The Life Eaters

„Was wäre, wenn…?“ Eine mehr als reizvolle Frage, denn was hätte nicht alles passieren können, wenn die Geschichte nur an einer Stelle von den Ereignissen, wie wir sie kennen, abgewichen wäre. Der Comic „The Life Eaters“ gibt eine mögliche Antwort und schickt den Leser durch eine etwas andere zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

von Bastian Ludwig

Inhalt

6. Juni 1944: Tausende Schiffe und Flugzeuge der westlichen Alliierten steuern auf die Normandie zu, um der Naziherrschaft in Europa ein Ende zu bereiten und die im Osten vorrückende Rote Armee zu entlasten. Doch plötzlich fegen tosende Winde die Geschwader vom Himmel und die Wogen des Ozeans brechen über die Flotte herein. Die Alliierten werden vernichtend geschlagen.

Tja, der D-Day verlief in der alternativen Realität von „The Life Eaters“ etwas anders, als er in unseren Geschichtsbüchern steht. Der Grund dafür: Mittels schwarzer Magie ist es den Nazis gelungen, die Götter der nordischen Mythologie zu beschwören, und mithilfe der übermenschlichen Kräfte von Thor, Odin, Heimdall und wie sie alle heißen, den Krieg für sich zu entscheiden.

Ende 1962: Die letzten freien Menschen haben sich zu einer völkerübergreifenden Armee zusammengeschlossen und leisten verzweifelten Widerstand gegen die Despoten aus der Welt der Mythen. Unterstützt werden sie von Loki, der sich als einziger der Götter von den Asen losgesagt hat. Mehrere Einsatzteams befinden sich auf dem Weg zur schwedischen Insel Gotland, um die sich dort befindende Walhall in die Luft zu sprengen. Leiter eines der Sprengteams ist Chris Turning, dem es mit seinen Männern tatsächlich gelingt, Gotland zu erreichen. Doch die Mission schlägt fehl und die Männer werden von den Asen gefangen genommen. Chris’ bis zuletzt anhaltender Widerstand lässt ihn zum Vorbild für den jungen Menschen Lars werden, der bei den Asen als Mundschenk dient.

Einige Jahre später: Auch anderen Kulturen ist es gelungen, ihre Götterwelt zu beleben und so hat sich der Krieg zu einem Weltkrieg der Götter entwickelt, in dem die Menschen völlig vernichtet zu werden drohen. Lars ist inzwischen vom Mundschenk zum mit einer mächtigen Rüstung ausgestatteten, verlängerten Arm der Asen geworden. Doch insgeheim arbeitet er im von Chris Turnings Mythos motivierten Untergrund daran, die Menschheit endlich von den Göttern zu befreien.

Besprechung

Eine provokante Science-Fiction-Saga verspricht der Klappentext, und damit hat er zum Teil Recht. Science Fiction liest man hier zwar nicht, denn der Ursprung der alternativen Realität, die lebendig gewordenen Götter, lässt sich eindeutig der Fantasy zuordnen. Provokant ist der Comic aber zumindest in der Frage, ob er eine inakzeptable Entfremdung eines der dunkelsten Kapitel der Weltgeschichte betreibt. Denn „The Life Eaters“ bedient sich eines der wahrscheinlich beliebtesten Themen seines Genres: Was wäre, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Bei dieser Themenwahl wandelt man immer auf dem schmalen Grat, auf der einen Seite eine fiktive, umgeformte Version der Geschichte präsentieren zu wollen, auf der anderen Seite aber auch angemessen mit der realen Geschichte umgehen zu müssen.

Der Comic umgeht dieses Problem insoweit, dass er durch seine überzeichnete Prämisse seine selbst geschaffene Welt so überdeutlich von der realen Welt abgrenzt, dass damit jeder Verdacht von Geschichtsklitterung zunächst einmal entschärft wird. Das verhindert aber natürlich nicht komplett, dass hier zum Beispiel die Ursachen für den Holocaust mit dem Ziel der Entwicklung eines Fantasy-Settings uminterpretiert werden oder dass die Nazis in gewisser Weise verharmlost erscheinen. Denn mit den Asen und den anderen Gottheiten wird ein noch grausamerer Feind erschaffen, unter dessen Herrschaft nun auch die Nazis zu so etwas wie Opfern werden, zumindest aber zu untergeordneten Handlangern des Schreckens. Die ganze Sache ist noch insoweit okay, weil zumindest explizit deutlich gemacht wird, wer hier die Guten und wer die Bösen sind.

Nun liegt es ja in der Natur des Genres, Geschichte zu verändern und dies auch auf provokante Weise zu tun. Ein solches Gedankenspiel ist völlig legitim und kann im besten Fall zu einem anderen Blickwinkel auf und zu neuen Erkenntnissen über die behandelte Epoche führen. Damit kann der Comic sein eigenes provokantes Potenzial allerdings nicht rechtfertigen, denn wie schon beschrieben ist die Geschichte durch ihre Prämisse dafür zu weit von der Realität entfernt, sodass die provozierenden Elemente schlimmstenfalls als reiner Selbstzweck, bestenfalls als Mittel der Irritation und der damit verbundenen Spannung erscheinen. Man muss also sicherlich selbst entscheiden, ob es „The Life Eaters“ schafft, gerade so Halt zu machen, bevor die Grenze des Akzeptablen überschritten wird oder ob doch ein paar Schritte zu viel gegangen werden.

Zumindest auf einer handwerklichen Ebene unstrittig ist das hervorragende Artwork. Scott Hampton benutzt als Basis klassische Tuschezeichnungen, die ihm gut gelungen sind, wirklich herausragend ist aber die Kolorierung, denn Hampton war in den 1980er Jahren einer der Pioniere der Technik der Malerei in Comics. Die einzelnen Panels weisen eine Bandbreite von Maltechniken vom feinen, fließenden Pinselduktus bei den Figuren, bis hin zu einem wilden, ungeordneten in den Hintergründen auf, wodurch aus jedem Panel ein kleines Gemälde wird. Hampton setzt die Pinselführung optimal zur Unterstützung des Bildinhaltes ein. In den zahlreichen Schlachtszenen ist sie dynamisch, ungeordnet und aufgelöst; im wahrsten Sinne des Wortes explosiv. In den ruhigen Momenten geordnet und fließend. Die Farbgebung ist dabei gedeckt; kalte Farbtöne und vor allem viele Schattierungen von Grau dominieren. Umso mehr springen einem die rar gesäten Rot- und Gelbtöne in Blut und Feuer entgegen. Den stimmungsvollen Gemälden Hamptons ist es auch zu verdanken, dass diese Alternativwelt authentischer wirkt, als man vielleicht in Anbetracht der Prämisse erwarten würde.

Fazit: „The Life Eaters“ ist visuell beeindruckend und spannend erzählt, inhaltlich allerdings sicherlich nicht jedermanns Geschmack.


The Life Eaters
Comic
David Brin, Scott Hampton
Cross Cult 2009
ISBN: 978-3-941248-15-1
160 S., Hardcover, deutsch
Preis EUR 25,00

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