von Andreas Loos
Für viele Rollenspieler, die Mitte der Achtziger oder in den für Pen-&-Paper-Rollenspiele goldenen Neunzigern spielten, waren oft die großen Systeme wie „AD&D“ (erste und zweite Edition), „Traveller“ oder „DSA“ wegweisend. Besonders „AD&D“ war für lange Zeit auf dem Markt der Platzhirsch schlechthin, eine Position die auch in den späteren Editionen verteidigt werden konnte. Primär bediente das System den Bereich Fantasy, aber auch hier gab es Ansätze, das System in andere Genres zu übertragen. So gab es Ende der Achtziger den recht erfolglosen Versuch mit einem „Buck Rogers“-Rollenspiel „AD&D“ auch für Science-Fiction-Rollenspieler auf dem Markt zu etablieren. Was hat das alles mit dem vorliegenden „Rollenspiel“ zu tun?
„Stars without Number“ nimmt die Regeln, die bei „AD&D“ zu finden sind, und ändert sie etwas ab. Das eigentliche Konzept bleibt jedoch unangetastet. So gibt es Erfahrungsstufen, die den Fortschritt eines Charakters dokumentieren, ein THAC0-artiges System zu Bestimmung von Treffern, Rüstungsklassen, Trefferpunkte, Rettungswürfe und Charakterklassen. Alles ist ein wenig abgeändert, aber im Kern ist das „AD&D“-Konzept unverhohlen erkennbar. Der Autor hat sich nach eigener Aussage bewusst dazu entschieden, auch wenn er „AD&D“ mit keiner Silbe erwähnt. Er lässt aber keine Gelegenheit aus, den Leser zu informieren, dass „Stars without Number“ auch als Verbeugung vor den Rollenspielklassikern zu verstehen ist. Daneben hat das SF-Rollenspiel „Traveller“ als weiterer Veteran teilweise Pate für „Stars without Number“ gestanden. Wie bei „Traveller“ gibt es auch hier etliche Tabellen, als Beispiel sei hier nur die Welterschaffung genannt.
Kommen wir zunächst zum Aufbau des Buches. „Stars without Number“ ist in 17 Kapitel und einen Index aufgeteilt und umfasst etwas mehr als 240 Seiten. Das Papier ist griffig und die Buchdeckel und Bindung sind sehr stabil. Für ein Grundregelwerk, das häufiger in die Hand genommen wird, ist das ein wichtiger Punkt. Die Bebilderung bleibt in einem bescheidenen Rahmen. Qualitativ entsprechen die Schwarz-Weiß-Bilder dem Niveau, das man Anfang der Neunziger bei Quellenbüchern für „AD&D“ erwarten konnte. Angesichts der Unmenge an Informationen, die man in das Buch gepresst hat, ist das verständlich. Der Text ist zweispaltig geschrieben. Das Layout hat mir gut gefallen und war für mich sehr übersichtlich.
Nach einer kurzen Einführung in den Hintergrund von „Stars without Numbers“, geht es im ersten Kapitel um die Charaktererschaffung. Hier zeigen sich die Wurzeln des Rollenspiels. Es werden Attribute ausgewürfelt, eine Klasse ausgewählt, Kämpfer, Experten und PSI-Anwender stehen zur Auswahl. Ein persönlicher Hintergrund wird ausgewählt, ein Trainingspaket mit Fertigkeiten und die Heimatwelt des Spielers werden festgelegt. Dann würfelt man seine Trefferpunkte aus und wählt die Sprachen, die der Charakter spricht. Noch schnell Ausrüstung kaufen und für PSI-Anwender die Kräfte festlegen. Fertig! Schon kann man loslegen.
Wie bei „AD&D“ gibt es 6 Attribute die mit 3W6 ausgewürfelt werden. Je höher der Wert eines Attributes, desto höher fallen die Boni aus, die ein Charakter bei seinen Würfen erhält. Niedrige Werte ergeben Mali. Die Klassen sind ebenfalls vergleichbar mit „AD&D“ oder dem ebenfalls von TSR Ende der Neunziger produzierten „Alternity“-Rollenspiel, das sich ebenfalls mit SF befasste. Die Background Packages bieten viele Möglichkeiten, den Hintergrund und die damit verbunden Fertigkeiten schnell auszuarbeiten. Jede Klasse bietet Trainingpackages an, die eine einfache Spezialisierung ermöglichen. So kann ein Charakter mit geringem Aufwand zum Piloten oder zum Maschinisten gemacht werden. Ein Charakter, der als Kämpfer konzipiert wird, könnte das Space-Marine-Package wählen oder die Fertigkeiten eines Söldners auswählen. In jedem Fall geht die Charaktererschaffung schnell und unproblematisch vonstatten.
PSI-Kräfte sind ein wesentlicher Bestandteil des „Stars without Number“-Universum. Mit Psionik wird das Fehlen von Magie kompensiert. Deshalb fällt das Kapitel auch entsprechend ausführlich aus. Die zur Auswahl stehenden Kräfte reichen von Heilkräften über Telekinese bis hin zu Teleportation. Die Liste der Möglichkeiten kann sich sehen lassen. Die Formel zur Nutzung von PSI-Kräften ist auch hier klassisch: Die Kräfte sind in verschiedene Disziplinen aufgeteilt, die schwierigeren Kräfte kosten den Anwender mehr PSI-Punkte als leichtere Aufgaben. Ein versierter Rollenspieler findet sich auch hier sofort zurecht.
Kein Rollenspiel, besonders im Bereich der SF, kommt ohne Ausrüstungskatalog zurecht. Es findet sich ein reichhaltiges Repertoire an Waffen, Rüstungen und anderen Gegenständen. Außerdem gibt es noch Regeln für Cyberware und zum Bau von Bodenfahrzeugen. Das Kapitel über den Entwurf eigener Raumschiffe darf natürlich auch nicht fehlen. Damit die Spieler auf „magische Gegenstände“ nicht verzichten müssen, gibt es Artefakte aus der Zeit vor dem Schrei. Diese seltenen Wunderwerke sind viel wirkungsvoller, haben mehr Funktionen und sind auch haltbarer als alles, was danach geschaffen wurde.
Das vierte Kapitel behandelt sehr ausführlich die Regeln des Spiels. Man findet alles über Fertigkeitswürfe, Bewegung, Kampf, Rettungswürfe, Heilung, Charaktersteigerung und Regeln für Raumschiffe. Der primär für Spieler gedachte erste Teil des Buches schließt in Kapitel fünf mit der Geschichte des Hintergrundes ab. Der Hintergrund ist gut geschrieben und der Autor war sichtlich darauf bedacht, logische Bugs zu vermeiden. Das Thema Wiederentdeckung der Welt nach dem Zusammenbruch ist zwar nicht neu, aber bewährt. Auch hier stand wohl „Traveller“ ein wenig Pate.
Der Bereich für Spielleiter bietet alles Notwendige, um das Rollenspiel mit Leben zu füllen, einen Sektor des Weltraums für eine Kampagne auszugestalten und eine Kampagne auf den Weg zu bringen. Dafür, dass man effektiv einen Sektor mit interessanten Welten besetzen kann, sorgt das ausführliche Kapitel zur Weltenerschaffung, das von der Art und dem Aufbau her mich sehr an „Traveller“ erinnert hat.
Das achte Kapitel befasst sich mit einer sehr interessanten Idee, den Fraktionen. Eine Fraktion könnte ein finsterer Kult oder das böse Imperium von nebenan sein. Es sind wichtige Institutionen, welche die Situationen im Spiel beeinflussen können. Die Fraktion abstrahiert eine solche Organisation auf Spielwerte und sorgt dafür, dass man diese ohne großen Aufwand verwalten kann. Die Idee fand ich richtig gut. Die Fraktion ist übrigens auch ein klein wenig wie die Burg anzusehen, die hochstufige Charaktere bei „AD&D“ bauen konnten.
Kapitel neun gibt dem Spielleiter allerlei hilfreiche Informationen zum Thema Abenteuer. Das Kapitel gibt eine grobe Vorstellung zum Aufbau eines Abenteuers und bietet eine Tabelle mit 100 Abenteuerideen. Genug Stoff für ungezählte Spielstunden. Für erfahrene Spielleiter sind die hier gebotenen Tipps zur Gestaltung eines Abenteuers keine echte Neuerung. Hier wird das Rad nicht neu erfunden.
Um Aliens und die Erschaffung von Alienrassen dreht sich alles im neunten Kapitel. Für eine umfangreiche Ausgestaltung neuer Aliens tragen umfassende Auswahlmöglichkeiten bei. Beispiele für Alienrassen gibt es natürlich auch. Von den drei präsentierten haben mir die Hochog, eine Art Space-Orks, besonders gut gefallen. Damit der Spielleiter das Monster der Woche entwerfen kann, gibt das Kapitel Xenobestiari Anleitung zur Erschaffung von außerirdischen und exotischen Tieren. Zudem werden hier Werte für typische Nichtspielerscharaktere und einige exotische Tiere präsentiert.
Kaum ein Rollenspiel im Bereich SF kommt um die Themen „Künstliche Intelligenz“ und „Roboter“ herum. „Stars without Number“ ist da keine Ausnahme und so wird das Thema ausführlich behandelt. Das geht sogar so weit, dass man als Spielercharakter eine KI selbst zusammenbasteln kann. Nur für den Fall, dass ein Spielleiter Mechkämpfe in seine Kampagne einbauen möchte, gibt es auch ein detailliertes Kapitel zu diesem Thema.
Das Kapitel „Societies“ soll den Spielleiter dabei unterstützen, den Gemeinschaften auf den von ihm geschaffenen Planeten Leben einzuhauchen. Auch hier gibt es eine Menge Tabellen, die dafür Sorge tragen, dass einem so schnell die Ideen nicht ausgehen. Das hat mir gut gefallen und kann natürlich auch in anderen Rollenspielen verwendet werden. In dem Abschnitt „Designers Notes“ spricht der Autor mögliche Schwachstellen im Regelsystem an und gibt hilfreiche Tipps. Was er sich davon versprochen hat, dies in einem eigenen Kapitel zu tun, vermag ich nicht zu sagen. Kurznotizen in dem jeweiligen Kapitel wären in meinen Augen praktischer gewesen.
Der Hydra Sector dient als Beispiel und möglichen Startpunkt für eine Kampagne. Nach dem Muster aus dem Bereich Weltenerschaffung werden 25 Welten beschrieben. Die vier Westentaschenimperien, die sich im Sektor ausgebreitet haben, werden ebenfalls kurz angeschnitten. Ein paar hübsche Reiseinformationen, die den Spielern ausgehändigt werden können, runden den Bereich ab. Der Hydra Sektor ist ein sehr gelungenes Beispiel, wie man einen Sektor bei „Stars without Number“ gestalten kann. Das hier Gebotene bietet genug Stoff, um Dutzende Abenteuer zu entwerfen, ohne je diesen Bereich des Universums zu verlassen.
Der letzte Teil des Buches noch einmal dem Spielleiter gewidmet und soll ihn dabei unterstützen, schnell NSC zu entwerfen. So werden verschiedene auf der Erde bestehende Kulturkreise zur Inspiration herangezogen. Tabellen mit Namen aus den Arabischen, Chinesischen, Indischen, Japanischen und weiteren Kulturen, verbunden mit einigen nützlichen Informationen zu den jeweiligen Gesellschaften, bieten einige sehr schöne Hilfsmittel, mit denen der Spielleiter seine Welten und Nichtspielercharaktere personalisieren kann. Für NSC kann man mittels weiterer Tabellen eine grobe Personalisierung vornehmen. Für den Fall, dass man einen Nichtspielercharakter aus dem Hut zaubern muss, bietet das Kapitel Beispielcharaktere (Experten, Psychics und Kämpfer) in den Stufen 1 bis 10. Weitere Tabellen, unter anderem für die schnelle Erschaffung von Konzernen, Religionen, politischen Parteien und Architekturstilen schließen sich an. Beispiele für die gebräuchlichsten Raumschiffe – vom kleinen Jäger bis hin zu Schlachtschiffen und Trägern, von denen selbst die meisten Potentaten eines Westentaschen-Imperiums nur träumen können – werden zum guten Schluss auch noch präsentiert. Wie auch schon die anderen vorangegangen Kapitel, ist auch dieses eine Schatztruhe für Inspirationen, die man auch für andere Rollenspiele nutzen kann.
Den Abschluss bilden ein übersichtlicher Index und die obligatorischen Charakterbögen sowie Vorlagen zur Erstellung Sektoren und Planetenkarten.
Fazit: „Stars without number“ ist ein gelungener Hybride zwischen dem guten alten „AD&D“ und „Traveller“. Die Regeln stammen von „AD&D“, der Hintergrund erinnert stark an „Traveller“, dadurch können Rollenspielveteranen, die mit diesen Regeln vertraut sind, mit nur geringen Aufwand einsteigen. Das Buch strotzt nur so vor Inspirationsmöglichkeiten und ist in Bezug auf Abenteuerideen eine wahre Schatztruhe. Unentschlossene können sich zum Reinschnuppern bei DriveThruRPG.com eine freie Edition als PDF herunterladen, obwohl ich den Preis von $ 39,99 für mehr als gerechtfertigt sehe.
Stars without Number
Grundregelwerk
Kevin Crawford
Mongoose Publishing 2011
ISBN: 978-1-907702-63-1
243, S., Hardcover, englisch
Preis: $ 39,99
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