The Thing – Das Brettspiel

Schlimmer kann ein Horror-Setting kaum sein: In der menschenfeindlichen Einöde der Antarktis stoßen Wissenschaftler eines Forschungsaußenpostens auf einen Alien-Organismus, der jede biologische Gestalt annehmen kann und nur ein Ziel kennt: alles Lebende um ihn herum zu infizieren und zu assimilieren. Willkommen bei „The Thing“, einem semi-kooperativen Paranoia-Brettspiel, bei dem sich mit jedem Zug die Frage stellt: Wer ist eigentlich noch ein Mensch – und wer nicht?

von Frank Stein

Eingangs ein paar Sätze zum Hintergrund: Im August 1938 erschien im US-Science-Fiction-Magazin „Astounding Science Fiction“ die Kurzgeschichte „Who Goes There?“ von John W. Campbell Jr., der sie unter dem Namen  Don A. Stuart verfasst hatte. Darin finden Wissenschaftler einer isolierten Forschungsstation ein vor zwanzig Millionen Jahren im Eis abgestürztes Raumschiff – inklusive eines einzelnen fremdartigen Wesens, das eingefroren ist. Doch das Wesen taut auf, erwacht zum Leben und fängt sofort an, Stationsmitglieder zu töten und mithilfe von extremen Anpassungsfähigkeiten deren Gestalt und Persönlichkeit zu imitieren. Die Wissenschaftler bemerken das Treiben, doch zu dem Zeitpunkt ist bereits unklar, wer alles ersetzt wurde. Paranoia breitet sich aus und es kommt zu vielen Opfern, bevor die Menschen die Situation unter Kontrolle kriegen.

Die erste Verfilmung der Geschichte erschien 1951 unter der Regie von Christian Nyby und Howard Hawks. Allerdings nahmen sich die Macher von „Das Ding aus einer anderen Welt“ einige Freiheiten. So verlor des Ding seine Fähigkeit zu Gestaltwandlung und wurde stattdessen fast unbesiegbar, Entsprechend reduziert war der Paranoia-Aspekt, die Spannung wurde auf konventionellere Art erzeugt. 1982 machte Genre-Spezialist John Carpenter („Halloween“, „The Fog“, „Die Klapperschlange“) den Schritt zurück und stellte in seiner Verfilmung die Paranoia wieder in den Vordergrund. Zwar enthält sein „The Thing“ auch ein paar der ekligsten Spezialeffekte seiner Zeit, aber die hauptsächliche Spannung entsteht aus der Frage, wem man überhaupt noch trauen darf, ein Umstand, der die Männer vor Ort über ihre Grenzen hinaus belasten wird. Von allen Versionen der Geschichte endet Carpenters am düstersten.



Carpenters Film ist gewissermaßen eine Fortsetzung von Campbells Kurzgeschichte (auch wenn sie Campbells Setting und Personal nutzt), denn die Entdeckung des Alien-Raumschiffs und des Wesens selbst finden hier nicht statt. Das Drama beginnt, als Norweger einen Hund durchs Eis zur Station der Amerikaner jagen – und dabei zu Tode kommen. Natürlich ist der Hund infiziert, und das Unheil kann seinen Lauf nehmen. Die Geschichte in der Norweger-Station wurde dann erst 2011 im Prequel zu „The Thing“ von Matthijs van Heijningen Jr. erzählt. Ich erwähne das deshalb, weil auch das Brettspiel zu „The Thing“ von Andrea Crespi und Giuseppe Cicero erstmal nur Bezug auf den Carpenter-Film nimmt. Es gibt aber eine Erweiterung namens „Norwegischer Außenposten“ (die der Ringbote gesondert vorstellen wird). Beide Spiele erblickten im Rahmen eines Kickstarters von Pendragon 2020 das Licht der Welt, wobei sich die Kickstarter-Version von der Handels-Version im Wesentlichen durch zwei Dinge unterscheidet. So gab es für die acht enthaltenen Charaktere und die vier Ding-Inkarnationen Plastikminiaturen (dieses Set lässt sich auch gesondert im Handel erwerben), außerdem wurden vier kickstarter-exklusive Charaktere freigeschaltet sowie Minis für die Charaktere des norwegischen Außenpostens.

Davon abgesehen hat die Handels-Version, die auf Deutsch von Asmodee vertrieben wird, sehr vom Kickstarter profitiert. So ist das Spielmaterial wirklich von toller Qualität. Ein großer, robuster, vielleicht etwas zu bunter Spielplan, bedruckte Stoffbeutel, Plastik-Spielmarker für Treibstoff, Nahrung und Flammenwerfer-Ladungen und schicke Illustrationen auf Charakter-, Ausrüstungs- und Waffenkarten – all das sorgt für einen erfreulichen ersten Eindruck. Die Charaktere sind zwar nur als Standees enthalten – kurioserweise anders als die Hunde, denen Plastikminis spendiert wurden –, aber das geht völlig in Ordnung, und wen es stört, der kann ja das Miniaturen-Set kaufen (das allerdings zum Zeitpunkt dieser Rezension hierzulande noch nicht lieferbar war).



Den genialsten Einfall hatten die Macher beim Plastik-Inlay. Normalerweise sind diese Sortierhilfen ja einfach schwarz – praktisch, aber langweilig. Pendragon entschied sich stattdessen für eine eisblau-transparente Version, durch die man auf den Boden der Box schauen kann, den ein Alien-Raumschiff im Eis ziert. Ein absolut sehenswerter Effekt, und man fragt sich ernsthaft, warum nicht schon viel mehr Spieleschmieden auf diese Idee gekommen sind.

Als Spiel, das seinen wesentlichen Reiz aus dem Gefühl von Paranoia zieht, wird „The Thing“ im Optimalfall mit möglichst vielen Personen gespielt. Vier bis acht gelten als Standardbesetzung. Nun sind so große Runden nicht jedermanns Sache, weswegen auch ein voll kooperativer Modus mit ein bis drei Spielern ersonnen wurde, der zwar viele Mechanismen mit dem Standardspiel teilt, aber doch einen anderen Schwerpunkt hat.



Der Einstieg mag ein wenig erschrecken, denn vor allem der Aufbau ist etwas aufwändiger. Die Forschungsstation will eingerichtet werden und zahlreiche Marker und Karten wollen, gemäß der jeweiligen Spielerzahl, ausgelegt werden. Unpraktischerweise listet der Aufbau für das kooperative Spiel am Ende der Anleitung nur die abweichenden Punkte auf, sodass man ständig blättern muss, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu ermitteln. Im Standardspiel – wir bleiben jetzt erstmal dabei – nimmt dann jeder Spieler einen Charakter, danach werden verdeckt Hunde-Infektionsmarker verteilt, wobei genau ein Alien-Hund enthalten ist. Wer diesen bekommt, ist der erste Alien-Spieler und wird fortan gegen die menschlichen Spieler spielen. Das Ziel: Alle Menschen töten oder infizieren. Dafür sorgen, dass die Menschen erfrieren. Oder allein oder mit den Menschen gemeinsam von der Basis entkommen. Die Menschen gewinnen nur, wenn sie alle erfolgreich aus der Basis entkommen – ohne Alien an Bord.

In diesem Spannungsfeld spielt man Runde um Runde. Dabei hat jede Runde acht Phasen, die erfreulicherweise auch auf kleinen Übersichtskarten aufgeführt werden. Das hilft enorm. Zuerst wird das Wetter ausgewürfelt. Je nachdem, ob es sonnig, bedeckt oder stürmisch ist, wird danach Treibstoff in der Basis verbraucht, übrigens – genau wie Nahrung – ein endliches Gut. Wenn der Treibstoff leer ist, wird man langsam erfrieren. Geht die Nahrung aus, hungern die Charaktere und werden ineffizienter. Phase 3, die Alienaktionen, findet nur statt, wenn sich das Alien enttarnt hat oder enttarnt wurde. Dann versucht es, die Basis zu sabotieren und Personen zu töten, indem es verdeckt festlegt, in welchen Räumen es in dieser Runde zuschlägt (die Stärkemarker sehen die Menschen zwar, aber nicht, wo das Alien sein wird).



In Phase 4 verteilen sich die Spieler (Menschen und verborgene Aliens) auf die Räume des Spielplans. In jedem Raum kann man nützliche Dinge tun. Im Heizungsraum lässt sich Öl nachfüllen. Im Labor kann man ein Serum entwickeln, um Aliens zu enttarnen. Im Lager findet man Ausrüstung, in der Waffenkammer Waffen, der Basishubschrauber will repariert werden usw. Man darf diese Aktionen jedoch nicht automatisch durchführen. Stattdessen reicht man verdeckt eine Aktionskarte aus der Hand an den jeweiligen Startspieler der Runde. Auf dieser Karte ist entweder ein Benutzen-Symbol, ein Reparieren-Symbol oder ein Sabotieren-Symbol. Sabotieren-Karten werden in der Regel von Alien-Spielern hinzugefügt. Der Startspieler muss den Stapel mischen und dann jedem Spieler eine Aktion zuweisen – die positiven wie die negativen. Ist der Startspieler selbst ein Alien, kann es durchaus sein, dass diese Aktionen nicht optimal verteilt werden.

Treffen sich Charaktere, streunende Stationshunde oder sogar enttarnte Alien in den Räumen, kommt es zu Begegnungen, die gemäß einer relativ komplexen Begegnungstafel abgehandelt werden. Die Gefahr dabei liegt vor allem darin, dass ein verdecktes Alien oder ein infizierte Hund einen Menschen heimlich infiziert und auch zum Alien macht. Das wird durch den Austausch verdeckter Spielmarker abgehandelt. Begegnungen mit enttarnten Aliens führen zum Kampf, der entweder in der Flucht des Aliens (inklusive Stärkeverlust) oder im Tod beziehungsweise der Verwandlung eines Menschen oder Hundes endet – was das Alien stärker macht.



Anschließend geht es für alle in den Aufenthaltsraum zurück, wo nicht nur Ausrüstung ausgetauscht werden darf, sondern man sich auch gegenseitig bezichtigen kann, ein Alien zu sein. Dabei rücken sogenannte Verdachtsmarker auf einer Leiste hoch, bis ein Spieler letztlich dermaßen „unter Beobachtung“ steht, dass er seine Aktionskarten in Phase 4 nur noch offen spielen darf. Obendrein lassen sich mithilfe eines Serums oder eines Flammenwerfers plus Draht (das kann nur verstehen, wer den Film kennt – es geht darum, dass Alien-Blut vor einem heißen Draht zurückschreckt) Test durchführen, wer Mensch ist und wer nicht. Wer hier als Alien enttarnt wird, wird ab sofort zur offenen Bedrohung für die Menschen.

Zuletzt wird noch Nahrung verbraucht und ein paar Aufräumarbeiten werden durchgeführt, dann wechselt der Startspieler und es geht in die nächste Runde.

Im kooperativen Spiel bleibt vieles gleich, bloß werden die Rollenkarten zu Beginn verdeckt unter die Charakterbögen gelegt, sodass die Spieler nicht wissen, welche der sechs Charaktere (es wird immer mit sechs Charakteren gespielt, egal ob solo oder zu dritt) Menschen sind und welche Aliens (bis zu zwei sind möglich). Außerdem werden Aktionen jetzt nicht mehr zugeteilt, sondern zufällig erwürfelt. Und das gegenseitige Beschuldigen fällt weg, weil ja keiner der Spieler weiß, welcher Charakter ein Alien ist. Verdachtsmarker rücken trotzdem auf der Leiste hoch, vor allem, wenn man sich begegnet. Und ein entgegenrückender Alienmarker sorgt für Zeitdruck, denn sobald Verdachtsmarker und Alien aufeinandertreffen, geht das große Assimilieren los.



Wie man sehen kann, haben die beiden Spielmodi etwas unterschiedliche Stimmungen. Im Standardspiel steht eindeutig der Paranoia-Aspekt im Vordergrund. Gerade für Alien-Spieler ist es spannend und eine Herausforderung, heimlich die menschlichen Mitspieler zu infizieren und zu sabotieren. Die menschlichen Spieler dagegen sind sich mit jeder Runde, jeder Begegnung, unsicherer, wie viele es von ihnen eigentlich schon erwischt hat. Das fängt die Atmosphäre des Films „The Thing“ wirklich perfekt ein. Im Koop-Modus geht es dagegen eher um Zeitdruck und das eigene Überleben. Wird man es schaffen, rechtzeitig ein Fluchtfahrzeug zu reparieren und alle Leute zu testen, um auch garantiert nur mit Menschen von der Forschungsstation zu fliehen? Oder erwischt einen die Alien-Plage vorher und bringt alle um? (Dass man erfriert, ist eher unwahrscheinlich. Da müsste man schon großes Würfelpech beim Wetter haben und sehr nachlässig mit der Heizungsanlage umgehen.) Beide Spielmodi funktionieren dabei gleich gut und jeder macht auf seine Weise Spaß.

Hoch anzurechnen ist dem Spiel, dass die Macher wirklich versucht haben, mit jedem Spielmechanismus die Geschichte des Films einzufangen. Manchmal sind so Franchise-Spiele ja bloß „gewöhnliche“ Brettspiele, auf die eine bekannte Marke geklatscht wurde. So bleibt etwa „Risiko“ im Grunde „Risiko“, auch wenn es als „Star Wars Risiko“ verkauft wird. Bei „The Thing“ aber fühlt man sich dauernd an den Film erinnert. Die Paranoia ist da. Das schleichende Infizieren der Menschen durch Alien-Hunde und Alien-Menschen. Die Gefahr des Verhungerns und Erfrierens. Das gegenseitige Beschuldigen im Aufenthaltsraum, was zu verstärkter gegenseitiger Überwachung führt. Man kann Labortests machen und sogar Tests mit dem Flammenwerfer und der Drahtrolle. Das Wetter wechselt ständig. Man kann die Station in Brand stecken, um sich zu wärmen. All das stammt direkt aus dem Film! Hier haben Andrea Crespi und Giuseppe Cicero wirklich tolle Arbeit geleistet.

Fazit: „The Thing – Das Brettspiel“ überzeugt praktisch auf ganzer Linie. Gut, das Regelwerk mag etwas ungeschickt aufgebaut sein. Aber man versteht das Spiel trotzdem eigentlich ziemlich gut. Das Spielmaterial sieht sehr schön auf dem Tisch auf. Die Paranoia-Atmosphäre des Films ist im Standardspiel perfekt eingefangen. Im Koop-Modus wird stattdessen spannender Survival-Horror gegen die Zeit geboten. Uns hat „The Thing“ in den Testrunden extrem viel Spaß gemacht. Der Nachteil ist nur, dass man für das optimale Spielerleben eine Menge Leute am Tisch braucht.

The Thing – Das Brettspiele
Brettspiel für 1 bis 8 Spieler*innen ab 13 Jahren
Andrea Crespi, Giuseppe Cicero
Pendragon/Asmodee 2022
EAN: 4015566602595
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,95

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