Warhammer Fantasy Rollenspiel – Spieler-Handbuch (3. Edition)

Überall mehren sich die Zeichen drohenden Unheils. Strenge Winter, Missernten, Überfälle und Kriege zehren an den Menschen des Imperiums. Gerüchte über den bevorstehenden Angriff einer Chaosarmee schüren die Angst in diesen dunklen Zeiten. Noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Imperator Karl Franz schickt Boten zu alten Verbündeten und bereitet das Imperium auf die Gefahr aus dem Norden vor. Außerdem versammeln sich tapfere Abenteurer, um dem Imperium beizustehen.

von Peter Berneiser

 

2009 erschien die dritte Edition des „Warhammer Fantasy“-Rollenspiels bei Fantasy Flight Games. Endlich hat der Heidelberger Spieleverlag nachgezogen und die deutsche Ausgabe unters Volk gebracht. Ein Grund für die lange Wartezeit war die Umstellung von einer Box mit allen Grundregeln und Spielmaterialien auf separate Regelwerke („Spieler-Handbuch“, „Spielleiter-Handbuch“ und „Kreaturen-Handbuch“) und die dazugehörigen „Arsenale“ seitens Fantasy Flight Games. Etwas Gutes hat die Verzögerung: Die Errata der Originalausgabe wurden in die deutsche Ausgabe eingearbeitet.

Die dritte Edition

Während im „Spieler-Handbuch“ alle grundlegenden Informationen zum neuen Rollenspiel enthalten sind, bietet das „Spielleiter-Handbuch“ erweiterte Regeln (etwa für Krankheiten, Besessenheit oder die Auswirkungen der Winde der Magie). Im „Kreaturen-Handbuch“ sind zahlreiche Kreaturen versammelt, denen Abenteurer auf ihren Reisen durch die Alte Welt begegnen können. Die „Arsenale“ beinhalten unter anderem Aufsteller für Spielercharaktere und Monster, Karriere- und Monsterbögen sowie zahlreiche Marker und Karten. Sie sind zum Spielen nicht zwingend erforderlich. Allerdings ist die dritte Edition auf das umfangreiche Spielmaterial ausgerichtet, welches den Spielablauf wesentlich vereinfacht. Daher werden Spieler auf lange Sicht nur schwer ohne die „Arsenale“ auskommen.

Die Verwendung von Spielmaterial hat für hitzige, sehr emotional geführte Diskussionen geführt. Einige Spieler sehen eine Abkehr vom „klassischen“ Rollenspiel hin zu Brettspielen wie „Descent“ (allerdings werden bei der dritten Edition keine Spielpläne verwendet) und kritisieren die großen Unterschiede zur zweiten Edition. Warum soll eine neue Edition keinen frischen Wind in die Rollenspiellandschaft bringen? Mir gefallen die Neuerungen. Anstatt einen Blick in das Regelwerk werfen zu müssen, kann ich beispielsweise den Effekt eines Zaubers nun direkt auf der Karte nachlesen. Die Karten beschleunigen das Spiel und machen es übersichtlicher. An der „Warhammer“-Welt oder den erzählerischen Aspekten eines Rollenspiels ändert sich dadurch nichts. Die dritte Edition ist daher für Rollenspieleinsteiger besonders interessant.

Das Spieler-Handbuch

Die Aufmachung ist von gewohnt guter Qualität. Einige Illustrationen werden passionierten „Warhammer“-Spielern bekannt sein, andere wurden eigens für die dritte Edition angefertigt. Der Inhalt ist gut strukturiert. Wichtige Erläuterungen sind in separaten Kästen hervorgehoben oder auf einer eigenen Seite aufgeführt. Einige Regeln werden durch Spielbeispiele verdeutlicht. Nach einer Einführung in das „Warhammer“-Rollenspiel und die neue Edition werden alle Spielregeln sowie das Imperium (vor allem die Provinz Reikland) als Schauplatz für Abenteuer in vierzehn Kapiteln vorgestellt und durch einen umfangreichen Anhang ergänzt. Die Einleitung kommt mit wenigen Worten auf den Punkt. Auf eine kurze, aber verständliche Einführung in das Spielprinzip eines Rollenspiels folgt ein Spielbeispiel für Einsteiger. Anschließend werden die Spielkomponenten (Karten, Bögen, Marker und Würfel) beschrieben.

Die Charaktere

Die ersten vier Kapitel sind den Spielercharakteren gewidmet. Zur Auswahl stehen Reikländer, Azgaraz-Zwerge, Hochelfen und Waldelfen, denen unterschiedliche Karrieren offenstehen. So können Menschen, Elfen und Zwerge zu Jägern werden, aber nur Hochelfen können den Weg eines Schwertmeisters (von Hoeth) einschlagen. Erschaffungspunkte werden zum Steigern der Eigenschaften (Stärke, Widerstand, Gewandtheit, Intelligenz, Willenskraft und Charisma), zum Trainieren von Fertigkeiten, für Talente und Aktionskarten sowie zur Bestimmung des Reichtums eines Charakters ausgegeben.

Eigenschaften beginnen mit einem Wert von zwei bis drei. Der Wert gibt die Anzahl der blauen Würfel an, die bei einer Aktion gewürfelt werden. Jede Karriere hat zwei Haupteigenschaften, die bei der Charaktererschaffung einen Bonus erhalten. Fertigkeiten sind in Grundfertigkeiten, die jeder Charakter nutzen kann (wie Nahkampf oder Heimlichkeit), und spezielle Ausbaufertigkeiten (wie Kanalisieren und Magieblick) unterteilt. Jede Steigerung einer Fertigkeit fügt dem Fertigkeitswurf einen gelben Würfel hinzu. Je nach Rasse und Widerstandswert kann ein Charakter mehr oder weniger Wunden einstecken oder den verderblichen Einflüssen des Chaos länger widerstehen. Talente werden an freie Felder des Karrierebogens angelegt und sind entweder permanent aktiv (das Talent „Zwielichtig“ fügt beispielsweise Fingerfertigkeitswürfen einen Bonuswürfel hinzu) oder müssen für einen bestimmten Effekt verbraucht werden. Die Talentkarte wird dann umgedreht und kann erst in vier Runden wieder eingesetzt werden. Es gibt drei Arten von Talenten: Fokus (Intellekt), Ruf (Ansehen) und Taktik (Kampf). Die Karrieren unterscheiden sich durch die Anzahl und Art der Talente, die sie nutzen können. Am Karrierebogen angelegte Talente können jederzeit durch ungenutzte Talente ausgetauscht werden. Während eines Kampfes erfordert der Wechsel allerdings ein Manöver. Zusätzlich zu den acht grundlegenden Aktionskarten wie „Einfacher Schlag“ oder „Parade“ gibt es eine sehr große Auswahl an vielfältigen Aktionen.

Den Spielercharakteren stehen zu Beginn einer Spielrunde drei Schicksalspunkte zur Verfügung, mit denen Aktionswürfe verbessert oder Talente und Aktionen rascher wieder eingesetzt werden können. Zusätzliche Schicksalspunkte erhalten Spieler beispielsweise für eine stimmungsvolle Charakterdarstellung oder das Überwinden besonderer Herausforderungen. Diese Punkte werden erst auf dem sogenannten Gruppenbogen gesammelt, bis sie an die Charaktere gleichmäßig verteilt werden. Der Gruppenbogen repräsentiert die Spielercharaktere als Gruppe sowie deren Motivation und Identität. Eine Gruppe Elfen könnte beispielsweise als „Diplomatische Gesandtschaft“ durch das Imperium reisen. Zum einen verleiht der Gruppenbogen einige Vorteile, zum anderen wird dort die Gruppenanspannung festgehalten. Steig die Anspannung etwa durch Streitigkeiten, können negative Effekte ausgelöst werden. Gruppenbögen können ebenso wie Karrieren im Verlauf des Spiel gewechselt werden.

Die Regeln

Die sogenannte Würfelzusammenstellung ist das Herzstück der neuen Edition. Die Würfel haben unterschiedliche Farben und Symbole. Je nachdem, welche Eigenschaft gefordert ist, werden entsprechend viele blaue Wertewürfel hinzugefügt. Kommen Fertigkeiten zum Tragen, werden noch gelbe Würfel in Höhe der Trainingsstufe dazugelegt. Weiße Glückswürfel oder schwarze Pechwürfel können aus unterschiedlichen Gründen ihren Weg in die Zusammenstellung finden: Glück beispielsweise als Rassenvorteil (Zwerge im Kampf gegen Grünhäute) oder aufgrund eines taktischen Vorteils, Pech etwa durch Wunden oder Dunkelheit. Je nach Schwierigkeitsgrad einer Aktion gesellen sich zudem ein bis fünf violette Herausforderungswürfel dazu. Anschließend werden die Würfel (oft eine Handvoll) geworfen und die Symbole miteinander verglichen. Misserfolge und Erfolge sowie Hemmnisse und Vorteile heben sich gegenseitig auf. Bleibt ein Erfolg übrig, ist die Aktion geglückt – weitere Ereignissymbole haben unterschiedliche Effekte. Mehr Erfolge lassen die Aktion besonders gut gelingen. Aber auch bei einer gelungenen Aktion können überzählige Hemmnisse unerwünschte Nebeneffekte haben. So pariert beispielsweise ein Schwertmeister den Angriff des Orks, allerdings erschöpft ihn die kräftezehrende Parade. Entweder werden die Ergebnisse anhand der verwendeten Aktionskarte bestimmt oder der Spielleiter interpretiert sie bei einer Aktion ohne entsprechende Karte. Insgesamt ist das Würfelsystem spannend und durchdacht, allerdings muss man sich an die Würfelei erst einmal gewöhnen und als Spielleiter Erfahrung in der Deutung sammeln.

Die Haltung gibt an, wie ungestüm und aggressiv oder bedacht und besonnen ein Charakter ist. Abhängig von Rasse, Karriere und Erfahrung wird die Haltungsleiste zusammengesetzt. Diese besteht aus einem neutralen Mittelteil sowie roten und grünen Haltungsteilen. Je nachdem, ob ein Charakter im roten (waghalsigen) oder grünen (vorsichtigen) Bereich ist, kann er entsprechend blaue Wertewürfel in grüne (niedriges Risiko <-> geringer Erfolg) oder rote Würfel (hohes Risiko <-> großer Erfolg) umwandeln. Die Haltung kann jederzeit verändert werden (während des Kampfes erfordert das eine Aktion).

Die beidseitigen Aktionskarten (je nach Haltung ist die rote oder die grüne Seite aufgedeckt) decken unterschiedliche Bereiche ab – von Kampf bis Interaktion. Neben den grundlegenden Aktionen erlernen die Spielercharaktere im Verlauf des Spiels besondere Aktionen. Auf einer Karte stehen die besonderen Merkmale, auf welche Eigenschaft und Fertigkeit gewürfelt wird, wie lange es dauert, bis man sie erneut einsetzen kann, die Schwierigkeit und welche Voraussetzungen sie hat. Beispielsweise muss ein Slayer bei der Aktion „Trollschlächter“ im Nahkampf gegen einen größeren Gegner oder in Unterzahl kämpfen. Außerdem sind Symbole angegeben, anhand derer das Resultat des Würfelergebnisses abgelesen werden kann.

Während eines Zuges kann ein Charakter zusätzlich zur Aktion ein freies Manöver ausführen (etwa Waffe ziehen, einen Tisch umwerfen, ein Talent an seinem Karrierebogen austauschen oder sich bewegen). Zusätzliche Manöver erschöpfen die Charaktere. Die Regeln für Bewegung und Distanzen sind sehr abstrakt. Es gibt vier Entfernungskategorien: Kurz, Mittel, Weit und Extrem. Mit einem Manöver „Bewegung“ kann ein Charakter sich in eine andere Kategorie bewegen. Nahkampf findet auf kurze Entfernung statt, wenn man zuvor über ein Manöver Kontakt zum Gegner hergestellt hat. Es gibt keine Bodenpläne oder genauen Meterangaben, sondern eine auf das Wesentliche reduzierte Darstellung.

Angriffe werden wie andere Würfelzusammenstellungen ausgeführt und durch die gegnerische Verteidigung modifiziert. Bei Erfolg werden Stärke (Nahkampf) oder Gewandtheit (Fernkampf), der Schadenswert der Waffe und zusätzlicher Schaden (etwa durch Erfolge beim Angriffwurf) zusammenaddiert. Von diesem Wert werden der Widerstand, der Schutzwert der Rüstung und andere Effekte abgezogen. Das Ziel erleidet entsprechend viele Wunden und gegebenenfalls einen oder mehrere kritische Treffer. Je Wunde wird eine Wundenkarte gezogen. Der Clou: Für jeden kritischen Treffer wird eine Wundenkarte umgedreht und der dort beschriebene Effekt tritt in Kraft. Übersteigt die Anzahl der Wunden das Wundenlimit eines Charakters, wird er bewusstlos. Übersteigt die Zahl der kritischen Wunden zudem seinen Widerstandswert, stirbt er. Sammeln sich zu viele Stress- und Erschöpfungsmarker bei einem Charakter an, kann er dadurch bei Würfelzusammenstellungen schwarze Pechwürfel erhalten. Und vor Angst und Wahnsinn sind die Charaktere in der düsteren „Warhammer“-Welt erst Recht nicht gefeit.

Magie ist eine gefährliche Angelegenheit. Magiebegabte Charaktere absorbieren die Winde der Magie. Ein Magieanwender kann mehr Macht in sich speichern, als gut für ihn ist. Dann kann es zu einer erschöpfenden Entladung kommen. Zauber sind Aktionskarten, deren Effekte vom Würfelergebnis abhängig sind. Jeder Zauber kostet Macht, die sich langsam regeneriert. Zusätzliche Macht kann mit der Aktion „Macht kanalisieren“ erlangt werden. Bei einem Patzer muss der Spieler eine Zauberpatzerkarte ziehen. Habe ich schon erwähnt, dass Magie eine gefährliche Angelegenheit ist?

Die Gebete der Priester funktionieren ähnlich. Was für die Magieanwender die Macht ist, ist für Priester die Gunst. Zuerst erbittet ein Priester von seinem Gott ein Gebet, dann muss er die nötige Energie in Form von Gunst erlangen. Auch Priester können ein gefährliches Maß an Gunst erlangen und so den Zorn ihres Gottes riskieren. Magier können grundlegende Zauber und die Zauber eines der acht Orden, Priester grundlegende Gebete und die Gebete eines der neun Götter erlernen.

Auf die Regeln folgt ein Überblick über das Imperium. Mit vierzehn Seiten ist dieses Kapitel allerdings sehr kurz gehalten. Der Schwerpunkt liegt auf der Provinz Reikland, dem zentralen Abenteuer-Schauplatz in den Grundregeln. Auch wenn nachfolgende Quellenbände die Lücken sicherlich schließen und weitere Schauplätze für mutige Abenteurer hinzufügen werden, vermisse ich vor allem Informationen über das tägliche Leben im Imperium (wie Aberglaube, Bräuche oder Traditionen), welche für die Charakterdarstellung wichtig sind.

Wer auf das Spielmaterial in den „Arsenalen“ verzichten möchte, erhält im letzten Kapitel eine Übersicht über die notwendige Grundausrüstung. Ein „Muss“ ist das Spielmaterial (bis auf die Würfel) nicht. Wer will, kann alle Spielwerte auf dem erweiterten Charakterbogen eintragen sowie auf die Karten verzichten und die Aktionen aufschreiben. Der Mehraufwand ist aber nicht unerheblich. Die Regeln sind eng mit der Verwendung des Spielmaterials verknüpft, so dass die „Arsenale“ zwar eine teure, aber vor allem für Einsteiger empfehlenswerte Anschaffung sind.

Der umfangreiche Anhang macht die Hälfte des „Spieler-Handbuchs“ aus und enthält die grundlegenden Karrieren (von A wie Agent bis Z wie Zauberlehrling), weiterführende Karrieren (wie Assassine und Hexenjäger), Gruppenbögen (etwa Lumpenbande und wagemutige Erforscher), Talente und Spezialkarten sowie zahlreiche Aktionen (grundlegende Aktionen, Gebete, Nahkampf, Fernkampf, Unterstützung und Zauber). Die entsprechenden Bögen und Karten sind im „Spieler-„ und im „Spielleiter-Arsenal“ oder in zukünftigen „Arsenalen“ enthalten.

Fazit: Die dritte Edition des „Warhammer Fantasy“-Rollenspiels ist im Kern ein klassisches Rollenspiel, das mit zahlreichen Brettspiel-Elementen ein neues Spielgefühl erschafft – und nicht nur aufgrund des Platzbedarfs, den das Spielmaterial erfordert. Urteilt nicht vorschnell über die neue Edition ohne ein paar Proberunden gespielt zu haben. Müssen denn Würfel immer Zahlen zeigen? Mir gefällt die Einbindung des ansehnlich gestalteten Spielmaterials in ein Erzählspiel. Das Material unterstützt dabei das klassische Rollenspiel. Das Gemüt eines Charakters spiegelt sich übersichtlich in der Haltung und in den angesammelten Stressmarkern wider und die Würfelergebnisse – vor allem Hemmnisse und Vorteile – laden zu stimmungsvollen Beschreibungen der Szene ein. Hoffentlich werden viele Neulinge trotz des hohen Preises der drei Grundregelwerke mitsamt Arsenalen über die neue Edition ihren Weg zum Rollenspiel finden. Denn eine niedrige Einstiegshürde und ein hoher Preis passen nicht gut zusammen. Ansonsten ist die neue Edition ein Rollenspiel mit vielen guten Ideen und Potenzial.


Warhammer Fantasy Rollenspiel – Spieler-Handbuch
Grundregelwerk
Jay Little
Heidelberger Spieleverlag 2011
ISBN: 9783942857000
323 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

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