Vampira 1: Das Erwachen

„Ein Geheimnis, aus Träumen geboren. Eine junge Frau, bar jeder Erinnerung. Das furchtbare Erbe einer Rasse, so alt wie die Wurzeln der Menschheit. Eine Bestimmung, die nach hundert Jahren Schlaf ihre Erfüllung finden soll. Vampira erwacht. Und macht sich auf, eine feindliche Welt zu entdecken.“

von Christian Humberg

 

Exkurs: Fandom-Archäologie

Mit den eingangs erwähnten Worten begann und bewarb Bastei Ende November 1994 eine neue Romanheftserie der Horrorschiene, die neben den Dauerbrennern „Professor Zamorra“ und „Geisterjäger John Sinclair“ auf einem stetig schwindenden Markt um die Gunst der Leser kämpfen sollte. 50 Roman- und, nach einer langfristig leider missglückten Formatumstellung Mitte der 1990er Jahre, weitere 60 Taschenhefte lang begleiteten wir die Halbvampirin Lilith Eden bei ihrem Kreuzzug gegen die Angehörigen des Alten Volkes, die Blutsauger, bis Bastei die äußerst ambitionierte Serie einstellen musste, zu der mittlerweile sogar Comics erschienen waren. Danach lebte „Vampira“ in neuem Gewand und unter neuer Bezeichnung beim Zaubermond Verlag fort, der unter dem Reihentitel „Das Volk der Nacht“ noch viele Jahre qualitativ hochwertige Fortsetzungen sowie Nachdrucke der Basteiromane im formschönen Hardcoverformat produzierte.

Im Zuge des momentanen Booms im Bereich phantastisches Hörbuch wagt Lübbe Audio den Versuch, die seit mittlerweile sieben Jahren nicht mehr im eigenen Haus fortgeführte Produktion in Form einer Hörspielreihe zu adaptieren. Mit „Das Erwachen“ liegt deren erste Folge vor.

Bevor wir zum eigentlichen Inhalt kommen, sei dem Rezensenten kurz ein Wort der Verwunderung gestattet: Der aktuelle Hörspielfan kennt „Vampira“ nicht. Eine so lange inaktive Heftromanreihe gilt heute wirtschaftlich als tot und ist nur noch denen ein Begriff, die ihr auch damals schon die Treue hielten. Ein Wiedererkennungseffekt im CD-Geschäft ist also nur jenen vorbehalten, die der Verlag seinerzeit für eine zu kleine Gruppe hielt, um die Romanreihe fortzuführen. Neuhörer kommen nun erstmalig mit der Serie in Kontakt. Im Zuge der Bewerbung eines neuen Hörspiels scheint es zumindest diesem Rezensenten sinnvoller, aktuell laufende Romane umzusetzen – Heftserien wie „Maddrax“ böten sich an.

Wunder zwei: Bereits vor einigen Jahren war die Firma Braintone mit einem halbstündigen, selbst produzierten Demo eines „Vampira“-Hörspiels an Bastei herangetreten (das man übrigens kostenlos herunterladen kann). Damals hatte der Verlag die Reihe nicht starten wollen. Heute, ganze sieben Jahre nach Einstellung, tut er es. Und noch immer muss sich die damalige Demoversion nicht hinter der neuen Produktion verstecken.

Okay, nun ist aber genug gefachsimpelt worden, kommen wir zum vorliegenden Hörspiel.

Zarte Anfänge eines Epos

Sie erwacht auf einem Friedhof in Sydney, ohne Erinnerung. Ihr Name, ihre Herkunft und Vergangenheit – nichts davon ist ihr bekannt. Ein verhutzelter Mann (?) namens Hadrum bedrängt und bedroht sie, liefert ihr aber erste Anhaltspunkte über ihre Vergangenheit. Doch wer ist diese Lilith Eden; ein nichtssagender Name, der offenbar ihr eigener ist.

In einem alten Haus in der Paddington Street wird Lilith ihres Schicksals gewahr, von dem die ganze Welt abhängt. Denn sie ist die Tochter einer waschechten Vampirin und eines Menschenmannes und hat die Zeit seit ihrer Geburt, die letzten 98 Jahre, im Tiefschlaf verbracht, um heranzureifen und ihre vorherbestimmte Aufgabe zu übernehmen – den Kampf gegen die Vampire der Welt. Rat- und hilflos muss sich Lilith ihrer Mission stellen und sich dabei primär auf ihre Instinkte verlassen, denn auch wenn ihr selbst noch alles neu und fremd erscheint, haben ihre Feinde seit Langem auf ihr Erwachen gewartet und setzen nun alles daran, ihr junges Leben zu beenden.

Der Klang des Blutes

„Vampira“ wurde von Manfred Weinland und Michael Schönenbröcher konzipiert. Weinland übernahm unter dem Pseudonym Adrian Doyle die Rolle des Chefautors und fand nach wenigen Bänden im amerikanischen Kollegen Timothy Stahl einen idealen Mitstreiter. Gemeinsam entwarfen und erschrieben sie sich ein Universum, das ohne Übertreibung alles in den Schatten stellte, was bisher (und meist auch seitdem) im Bereich Heftliteratur Usus war – egal ob im Heft, Taschenheft oder Hardcover publiziert.

Mit der Adaption des Stuttgarter Regisseurs Florian Fickel, der auch schon für die Hörspiele zu „G-Man Jerry Cotton“ verantwortlich war, erhält dieses bahnbrechende Werk dankenswerterweise ein neues Leben. Und ein Gutes noch dazu. „Das Erwachen“ ist sehr solide und mit spürbarer Liebe zum Material produziert. Die Darstellerriege ist durchweg gut gewählt, besonders Christian Rode als Erzähler adelt die Produktion. TV- und Bühnenschauspielerin Tina Haseney passt stimmlich sehr überzeugend zur Lilith-Rolle; in dieser ersten Folge, die dramaturgisch noch leicht unter Liliths anfänglicher Hilflosigkeit leidet, meistert sie die undankbare Aufgabe, unsere spätere Heldin noch überwiegend schwach zeigen zu müssen, sehr gekonnt. Und mit der Verpflichtung des bekennenden Horrorfans und Musikers Bela B. Felsenheimer für die in späteren Romanen sehr wichtige Rolle des Vampirs Landru, der sich zu Liliths Erzfeind entwickeln wird, ist Fickel ein wirklich großer Coup gelungen. Man darf gespannt sein, wie Bela B. seinen in einem kurzen Cameo hier noch eher düster und einseitig angelegten „Kelchhüter“ Landru weiter entwickelt.

Die Sache mit dem Heftroman – eine Bitte um Verständnis

„Vampira“ war eine Heftromanserie, die in einen sterbenden Markt geboren wurde und sich aus Gründen der Verkaufsträchtigkeit zu Beginn noch eher an ein allgemeineres, maskulines Publikum richtete –  wer hinter dieser Formulierung aufgesetzt wirkende „Erotik“-Szenen vermutet, liegt richtig. Und auch die Adaption spart diese Stellen nicht aus – setzt sie aber deutlich freier und  geschmackvoller um, als es die Braintone-Fassung („Ist auf deinem Schoß noch Platz?“ – „Du bist so scharf!“, schauder...) seinerzeit tat. Schon bald entwickelte sich die immer komplexer und vor allem immer mythologischer werdende Serienhandlung aber weiter, sodass sich Verlag, Autoren und vor allem die Leser dankbar von diesen überwiegend unsinnigen Passagen entfernten. Ersthörer seien daher gewarnt, dass ihnen hier noch der frühe Pulp-Charakter der Romane um die Ohren weht, spätere Hörspiele werden zwar auch nicht ganz auf derartige Einsprengsel in den Romanen verzichten (warum auch), diese aber nur noch dort antreffen, wo sie dramaturgisch auch Sinn machen.

Fazit: Will man diesem Hörspiel unbedingt etwas vorhalten, so ist es wohl sein spätes Erscheinen – für das die Produktion aber nichts kann. „Vampira“ ist wieder da und erobert in Form des Hörspiels endlich noch ein weiteres Medium. Dies geschieht mit Sorgfalt, Atmosphäre und auf hohem Niveau. Es wäre der gelungenen Produktion zu wünschen, dass sie neben der Reanimierung der alten Fans auch viele Neuhörer für sich begeistern kann.


Vampira 1: Das Erwachen
Hörspiel
Hörspiel nach dem Heftroman von Manfred Weinland
Florian Fickel
Lübbe Audio 2006
ISBN: 378573171X
1 CD, 67 min., deutsch
Preis: EUR 7,95

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