilige Vormachtstellung kämpfen. Nachdem das Onlinespiel „World of Warcraft“ wohl auch die besten Prognosen von Blizzard übertroffen hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Produktpalette erweitert und eben auch eine Brettspielvariante für die Offline-Spieler auf den Markt geworfen wurde. Wider erwartend ist dabei ein stimmungsvolles Teamspiel für bis zu sechs Spieler entstanden, welches die Atmosphäre gut einfängt und lange zu fesseln weiß.

Für einen recht üppigen Obolus erhält man allerdings auch eine sehr imposante Packung (59x29x10 cm, über 5 kg schwer), die sogar ordentlich gefüllt ist und die getätigte Investition schon einmal quantitativ rechtfertigt. Weit über 1.000 Einzelteile bringt das Spiel mit sich. Neben ein paar Hundert Pappcountern (viel Spaß beim Herauslösen), diversen Charakterbögen und mehreren Kartenstapeln gibt es 136 fein modellierte Plastikfiguren, die sogleich für die richtige Stimmung sorgen. Somit ist alles vorhanden, was das Auge für ein großes Brettspiel benötigt.

Sobald man den Spielplan komplett aufgeklappt hat, fängt man ungewollt an, in epischen Bahnen zu denken. Die knallbunte und dennoch recht übersichtliche Karte Lordaerons ist auf eine Fläche von 55x75 cm gebannt und degradiert jeden normalen Tisch zur kleinen Beistellablage. Denn des Weiteren benötigt man nicht nur genug Platz für die ganzen Karten und Counter, die während des Spiels benötigt werden, sondern auch für jeden Spieler ausreichend Platz für dessen Charakterbogen. Auf, um und an diesem werden die Lebens- und Energiepunkte, Fähigkeiten (Talente und Kräfte) und Ausrüstung des eigenen Held vermerkt. (Alternativ könnte man zwar auf dem Teppich bleiben und auf selbigem spielen, jedoch sollte man sich überlegen, ob man seinem Körper dieses für die nächsten mindestens vier Stunden zumuten will.)

Missionsziel

Das Spiel wird in zwei Teams gespielt, wobei bis zu drei der bekannten Charaktere der Horde gegen die der Allianz antreten. Idealerweise sitzt also eine gerade Anzahl an Mitspielern am Tisch. Das Spielziel ist es, entweder binnen der eigenen 15 Fraktionsrunden (also 30 Spielrunden) zuerst den Overlord zu erledigen oder nach Ablauf dieser 30 Runden im finalen Kampf mit der generischen Fraktion die Oberhand zu behalten. Demzufolge gibt es am Ende nicht nur einen Sieger, sondern eine der Fraktionen, die sich als Gewinner feiern lassen kann.

Vor dem Säbelrasseln

Um vor dem ersten Spiel das großformatige 40-seitige Regelheft durchzuarbeiten, benötigt man etwas Zeit, ist anschließend jedoch umfassend informiert und es bleiben kaum Fragen offen. Während man dann den hoffentlich geduldigen Mitspielern die Regeln in Kurzform vermittelt (nicht schwer, aber es sind viele Kleinigkeiten und das dauert eben), bietet es sich für die erste Partie an, nach der vorgeschlagenen Anleitung für das erste Spiel zu spielen. Natürlich bleibt einem während der ersten paar Spielzüge der nochmalige Blick in die Regeln nicht erspart, aber sehr schnell ist man mit den doch recht einfachen Regeln vertraut.

Nun kann es losgehen. Spielplan auslegen und sämtliche Counter und Kartenstapel bereitlegen. Jeder Spieler sucht sich eine von neun möglichen Heldenklassen aus (Krieger, Magier, Druide, etc.) und bekommt alle Kraft- und Talentkarten sowie Marker dieses Heldentypus. Nun muss man sich darüber einigen, für welche Fraktion jeder antritt (bei weniger als sechs Spielern sollte es ausgeglichen sein) und es werden die ersten Questkarten (Aufgaben für die Helden) gezogen. Nachdem die Vorbereitungsphase abgeschlossen ist, beginnt das Spiel mit der ersten Fraktionsrunde der Horde.

Das Wetzen der Waffen - Spielverlauf bis zur Entscheidungsschlacht

Jedes Fraktionsmitglied hat zwei Aktionsmarker, die dieses vielfältig benutzen kann, etwa um auf dem Spielfeld zu reisen, zu kämpfen, Gegenstände zu kaufen oder zu verkaufen, neue Fähigkeiten zu trainieren oder einer Stadt einen Besuch abzustatten. Es ist somit nicht jeder Spieler immer in einer festgelegten Reihenfolge dran, sondern fraktionsinterne Freiräume bringen bitter benötigte Flexibilität, die den Reiz des Spieles ausmacht. Denn unbedingte Kommunikation zwischen den Helden ist dabei nötig, um so effizient wie möglich gemeinsame Züge zu planen und innerhalb der sehr schnell verstreichenden 15 eigenen Spielrunden bis in die maximal 5. Stufe aufzusteigen. (Also einen größeren Vorrat an Lebens- und Energiemarker zu bekommen, sowie bessere Waffen und Zaubersprüche benutzen zu können, die den finalen Kampf erleichtern.)

Erfahrungspunkte, die man zum Aufstieg braucht, sammelt man, wie nicht anders erwartet und ähnlich wie beim Computerspiel, zumeist durch Kämpfe, deren Austragungsorte und Gegner über Questkarten ermittelt werden. Entsprechend werden dann Plastikkreaturen in die vorgegebene Region gestellt.

Hier gibt es eine weitere Eigenart des „World of Warcraft“-Brettspiels. Die Questkarten haben verschiedene Schwierigkeitsstufen und können somit je nach gewünschter Herausforderung der Spieler verdeckt aus einer dieser Gruppen gezogen werden. Diese Quests erzeugen jedoch immer ein paar rote und/oder grüne und manchmal auch blaue Kreaturen auf dem Spielplan. Das Besondere dabei ist, dass sowohl Allianz als auch Horde ihre eigenen Quests haben und nicht in die der jeweils anderen eingreifen können. Einzig die neutralen blauen Kreaturen sind für beide Parteien lästig, da diese beim Betreten einer Region mit der nächsten Aktion sofort bekämpft werden müssen.

Aufgrund dieser grundlegenden Idee spielt man eher nebeneinander her und muss „lediglich“ auf die blauen Monster und kampfwütige gegnerischer Helden achten. Trotz dieser mangelnden Interaktion zwischen den Teams wird es einem nicht langweilig, die Strategie der Gegner zu beobachten und deren Taktik in Kämpfen zu beobachten. Auch für Trashtalk bleibt genügend Zeit.

Bei erfolgreichem Stufenaufstieg winkt als Belohnung neben dem frisch aufgeladenen Charakter mit nun zusätzlichen Lebens- und Zauberpunkten auch jeweils ein spezielles Talent der Heldenklasse. Da hierbei insgesamt zwölf Talentkarten zur Verfügung stehen, bleibt die Abwechslung auch nach mehreren Spielen mit dem gleichen Charakter gewahrt, da man immer andere Entwicklungsrichtungen einschlagen kann.

Als weiteres Zufallselement werden nach bestimmten Spielrunden Ereignisse ausgelöst (Karten vom Ereignisstapel), welche sogar einen gewichtigen Einfluss auf den aktuelle Spielverlauf haben können.

So spielt man Runde um Runde vorrangig gegen die Zeit, da zumeist keine Freiräume bestehen, mal eben einen gegnerischen Helden zu erledigen. Zumal getötete Helden nicht aus dem Spiel genommen werden, sondern immer wieder angeschlagen ins Spiel zurückkommen.

Die Kampfphase

Noch ein paar Worte zum Kampfsystem. Bei den ganzen neuen Ideen für den Spielverlauf ist es fast schon verwunderlich, trotz alledem auf ordinäre achtseitige Würfel zurückzugreifen. Aber um es nicht zu einfach werden zu lassen, gibt es Würfel in drei verschiedenen Farben (blau = Fernkampf/Zauber, rot = Nahkampf, grün = Verteidigung), die auf interessante Weise miteinander verrechnet werden. Dieses ist am Anfang etwas verwirrend, aber nach ein paar Scharmützeln war diese (für mich innovative, da vorher unbekannte) Idee ein Zugewinn für den Spielspaß. Zudem beeinflusst diese die differenzierte Entwicklung der Charaktere durch die teaminterne Aufteilung der Charakteraufgaben (etwa Schaden austeilen/verhindern oder heilen).

Neben den aufgedruckten Startwerten der Helden, wie viele Würfel der jeweiligen Farbe man würfeln darf, kann man sich für das nötige Kleingeld und durch die entsprechende Erfahrungsstufe mit allerlei Waffen, Zaubern, Kräften und Talenten ausstatten, um sich weitere Kampfvorteile zu sichern. Die Monster haben nämlich jeweils festgelegte Kampfwerte, sodass, anders als beispielsweise bei „Risiko“, kein anderer Spieler für dieses würfelt. Somit ist für den frischgebackenen Abenteurer ein Oger zum Anfang vermutlich eine Nummer zu groß (bringt aber Extrabelohnung), gegen Ende des Spieles aber im Normalfall kein Problem mehr. Zusätzlich gibt es auch mitunter die Möglichkeit der Wurfwiederholung.

Somit hängt also alles vom eigenen Würfelglück ab; wenn überhaupt. Die zur Verfügung stehenden Würfel werden nämlich nicht nur in ihrer Anzahl, die man würfeln darf, erhöht (max. 7), sondern können durch die speziellen Fähigkeiten der Helden auch an sich manipuliert werden, wodurch zusätzlich die Notwendigkeit des eigenen Würfelglücks minimiert wird.

Das Besondere an diesem Spiel

Neben der pompösen Ausstattung, die einen sogleich in ihren Bann zieht, ist es vor allem das Teamspiel, welches ich als interessant empfinde. Man benötigt schon die Richtige Strategiemischung, da man sowohl der Gruppe helfen muss, als auch darauf bedacht sein muss, den eigenen Helden aufbauen. Schließlich gewinnt am Ende nicht nur ein Spieler, sondern eine Fraktion. Dementsprechend gibt es auch bestimmte Kräfte und Zaubersprüche, die nicht nur dem eigenen Helden, sondern allen Fraktionsmitgliedern Vorteile bringen.

Dass jede Fraktion ihre eigenen Aufgaben hat, ist eine interessante Idee, die zumindest in meinen bisherigen Spielgruppen nicht störend war. Meinen Anfangsverdacht, dass es für die gerade inaktive Fraktion durch das Nebeneinanderherspielen langweilig wird, konnte ich nicht bestätigen. Der andere Kritikpunkt der langen Spieldauer von wenigstens vier Stunden ist eher subjektiv und hängt nur von der individuellen Spielereinstellung ab. Vor allem rollenspielerfahrene Mitspieler werden damit überhaupt kein Problem haben.

Fazit: Wer einer Fantasy-Welt wie der von „World of Warcraft“ einiges abgewinnen kann, sollte auf alle Fälle einen Blick auf dieses qualitativ und quantitativ hochwertige Spiel werfen. Eine dankbare Alternative zum stundenlangen Zocken vor dem Computer ist es allemal. Ich lernte sogar mir bis dato unbekannte strategische Elemente an einem Brettspiel kennen. Die Regeln sind relativ einfach, was dem Spielspaß zugute kommt, vor allem da man doch mehrere Stunden spielen wird. Durch die dank der vielen verschiedenen Talente und Kräfte zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten der Charaktere bleiben zudem genug Freiräume, die jedes Spiel anders verlaufen lassen. Trotz geringer Interaktion zwischen den beiden Teams gibt es so gut wie keinen Leerlauf und man merkt gar nicht, wie die Zeit, die man in Lordaeron verbringt, verfliegt.


World of Warcraft – Das Brettspiel
Brettspiel für 2 bis 6 Spieler ab 12 Jahren
Christian T. Petersen
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag) 2006
ISBN: 1-58994-283-8
Box mit Spielplan, 136 Miniaturen, 9 Charakterbögen, 468 Spielkarten, 925 Spielmarken, 21 Würfel, 5 Übersichtstafeln, Regelwerk, deutsch
Preis: EUR 79,95

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