Terrorscape

Eine Gruppe Pechvögel wird während einer nächtlichen Wanderung von einem Sturm überrascht und flieht in eine verlassene Villa. Doch unglücklicherweise wartete dort weitaus Schlimmeres als strömender Regen: ein blutrünstiger Killer … Was wie der Plot eines B-Movie-Horrorfilms klingt, ist in Wahrheit ein Einer-gegen-Alle-Brettspiel, das Elemente des Klassikers „Scotland Yard“ mit blutrünstiger Action verbindet. Wagen wir uns ins Haus des Schreckens?

von Frank Stein 

Wer kennt das nicht vom letzten Wochenende? Eben ist man noch gemütlich mit einem alternden Arzt, einer taffen Detektivin und einem paranoiden Ingenieur durch den Wald spaziert (fragt nicht!), und plötzlich findet man sich bei Scheißwetter in diesem fiesen Gruselhaus wieder. Und dann vernimmt man auf einmal das Knattern einer Kettensäge und jemand schreit: „Liebling, ich bin zuhause!“ Klingt nach einer Spätvorstellung im Bahnhofskino? Absolut! Aber „Terrorscape“, das Brettspiel für 2 bis 4 Personen ab 16 Jahren von Grimspire, nimmt es mit dem Realismus nicht ganz so genau. Hier geht’s nur um Atmosphäre, Klischees und das Spiel mit der Angst. Da wundert es auch niemanden, dass die Nachnamen der Protagonisten allesamt an Hollywood-Regisseure erinnern, die Filme mit irren Killern gedreht haben: Kubrick („The Shining“), Scott („Alien“), Craven (hier Carven, ein Druckfehler?) („Nightmare on Elm Street“), Hooper („The Texas Chain Saw Massacre“) und Nispel („Exeter“).

Das asymmetrische Spielprinzip um einen Killer, der sich mit drei Überlebenden anlegt, ist dabei ebenso spannend wie der Spielaufbau vorab. (Kurzer Einschub: Ich habe keine Ahnung, warum die Spielerfiguren „Überlebende“ genannt werden. Dass sie eine Partie überleben, ist nämlich alles andere als ausgemacht.) Wenn man die schwergewichtige Box erstmals öffnet, staunt man zunächst über die vielen Pappteile. Okay, vermutlich staunt man nicht, denn entweder hat man „Terrorscape“ genau wegen diesem einen prominenten Teil des Spielplans gekauft oder man hat zumindest mal auf die Schachtelrückseite geschaut. Jedenfalls dienen diese Teile dazu, ein durchaus imposantes Gruselhaus zu errichten, das den Spieltisch sehr erfolgreich in zwei Hälften teilt – die des Killers und die der Überlebenden. Das Haus besteht innen im Wesentlichen aus Luft, allerdings befindet sich auf dem Dach eine Fläche für gemeinsam genutzte Spielelemente und im rechten Teil wurde hübscherweise ein Würfelturm integriert, damit auch beide Seiten über die Würfelergebnisse informiert sind.

Sieht man von diesem Ungetüm für Bastelfreunde ab, geht der Aufbau ansonsten flott von der Hand. Ein Spieler wählt einen der drei in der Grundbox vorhandenen Killer aus (Schlächter, Mörder oder Gespenst), alle übrigen wählen drei der fünf Überlebenden. Beide Seiten nehmen sich ihre jeweiligen, höchst praktischen Sortiereinsätze, in die der fürsorgliche Besitzer des Spiels zuvor hoffentlich die passenden Spielmarker gelegt hat, außerdem die Tableaus ihrer Figuren sowie die passenden Plastik-Minis, die im Fall der Überlebenden noch mit farbigen Ringen zur besseren Unterscheidung versehen werden. Der Killer schnappt sich seinen individuellen Kartenstapel, mischt und zieht zwei Karten. Die Überlebenden mischen und platzieren die Karten für den Such- und den Entdeckungsstapel. Zuletzt werden noch eine Handvoll Marker passgenau im Spielbereich platziert, die Überlebenden stellen sich in den Eingangsbereich des Hausplans und der Killer in den Garten, der auf der anderen Seite liegt. 

Dazu ein kurzer Einwurf: Der Hausplan, der doppelt vorliegt – einmal für die Überlebenden, einmal für den Killer –, ist übrigens ein austauschbares Spielelement. In Erweiterungsboxen zu „Terrorscape“ kommen andere Jagdumgebungen hinzu, etwa eine alte Burg, eine Waldhütte oder ein Labor. 

Gespielt wird in abwechselnden Zügen (Überlebende, Killer, Überlebende, Killer etc.) und zwar so lange, bis eine Seite den Sieg erringt. Das Ziel der Überlebenden ist es, entweder fünf Schlüssel zu finden und durch die Haustür zu entkommen (die sich offensichtlich direkt nach dem Eintreten unserer Wanderer mehrfach automatisch verriegelt hat; wer kennt das nicht bei alten Gruselgemäuern?), oder aber das Funkgerät im Wohnzimmer zu reparieren (Standardausrüstung, steht neben jedem Fernseher) und dann fünf Runden durchzuhalten, bis die Polizei eintrifft und dem Spuk ein Ende bereitet. Der Killer hingegen will bloß seine neusten Opfer aufspüren und eins davon auf bestialische Weise zu Tode bringen. (Genau genommen ist das Spiel da nicht so explizit. Es heißt einfach „umbringen“.) Wer zuerst die Siegbedingung erfüllt, triumphiert in dieser Partie.

Heikel bei dem Ganzen: Die Überlebenden können zwar zig Sachen finden, aber sie können den Killer (im normalen Modus) nicht ihrerseits umbringen. Ihnen bleibt nur wegrennen und verstecken. Damit das auf dem doch überschaubaren Spielplan für den Killer nicht zu leicht wird, bedient sich das Spiel der guten alten „Scotland Yard“-Methode. Denn der Killer-Spieler weiß nach dem ersten Spielzug nicht mehr, wo sich die Überlebenden im Haus befinden. Ihr Zug findet verdeckt durch den mächtigen Sichtschutz in der Tischmitte statt, etwas, das übrigens erstaunlich gut funktioniert, selbst wenn man körperlich etwas größer ist. Schielt man nicht seitlich um die Ecke oder hat das Brett vor einem Wandspiegel aufgebaut (soll passieren …), dann hat man eigentlich keine Chance, zu sehen, was in der gegnerischen Spielfeldhälfte passiert. 

Jeder Überlebende hat dabei genau eine Aktion. Er kann sich 1 bis 2 Felder bewegen, sich beruhigen und damit seine Furchtplättchen entfernen (dazu gleich mehr), eine Sonderaktion auf seinem Charakterbogen oder einer Ausrüstungskarte durchführen, eine Barrikade abbauen, das Funkgerät reparieren oder einen Ort durchsuchen. Haben alle Überlebenden ihren Zug gemacht, darf ein Überlebender (nach Wahl) zusätzlich zwei Karten vom Entdeckungsstapel ziehen und eine davon behalten. Je nach Tätigkeit wird bei all dem Lärm gemacht. Das Funkgerät zu reparieren, macht beispielsweise Lärm, auch bestimmte Ausrüstungskarten kann man nicht lautlos aufnehmen. In welchen Räumen Lärm gemacht wurde, muss dem Killer am Ende des Zugs verraten werden. Wer es war, allerdings nicht. Anders ist das übrigens bei einem Angstschrei. Denn der Killer ist im wahrsten Sinne des Worte furchteinflößend, hat also verschiedene Möglichkeiten, Überlebenden Furchtplättchen zu verpassen. Diese werden oben auf dem Hausdach platziert. Hat ein Überlebender drei dieser Plättchen angehäuft, entfleucht ihm ein deutlich hörbarer Paniklaut. Besser kann man dem Killer gar nicht verraten, wo man sich gerade befindet. Also immer schön cool bleiben …

Ist der Killer an der Reihe, führt er seinen Zug im Wesentlichen mithilfe seiner Handkarten aus (die auf fünf begrenzt sind). Zunächst werden beliebig viele „schnelle“ Fähigkeiten ausgelöst. Dann eine „Sonderfähigkeit“ oder zwei Aktionen (bewegen oder suchen, also in einem Raum nach Überlebenden fahnden). Falls man bis dahin niemanden entdeckt hat, führt man noch eine „langsame“ Fähigkeit aus. Dann zieht man drei Karten und erhöht gegebenenfalls die Killerstufe, was einen stärker werden lässt. Die Stufe des Killers wird immer dann erhöht, wenn sein Zugstapel leer ist und neu gemischt werden muss. Jeder Killer hat fünf Stufen, die immer fiesere Spezialfähigkeiten auf dem Killer-Tableau freischalten. 

Die Killer spielen sich durchaus unterschiedlich, aber die meiste Zeit werden sie sich bewegen und nach Überlebenden suchen. Manchmal bauen sie auch Barrikaden, um die Bewegung der Überlebenden einzuschränken, sie flößen Furcht ein oder „spüren“ den Überlebenden nach. Der Unterschied zwischen „spüren“ und „suchen“ ist dabei, dass sich spüren etwas vage auf mehrere Räume bezieht. Eine typische Frage des Killer-Spielers wäre: „Ist jemand in der grünen Zone, also dem Garten?“ Darauf antworten die Spieler ebenso vage „Ja“ oder „Nein“, ohne ihre genaue Position preiszugeben. Gesucht wird dagegen in einem konkreten Raum oder Spielfeld und wer sich dort versteckt, muss sich auch zeigen.

In diesem Fall kommt es zu einer Begegnung zwischen dem Killer und allen Überlebenden vor Ort. Natürlich greift der Killer sofort an. Dazu wählt er eine Angriffskarte. Die Überlebenden (sind es denn mehrere) dürfen einen der ihren zur Verteidigung vorschubsen, dieser darf genau einen Gegenstand nutzen und dann werden Verteidigungswürfel geworfen (vier minus der Anzahl an eigenen Furchtplättchen). Ist das Ergebnis gleich oder höher als die Stärke des Killers, wurde der Angriff abgewehrt. Die Begegnung endet sofort. Ist es dagegen kleiner, wird der Überlebende verletzt. Danach wendet sich der Killer dem nächsten Opfer im Raum zu, falls vorhanden. So eine Verletzung ist übrigens kein Kratzer, sondern gleich ziemlich übel. Denn jeder Überlebende hat bloß zwei Lebenspunkte. Wird man verletzt und war schon verletzt, ist man hinüber und der Killer-Spieler gewinnt die Partie!

„Terrorscape“ spielt sich wirklich flott und ist tatsächlich in 30 bis 45 Minuten zu schaffen, wie auch auf dem Spielkarton angegeben. Das liegt allerdings nicht daran, dass der Killer so ein unbesiegbarer Brocken wäre, wie es vielleicht nach dem Regelstudium den Anschein haben mag. In unseren Partien war eher das Gegenteil der Fall. Eine vorsichtige Gruppe Überlebender, die möglichst wenig Lärm macht, ist echt schwer zu fassen. Hat sie sich außerdem gut verteilt, erwischt man als Killer bei einer Entdeckung immer nur eine Person. Diese zu verletzen, mag sich für den Moment gut anfühlen (wobei gerade das Gespenst damit riesige Probleme hat, das ist nämlich viel zu schwach), doch leider gibt es diverse Heilkarten, die diesen kurzzeitigen Erfolg zunichte machen können. So muss man als Killer – und hier gibt es eindeutig eine Lernkurve – wirklich überlegen, wie man seinen Opfern am Besten zu Leibe rückt. Einfach nur dem Lärm nachzurennen, führt kaum zum Ziel. 

Erfreulicherweise hält das Spiel gleich drei Varianten zum normalen Modus bereit, von denen die erste explizit dazu gedacht ist, den Schwierigkeitsgrad anzupassen. Das geschieht durch sogenannte Eigenschaftskarten, die vor Spielbeginn an Überlebende und Killer verteilt werden und besondere Spieleffekte bieten. Je nachdem, für welche Partei das Spiel einfacher gestaltet werden soll, werden halt mehr oder weniger Eigenschaftskarten an den Killer beziehungsweise die Überlebenden verteilt. 

Variante zwei nennt sich „Getrennte Wege“ und geht davon aus, dass die Spieler einzeln versuchen, dem Horrorhaus zu entkommen. Hat ein Überlebender drei Schlüssel entdeckt, kann er sich erfolgreich vom Acker machen. Der Rest bleibt bibbernd zurück, darf aber weiterspielen. In dieser Variante gewinnen alle Überlebenden, die entkommen konnten. Jeder eliminierte Überlebende verliert. Der Killer gewinnt, wenn er mindestens zwei Überlebende erwischt hat. Der Killer gewinnt alleinig, wenn er alle drei Überlebenden töten konnte. Diese Variante ist deshalb so perfide, weil es nur sieben Schlüssel im Spiel gibt. Ein Überlebender wird also auf jeden Fall einsam zurückbleiben. Und dann das Funkgerät zu reparieren, während der Killer gemütlich im Wohnzimmer auf einen wartet, wird zum schier unmöglichen Heldenakt. 

Die letzte Variante heißt „Überlebensplan“. Hierbei erhalten die Überlebenden kleine Nebenmissionen. Diese bestehen aus mehreren Schritten, die erfüllt werden wollen. Meist muss man von einem bestimmten Ort zu einem anderen bestimmten Ort. Hat man alle Schritte erfüllt, bekommt man einen Spezialeffekt. Die haben es durchaus in sich. Beispielsweise erlaubt die „Explosive Falle“ den Überlebenden, einen Werkzeugkasten abzuwerfen, um verdeckt ein Plättchen zu legen. Wenn der Killer dann in dem präparierten Raum sucht, fliegt dieser in die Luft und die Überlebenden gewinnen. Diese Variante ist sehr gut geeignet, um erfahreneren Überlebendengruppen etwas mehr Herausforderung und Abwechslung zu bieten. Da die Pläne der Überlebenden (es werden zwei zu Spielbeginn heimlich gezogen) dem Killer aber unbekannt sind, wird diese Variante für ihn mitnichten leichter. Eher sieht er sich einer unvermittelten Niederlage gegenüber. Das muss man dann sportlich nehmen. 

Uns hat „Terrorscape“ großen Spaß gemacht. Der Aufbau geht wirklich flott vonstatten und die Regeln sind auch nicht schwer (wenngleich nicht ganz optimal präsentiert; wir haben zwei bis drei Partien benötigt, bis wir alle Feinheiten fehlerfrei zur Anwendung gebracht haben). Lobenswert in dem Zusammenhang sind übrigens die drei Regelwerke, die beiliegen. Einmal gibt es ein vollständiges Regelwerk und dann noch die beiden Hälften für die Überlebenden und den Killer, getrennt fürs praktische Nachschlagen während der Partie. Zwar waren unsere Spiele überwiegend frustrierend für den Killer, dennoch sorgt das nicht dafür, das Spiel deswegen zu verdammen. Stattdessen wollten wir am liebsten immer gleich noch eine Runde spielen, um zu schauen, ob ein anderer Ansatz zu einem anderen Ergebnis führt. Die kurze Spielzeit, das sehr atmosphärische Spielmaterial und die unmittelbare Wettstreit-Komponente (entkommen die Überlebenden oder nicht) tragen hier viel zur Lust am Weiter- und Erneutspielen bei. 

Fazit: „Terrorscape“ sieht nicht nur sehr eindrucksvoll auf dem Spieltisch aus, es macht mit seinem flotten Spielprinzip und der spürbaren Paranoia-Atmosphäre auch verdammt viel Spaß. In unseren Partien lachten vor allem die Überlebenden; für den Killer gestaltete sich die „Scotland Yard“-artige Suche Dank gemeiner Fähigkeiten und viel nützlicher Ausrüstung der Gegenseite recht anspruchsvoll. Ein paar Stellschrauben gestatten aber die Anpassung des Schwierigkeitsgrads. Für Freunde konfrontativer Brettspiele, die keine Angst vor Monstern haben, eine definitive Kaufempfehlung. Damit kann die nächste Halloween-Brettspiel-Party steigen … 

Terrorscape
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 16 Jahren
Jeffrey CCH
Grimspire 2024
EAN: 4255682704814
Sprache: Deutsche
Preis: 99,00 EUR

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