Troja 1 – Das Volk des Meeres

Homers Gesänge über den Untergang Trojas zählen zu den ältesten Mythen der Menschheit. Noch 3.000 Jahre später bewegen sie die Herzen der Menschen. Es verwundert daher nicht, dass der Stoff immer wieder aufgegriffen und neu bearbeitet wird. Wir wollen uns heute eine Comic-Umsetzung ansehen, die jüngst im Splitter-Verlag erschienen ist.

von Morgath

 

Die Serie ist auf 4 Bände angelegt und sie ist groß angelegt. Sie setzt weit vor dem trojanischen Krieg an, und zumindest im ersten Band bekommt man Troja nicht einmal zu sehen. Wir schreiben das 13. Jahrhundert vor Christus. Die bekannte Welt besteht aus dem Mittelmeer und den zahlreichen Städten, die an seine Küste gebaut wurden. Der machtgierige Agamemnon versucht die freien Städte in den Mykenischen Bundes zu zwingen, deren Großkönig er ist. Wer sich ihm widersetzt, riskiert sein Leben zu verlieren.

Achilles, der König von Phthia, liebt die Freiheit, aber auch die schöne Helena, die Tochter des Königs von Sparta. Eine Hochzeit würde aber beides in Gefahr bringen, denn ein Bündnis zwischen Phthia und Sparta wäre ein Dorn im Auge Agamemnons und würde unweigerlich zum Krieg führen. Achilles wäre bereit, für Freiheit und Liebe zu kämpfen, aber Helena möchte das Vernünftigste für ihr Volk tun (mit anderen Worten, sie hat Angst!). Sie ist daher bereit, Menelaos, den widerwärtigen Bruder Agamemnons, zu ehelichen, um einen Krieg zu verhindern.

Währenddessen erhebt sich eine unbekannte Macht im Osten und vernichtet eine Stadt nach der anderen. Keiner bekam die Armee bisher zu sehen. Auch der Leser kann zunächst lediglich eine schwarze Aschewolke sehen, die sich unaufhaltsam Richtung Mittelmeer bewegt. Das Orakel offenbart später den Hintergrund: Es ist der Kampf zwischen Zeus und seinem Vater Kronos. Zeus hatte vor langer Zeit Kronos besiegt und aus Griechenland vertrieben. Dieser, verletzt und gekränkt, kehrt nun zurück, um zu fordern, was einst sein war. Ein Krieg steht bevor. Die Aschewolke steht für Kronos. Die Griechen stehen für Zeus. Und wenn alles so kommt, wie ich erwarte, werden diese beiden Kräfte dort aufeinandertreffen, wo Troja steht …

Es liegt nun am Achilles, seinen Groll zu bändigen, sich der Gefahr im Osten zu stellen und den Sieg für die Griechen zu erringen.

Die Handlung ist komplex, sie verfügt über mehrere Erzähl- und Zeitebenen, ohne dabei unübersichtlich zu werden. Eine große Geschichte bestellt ihren Acker und verspricht eine reiche Ernte. Dabei werden zahlreiche bekannte Personen oder Motive aus der griechischen Mythologie aufgegriffen und neu verarbeitet. Und hier liegt das Zünglein an der Waage, ob man den Comic lieben oder hassen wird. Der Autor Nicolas Jarry verarbeitet Bekanntes auf so ungewöhnliche Art und Weise, dass zumindest Personen, die sich in der griechischen Mythologie auskennen, phasenweise die Hände über dem Kopf zusammenschlagen werden. Dabei stören nicht einmal die kleinen Fehler, wie beispielsweise, dass einmal der Koloss von Rhodos erwähnt wird, obwohl dieser erst im 3. Jahrhundert vor Christus erbaut wurde. Nein, Jarry gibt sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden, sondern schlachtet gleich die heiligen Kühe. Hier einige Beispiele:

(1) Achilles und Helena sind ein Liebespaar. Das habe ich so noch nie gelesen und empfand ich als verstörend.

(2) Sparta wird wie ein ganz gewöhnlicher Stadtstaat dargestellt und Helena, die spätere Königin, geht aus Furcht vor einem Krieg eine Ehe ein, die sie nicht will. Aus Furcht? Wir reden hier über Sparta! Die sind mit 300 Mann gegen ein Heer bestehend aus 1.000.000 Soldaten marschiert und waren dabei noch siegesgewiss (grandios dargestellt in Frank Miller Comic „300“). So ist Sparta! Und nicht so, wie Jerry es darstellt.

(3) Die griechische Mythologie kennt zwar den Götterkrieg zwischen Zeus und Kronos, aber der hatte nichts mit Troja zu tun. Der trojanische Krieg entstand, weil Aphrodite, Hera und Athene darüber stritten, wer die Schönste von ihnen war und Paris darum baten, dies zu entscheiden. Da jede Göttin gewinnen wollte, bestachen sie Paris: Hera versprach ihm Herrschaft über die Welt, Athene versprach ihm Weisheit und Aphrodite die Liebe der schönsten Frau der Welt. Paris entschied sich für Aphrodite, woraufhin diese dafür sorgte, dass Helena sich in ihn verliebte. Da sie bereits vermählt war, entführter Paris sie und brachte sie nach Troja, wo sein Vater herrschte. Der Rest dürfte bekannt sein.

Diese Punkte haben mich beim ersten Lesen sehr verstimmt, da der Comic meinem Bild vom trojanischen Krieg in vielerlei Hinsicht widersprach. Als ich aber nach etwas Abstand den Comic zum zweiten Male las (und darauf vorbereitet war, was mich erwarte würde), konnte ich die Geschichte genießen. Sie ist nämlich richtig gut. Die Handlung ist gut durchdacht (auch wenn ich nicht weiß, warum das Heer von Sparta zu Beginn in der Nähe von Ägypten herzumzog, aber das wird vielleicht später noch erklärt). Die Hauptfiguren kommen überzeugend rüber. Achilles ist ein sympathischer Held. Helena eine kluge und verführerische Frau, deren Motive nachvollziehbar sind. Agamemnon und Menelaos sind Machtmenschen, die über Leichen (bzw. Hochzeiten) gehen. Und auch die Zeichnungen von Erion Campanella Ardisha sind stimmungsvoll und geben die Szenerie gut wieder. Kurz: es entwickelt sich eine gute Geschichte, auf deren Fortsetzung ich sehr gespannt bin.

Fazit: Der erste Band der Troja-Tetralogie entpuppt sich als gute Geschichte, die aber besser daran getan hätte, in einer eigenen Welt zu spielen, anstatt auf die griechische Mythologie zurückzugreifen und diese gehörig durcheinanderzuwirbeln. Als Fantasy-Comic wäre er richtig gut. Als Nacherzählung des trojanischen Krieges eher durchwachsen. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen und davon abhängen, mit welcher Erwartung man an den Comic geht.


Troja 1 – Das Volk des Meeres
Comic
Nicolas Jarry, Erion Campanella Ardisha
Splitter Verlag 2015
ISBN: 978-3-95839-060-7
48 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 13,80

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