Tractatus contra Daemones – Dämonen des Schwarzen Auges

„Herr der Rache: Tyakra’man / Xarfai führt die Truppen an / Gal’k’zuul hilft beim Ersaufen / Tezzphai lässt dich schneller laufen / Tijakool schickt tote Horden / Iribaar ist irr geworden / Nagrach alles Land gefriert / Calijnaar stets neu gebiert / Zholvar bringt dir Gold und Schätze / doch Mishkhara schickt die Krätze / Widharcal der Höllenschmied / Schmerz und Lust schenkt Dar-Klajid.“

 

?Merkvers für die Herrscher der siebtsphärischen Dämonen

von Jorge C. Kafka

 

Dämonen! Sie springen dem Betrachter dieses ungewöhnlichen Bandes aus dem Verlag Ulisses Spiele GmbH nicht nur im Titel in bosparanischer (also lateinischer) und in deutscher Sprache entgegen, sondern auch in Form eines büstenhaften Konterfeis, eines Porträts, ins Auge.

Wie das künstlerische Vorbild Giuseppe Arcimboldo entwarf der Coverillustrator Michael Jaecks ein kunstvolles Arrangement; aus unzähligen und verschiedenen Insekten, Würmern und Spinnen gestaltete er eine pervertierte Form jener Porträts, die den italienischen Maler des Manierismus weit über das späte 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart berühmt machten. Das und wie Jaecks Technik der Coverillustration mit der Grundidee und dem Inhalt des Bandes „Tractatus contra Daemones“ verbunden ist, wird später noch erläutert.

Im schmutzig-dunklen Braun- und Grüntönen gehalten, gibt sich der Einband sehr düster. Die aufgemalten Metallbeschläge an den Buchecken deuten an, dass es sich bei „Tractatus contra Daemones“ um ein ganz spezielles Buch in der Reihe der neuen „DSA“-Publikationen von Ulisses Spiele handelt. Das schwarze Lesebändchen signalisiert ebenfalls den Wunsch, etwas Ungewöhnliches zu präsentieren.

Dieser (durchaus positive) Eindruck setzt sich fort, sobald der Band aufgeschlagen ist: kein schneeweißes Papier, sondern eher eines in der Färbung von Büttenpapier und kein Schwarz-Weiß-Druck, sondern ein vollständig in Sepia gedrucktes Buch!

Vom verblüffenden Äußeren zum überraschenden Inneren von „Tractatus contra Daemones“ ist der erste Leseschritt das kurze aber eindeutige Vorwort der Autoren-Troika. „Tractatus contra Daemones“ ist eine (beabsichtigt unvollständige) Sammlung aventurischer Quelltexte zum Thema Dämonen. Es ist kein neues Regelwerk, sondern im Wortsinne eine Spielhilfe.

Begleitet wird das Vorwort von einem zweiten Prolog, den die ebenso fragwürdige wie begabte aventurische Gestalt Tarlisin von Borbra, Magus et Magister Maximus dem Werk „Tractatus contra Daemones“ zum Geleit vorangestellt hat. Auch Tarlisin weist darauf hin, es handle sich bei dem vorliegenden Werk „nur“ um eine Compilatio, und er warnt ausdrücklich davor, die Existenz anderer in dieser Zusammenstellung unerwähnter Dämonen anzuzweifeln und abzustreiten.

Wie haben die irdischen Autoren diese Spielhilfe, diese Sammlung inneraventurischer Quelltexte denn nun gegliedert, aufbereitet und präsentiert? „Tractatus contra Daemones“ lässt sich grob in drei unterschiedlich große Teile unterscheiden: Das Kapitel „Grundlegendes“ (acht Seiten), die Kapitel über die zwölf Erzdämonen und ihre Dienerrassen (116 Seiten) beziehungsweise freie und unabhängige Dämonen (13 Seiten) und abschließende Kapitel über „Die Symbole der Erzdämonen“, ihre „Spielwerte“ und die „Allgemeinen Eigenschaften der Dämonen“. Der Schwerpunkt liegt erkennbar auf den Erzdämonen Aventuriens und ihrem niederhöllischen Gefolge.

Im Kapitel „Grundlegendes“ finden sich sieben Unterkapitel, die mit je annähernd einer Seite der Compilation als Einleitung dienen. Sie entstammen verschiedenen Ausgaben des „Salamander“, der Quartalsschrift der Magiergilden, die bisher gelegentlich dem „Aventurischen Boten“ beilag. In diesen kurzen Schriften werden unter anderem die verschiedenen Spährenmodelle Aventuriens und die Niederhöllen diskutiert. Die Gefahren der direkten Analogie zwischen Aventurischen Göttern und den Erzdämonen werden beleuchtet, aber auch die Natur von Dämonenpakten und die Rolle der Paktierer. Tarlisin kommt darin übrigens zu dem frevlerischen Schluss, es müsse eine Art „Seelensammler“ geben, der auf das Geheiß der Dämonen und unter alveranischer Duldung die Seelen der Paktierer ihrer jeweiligen Kontrakte gemäß direkt in die Niederhöllen verfrachtet.

Weiterhin bescheinigt Tarlisin den Paktierer-Reichen ihren baldigen und unweigerlichen Untergang, auch lässt er es sich nicht nehmen, beispielhaft den typischen Aufbau eines herrschenden Erzdämonen-Kultes zu skizzieren. „Naturwissenschaftlich“ wird er, wenn es um das Wesen der Dämonen geht. Tarlisin versucht sich an einer Vereinheitlichung zweier gängiger Theorien beziehungsweise Modelle; er bemüht sich anschaulich und überzeugend, die Individualtheorie mit dem Konstruktivistischen Modell miteinander in Einklang zu bringen und nennt diese vereinheitliche Theorie von den Dämonen „Modifikationstheorie“. Zuletzt erfährt der Leser von zwei eingängigen Merkversen für die Herrscher der Siebten Sphäre (siehe Eingangszitat).

Das Kapitel über die zwölf Erzdämonen und ihre Dienerrassen hat im Grunde für jeden einzelnen Erzdämon den gleichen Aufbau. Die Reihenfolge orientiert sich am Jahreskreis der göttlichen Gegenspieler, somit beginnt dieses Kapitel mit Blakharaz als Widersacher Praios’. Vorangestellt ist ein längeres Zitat, dann folgt die Beschreibung, Geschichte, Eigenarten usw. des jeweiligen Dämons. Meist fließen weitere Zitate, Auszüge, Berichte, Kommentare oder Apokryphen als Belege in die Texte ein. Darauf werden ausgewählte Diener aus dem Gefolge des Dämons charakterisiert. Auch hier verfährt Tarlisin im Aufbau wie beim Erzdämon.

Herausragend in der Reihe der zwölf Erzdämonen ist Asfaloth. Seiner Beschreibung vorangestellt ist ein Auszug aus den Prozessakten, die angefertigt wurden, als Tarlisin im Jahre 1008 BF vor dem Gildentribunal zu Punin stand. Tarlisins eigene Versuchung durch den Erzdämon wurde dort seinerzeit verhandelt.

Für die freien und unabhängigen Dämonen gilt ebenfalls das gleiche Prinzip des Textaufbaus. Hier allerdings wartet „Tractatus contra Daemones“ mit einigen wirklichen Überraschungen und Neuerungen auf! Beispielhaft zu nennen wäre die gepanzerte madenähnliche Kreatur Zazamotl’gnakhyaa, die selbst unter den Dämonen in Bezug auf Boshaftigkeit und Angriffslust ihresgleichen sucht. Der Dämon schätzt nämlich nicht nur Blut, Gehirn, Augen und Eingeweide vernunftbegabter und beseelter Lebewesen, nein, er hält sich auch an Mehrgehörnten schadlos! Damit darf er durchaus als eine Art „Rückversicherung“ für Paktierer gelten…

Der inneraventurische Teil des Bandes „Tractatus contra Daemones“ schließt mit einer Tafel der Symbole der einzelnen Erzdämonen. Quasi als ersten Anhang und irdischen Teil des Bandes finden sich alle Spielwerte der Dämonen. Auf ihre Beschreibung wird noch einmal mit einer Seitenzahl hingewiesen und es werden ihre möglichen Dienste erwähnt, die sie dem Paktierer leisten können. Nahezu jeder Dämon ist noch einmal mit einer verkleinerten Abbildung dargestellt. Im zweiten Anhang geht bezüglich aller Eigenschaften der Dämonen und ihrer Dienste auf insgesamt neun Seiten ins Detail.

Zu den Innenillustrationen, die ebenfalls von Michael Jaecks hergestellt wurden, soll an dieser Stelle gesondert gesprochen werden. Wie bereits in Bezug auf das Cover angedeutet, bedient sich Jaecks dort manieristischer Anleihen, die sich bei den Illustrationen im Inneren des Bandes fortsetzen. In der Darstellung gängiger Ästhetik spottender Kreaturen bietet es sich zwangsläufig an, vom üblichen Proportionsschema bekannter, „natürlicher“ Wesen abzuweichen. Auch ist es eine gängige Methode, bizarre Pervertierungen natürlicher Kreaturen oder ihrer Körperteile beziehungsweise Gliedmaßen miteinander in irrwitziger Anordnung zu kombinieren. Diese Verzerrungen von Proportionen (Beine, Arme, Tentakeln, Fühler usw.) und die Rekombination mit wesensfremden Körperteilen gelingen Jaecks’ bisweilen recht gekonnt.

Die wenigsten Kreaturen wirken auf den ersten Blick natürlich; die meisten Kreationen Jaecks sind als dämonischen Ursprungs sehr schnell identifiziert. Das liegt oft an ihrer an die rhetorische Figur des Oxymoron erinnernde Gestalt. Wie diese aus der manieristischen Literatur bekannte Figur vereinen die Dämonen häufig zwei oder mehr gegensätzliche, einander (scheinbar) widersprechende oder sich gegenseitig ausschließende Gliedmaßen oder Körperteile: Flügel und Schlangenschwanz, Raubtierklaue und Insektenfühler usw. Beinahe alle Darstellungen wirken asymmetrisch oder abstoßend hässlich. Die wenigsten sind in obszöner Form erotisch oder ähnlich anstößig – was bedauerlich, aber sicher der meist minderjährigen Leserschaft geschuldet ist. Ebenso wenige sind bereits in ihrer überdeutlichen Symmetrie bizarr oder abnorm zu nennen, doch auch bei diesen vermögen Jaecks’ Illustrationen zu überzeugen.

Von der grundsätzlichen Geschmacksdiskussion bezüglich der diversen Illustrationen von „DSA“-Publikationen mal abgesehen ist es sicherlich besonders schwer, jene Art von Wesen darzustellen, die in ihrem Anblick bizarr, erschreckend und vor allem aber vollkommen andersartig, eben un-natürlich wirken sollen. Das verdrehte, blasphemische Gegenbild der Aventurischen Götter zu entwerfen und auch zu zeichnen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Michael Jaecks hat es auf seine eigene, überzeugende Art und Weise gelöst. Selbst wenn einige seiner Zeichnungen lächerliche Züge aufweisen, spotten selbst diese ihrer aventurischer Widerparte, verhöhnen göttliche Schöpfungen und fügen sich dennoch in den chaotischen Kanon niederhöllischer Kreaturen.

In dieser an den Manierismus angelehnten Tradition scheint auch das gesamte Werk „Tractatus contra Daemones“ zu stehen. Die teilweise allegorische und häufig enigmatische Darstellung der Dämonen in den inneraventurischen Texten Tarlisins deuten tatsächlich die Zeit des Umbruchs an, in der sich Aventurien, ja, die gesamten weltlichen, akademischen und religiösen Vorstellungen Aventuriens befinden. Wie sein irdisches Pendant zur Zeit der Hochrenaissance steht Aventurien an einem Scheidepunkt; das Harmonische, das Ausgewogene scheint sich aufzulösen, sich zu verändern. Und die drei irdischen Autoren Kamaris, Raddatz und Römer lassen das ihre Leser mit den Texten Tarlisins und den vielen anderen beigefügten Dokumenten spüren.

Fazit:
Ein ungewöhnlicher, überraschender und spezieller Band aus dem Verlag Ulisses Spiele GmbH. Er sorgt sicher für viel positive wie negative Kritik. Diese bisher einzigartige Spielhilfe ist für den Sammler und Kenner ein Muss. Für den ambitionierten Spielleiter und für Leser phantastischer Literatur (etwa H. P. Lovecraft) ist der Band sicherlich anregend. Selbst für „DSA“-fremde Spielleiter kann dieses Buch recht nützlich sein. Der Preis von 25,- EUR ist angesichts der aufwendigen Illustrationen und des ansehnlichen Drucks gerechtfertigt. Wer etwas anderes als das oben Beschriebene erwartet hat, hat weder die Ankündigungen des Verlages verfolgt, noch vor dem Kauf einen kurzen Blick ins Buch geworfen.


Tractatus contra Daemones – Dämonen des Schwarzen Auges
Quellenbuch
Heike Kamaris, Jörg Raddatz, Thomas Römer
Ulisses Spiele 2008
ISBN 9-78-3-940424-59-4
160 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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