Star Wars: Shatterpoint

Miniaturenspiele mit „Star Wars“-Thema haben eine lange Tradition: von „Star Wars Miniatures Battles“ (1991) – damals noch mit Zinnfiguren – über „Star Wars Miniatures“ (2004) – pre-painted und exzessiv sammelbar – bis „Star Wars: Legion“ (2018) – der moderne Tabletop-Standard. Parallel dazu gab es noch Spiele mit den „Star Wars“-Raumschiffen, aber darum geht es hier ja nicht. Nun ist mit „Star Wars: Shatterpoint“ 2023 relativ zeitnah zu „Legion“ eine neue Produktreihe erschienen. Was ist neu? Was ist anders? Was macht Spaß? Was fehlt? Schauen wir es uns an.

von Frank Stein

„Star Wars: Shatterpoint“ ist ein sogenanntes Skirmish-Tabletop-System, das heißt, man spielt – anders als etwa bei „Star Wars: Legion“ – mit relativ wenig Figuren auf überschaubarer Fläche, gern mit viel Gelände. In „Shatterpoint“ tritt man standardmäßig mit zwei Squads an, die aus je einer Primär-Einheit (dem/der Anführer/in), einer Sekundär-Einheit und einer Support-Einheit bestehen. Da eine Support-Einheit typischerweise zwei Figuren umfasst, geht man also mit insgesamt acht Charakteren pro Seite ins Gefecht. Dabei bewegt man sich auf einem Spielfeld von ca. 90 x 90 cm und ringt kämpfend um die Kontrolle spezieller Aufgabenmarker, die Zug um Zug gewissermaßen Siegpunkte verleihen können, bis eine der beiden Parteien zwei (von drei möglichen) Konflikten (Spielphasen) für sich entscheiden konnte. So weit, so simpel.

Aber treten wir erst einmal einen Schritt zurück. Denn mit dem Erwerb der schwergewichtigen Grundbox von „Star Wars: Shatterpoint“ beginnt das Spielvergnügen noch lange nicht. Tabletop-Kennern muss ich nichts erzählen, alle anderen seien gewarnt: Wenn man die Box öffnet, schaut man auf drei fette Tüten mit Plastikteilen, teils lose, teils in Gussrahmen. Vor der ersten Partie müssen also alle Figuren und Geländeteile zunächst aus den Rahmen gelöst, mit Plastikkleber zusammengeklebt und dann optimalerweise hübsch bemalt werden. Wer diesem Aspekt des Hobbys etwas abgewinnen kann, der wird mit „Shatterpoint“ viel Freude haben, denn die Figuren sind deutlich größer als noch die von „Legion“ (mit Base zwischen 45 und 60 mm hoch) und bieten viele Details, die liebevoll bemalt werden wollen. Auch in die großen Geländeteile kann man Stunden Zeit investieren, um ihnen mit schicken Weathering-Effekten den berühmten heruntergekommenen „Star Wars“-Look zu verleihen. Leute ohne Talent oder Zeit haben letztlich die Qual der Wahl: Entweder spielt man mit grauen Figuren (hässlich), engagiert Bemalprofis (kostspielig) oder lässt die Finger von „Shatterpoint“ (bedauerlich).

      Da liegt noch viel Arbeit vor uns ...

Ist alles andere vorbereitet, will die Hürde des Regelwerks genommen werden. Im Grund spielt sich „Shatterpoint“ gar nicht so schwer. Schon nach einer Partie hat man alles Wichtige verstanden. Vieles wird auch bewusst simpel gehalten, etwa Bewegungsregeln oder Sichtlinie. Das mag nicht immer logisch wirken, aber an dieser Stelle muss man einfach akzeptieren, dass Zugänglichkeit vor Realismus gesetzt wurde. Dennoch macht es einem das 40-seitige Regelheft anfangs nicht leicht. Das liegt an zwei Gründen. Zum einen wurde mitunter sehr umständlich formuliert, um eine hohe Präzision in den Regeln zu erreichen. Zur Aktion „Laufen“ heißt es etwa: „Die (Lauf)Schablone darf alle passierbaren Geländeteile überlagern. Unpassierbare Geländeteile darf sie nur dann überlagern, wenn sie auf derselben oder einer tieferen Höhenebene sind als der laufende Charakter. Unpassierbare Geländeteile auf einer höheren Höhenebene darf die Schablone nicht überlagern.“ Hä? Man kann also „unpassierbare Geländeteile“ passieren, wenn sie sich auf derselben Höhenebene befinden?

Um den Satz zu verstehen, muss man die Definitionen begreifen. Ein Geländeteil kann grundsätzlich „unpassierbar“ sein, etwa ein Haus, oder „passierbar“, etwa eine Brücke. Eine Höhenebene ist eine Fläche, auf der eine Figur stehen kann. Wenn ich also vor einem Haus stehe, kann ich es nicht passieren, weil die einzige begehbare Höhenebene (das Flachdach) höher liegt. Stehe ich aber auf eben diesem Dach, kann ich das „unpassierbare Geländeteil“ passieren, weil ich mich auf einer Höhenebene mit ihm befinde. Im Grunde logisch – ich kann nicht durch ein verschlossenes Haus, aber über ein offenes Dach –, bloß ist es etwas sperrig formuliert. Und das hat man immer mal wieder. Der Vorteil liegt darin, dass eigentlich jede aufkommende Frage präzise beantwortet wird – sofern man denn den relevanten Satz findet. (Ein Glossar fehlt nämlich leider, man ist also anfangs recht häufig am Blättern.)

      Tage später ...

In jeder Partie wird eine Mission gespielt, die aus drei Phasen (Konfliktkarten) besteht. Meines Wissens existiert momentan nur eine einzige Mission, nämlich die aus der Grundbox, das heißt die Auswahl ist hier beschränkt. „Shatterpoint“ erzählt aber auch ohnehin keine Geschichte in seinen Partien. Es ist vielmehr hoch taktisch und von Spielmechaniken beherrscht. Insofern besteht die „Mission“ der Grundbox auch nur darin, neun Aufgabenmarker in einem 3x3-Gitter gleichmäßig über den Spielplan zu verteilen. Die zufällig zusammengestellten Konfliktkarten (aus je drei Karten für jede der drei Phasen wird je eine ausgewählt) aktivieren dann immer unterschiedliche Aufgabenmarker, die man umkämpfen kann. So könnten in Phase 1 beispielsweise kreuzförmig fünf Marker aktiviert werden, in Phase 2 dann nur drei Marker in Dreieckform, wobei jede Runde eine Hauptaufgabe per Würfelwurf ermittelt wird, die doppelt so viel Siegpunkte wert ist. Nachdem alle Marker platziert worden sind, wird Gelände schön gleichmäßig verteilt. Dann kann es endlich losgehen.

Gespielt wird immer abwechselnd in Zügen. „Runden“ im klassischen Sinne gibt es nicht. Wer am Zug ist, zieht eine zufällige Karte von seinem Befehlskartenstapel. Jede Einheit hat eine Befehlskarte, sie alle werden zu Spielbeginn – zusammen mit einer Joker-Karte – gemischt und verdeckt hingelegt. Für einen Machtpunkt kann man die Karte in die Reserve legen (für später) und eine neue Karte ziehen, wobei immer nur eine Karte in der Reserve liegen darf, also wenn die voll ist, geht das nicht. Machtpunkte hat man zu Spielbeginn durch seine Einheiten erhalten. Sie bilden einen Pool, der auch genutzt wird, um Fähigkeiten der Einheiten auszulösen. Aufgefrischt werden sie immer dann, wenn der Befehlskartenstapel einmal durchgespielt wurde und neu gemischt wird. Die aktivierte Einheit erhält zwei Aktionen, wobei Einheiten mit zwei Charakteren (Multicharakter-Einheiten) im Grunde „wie ein Mann“ agieren, das heißt gewählte Aktionen werden immer von allen Charaktere ausgeführt (und alle Zustände, egal wann und wo erhalten, gelten auch für alle – erneut: nicht immer logisch, aber es dient der Einfachheit).

      Der Spielaufbau einer Standardpartie.

Als Aktionen stehen Bewegung, Fokus, Kampf, Fähigkeit, Ausruhen und Ducken zur Verfügung. Fokus bietet einen zusätzlichen Angriffswürfel, Ducken einen zusätzlichen Verteidigungswürfel, Ausruhen heilt einen Schaden, der Rest erklärt sich von selbst. Die Fähigkeiten der Einheiten (zwischen drei und fünf pro Einheit) sind dabei die Haupttriebfeder jeder Taktik, denn je nachdem, was die Einheiten können, macht es Sinn, sie so oder so einzusetzen. Mandalorianer beispielsweise bleiben gern in Gruppen, weil sie dann agiler und kampfstärker sind. Anakin dagegen will aggressiv austeilen und macht schweren Schaden bei Gegnern. Das Ziel ist dabei stets klar: Möglichst rasch zu aktiven Aufgabenmarkern vorzurücken und dort durch Überzahl die Kontrolle zu erringen.

Denn am Ende jedes Zuges wird geschaut, über welche Marker man die Kontrolle hat. Entsprechend viele Schritte macht der Konfliktmarker auf der Konfliktleiste, die neben dem Spielfeld liegt und in zwei Richtungen von 0 bis 8 den Fortschritt der Kontrahenten misst. Dabei bewegt sich der Konfliktmarker wie bei einem Tauziehen stets hin und her. Damit dieses Ziehen nicht ewig dauert, rücken beide Parteien gleichzeitig mit ihren Fortschrittsmarkern von den zwei Enden der Leiste Richtung Mitte. Einen Fortschrittsmarker bekommt man immer dann, wenn man einen Gegner angeschlagen hat (sprich ihm einmal die Zahl Wunden, die seiner Verletzungsschwelle entsprechen, zugefügt hat; die liegt so zwischen 8 und 11 Punkten). Außerdem bekommt man einen Punkt, wenn der Konfliktmarker am Ende des eigenen Zuges in der Gegnerhälfte der Leiste verbleibt, und beide erhalten einen, wenn die Marker am Ende auf 0 liegt. So rückt man Zug um Zug immer näher zusammen, bis Konfliktmarker auf Fortschrittsmarker trifft und damit eine Phase für eine Partei siegreich beendet wurde.

      Dass man sich ca. 6x4=24 Fähigkeiten merken muss, überfordert anfangs etwas.

Wo ich den Kampf gerade schon erwähnt habe: Dieser ist in „Shatterpoint“ eine Mischung aus Bewährtem und Innovation. Innovation: Alle Einheiten besitzen eine sogenannte Kampfstilkarte (Primär-Einheiten haben sogar doppelseitige, die man umdrehen kann und die unterschiedliche „Kampfstile“ darstellen). Bewährt: Jede Einheit hat eine gewisse Zahl an Würfeln (natürlich Spezialwürfeln!) für Fernkampf und Nahkampf, die zum Angriff und zur Verteidigung geworfen werden. Innovation: Ein Würfel kann nicht nur Treffer, kritischen Treffer oder Fehlschlag anzeigen, sondern auch Kampfkompetenz. Alle Kampfkompetenz-Symbole werden zusammengerechnet und dann mit einer Kampfkompetenz-Tabelle auf der Kampfstilkarte verglichen. Je nach Ergebnis kann das beim Angriff für weitere Treffer oder kritische Treffer sorgen, vielleicht wird auch ein Treffer in einen kritischen Treffer umgewandelt oder man erhält einen direkten Schaden für den Pool, den man später dem Gegner zuteilt. Bei einem Verteidigungswurf erhält man vielleicht weitere Schilde, kann kritische in normale Treffer zurückstufen oder gar wegspringen. Danach werden Treffer mit Abwehrsymbolen verglichen, wobei kritische Treffer nicht abgewehrt werden können.

Nächste Innovation: Treffer sind keine Schadenspunkte! Stattdessen gewähren sie Optionen auf dem Kampfbaum der Kampfstilkarte. Das ist so eine mit Linien verbundene Reihe an Kästchen mit Effekten, die sich ganz gern mal verzweigt, was eben zu unterschiedlichen Effekten führt. So mag ein Ast vor allem zu viel Schaden führen. Bei einem anderen wird der Gegner zwei Mal in Folge nach hinten gestoßen. Er kann auch beispielsweise entwaffnet, gestresst oder fixiert werden, womöglich wird der Angreifer sogar geheilt. Diese Art des Kampfes mag anfangs verwirren und „auf Teufel komm raus anders“ wirken, aber gerade der Kampfbaum, der einem taktische Entscheidungen über den Effekt eines Angriffs erlaubt, ist wirklich eine tolle Idee – und auch die Kompetenztabellen sorgen dafür, dass es in einem Schlagabtausch eben nicht nur um Attacke/Parade geht, sondern auch noch weitere Effekte ins Spiel kommen.

      Die Kampfstilkarten von Lord Maul und Anakin Skywalker.

Etwas kurios ist die Art, wie Schaden genommen wird. Einheiten haben nämlich zwei Gesundheitswerte: Robustheit und Lebenskraft. Robustheit ist der höhere Wert, etwa 8 bei der Mandalorianerin Bo-Katan Kryze. Erhält eine Einheit Schaden in Höhe der Robustheit, ist sie „angeschlagen“. Sie trägt nicht mehr zur Kontrolle von Aufgabenmarkern bei, aber (!) sie kann auch keinen Schaden mehr nehmen – bis sie wieder aktiviert wird, denn dann wird aller Schaden in eine Verletzung umgewandelt und entfernt. Danach kann man ihr erneut Schaden zufügen. Angeschlagen oder verletzt zu sein, hat dabei tatsächlich überschaubare Effekte. Man muss nämlich „nur“ mehr Macht zahlen, wenn man Fähigkeiten nutzen will. Hat man allerdings Verletzungen in Höhe der Lebenskraft erlitten, ist die Einheit endgültig aus dem Spiel.

Dieser Umstand, dass eine „angeschlagene“ Einheit praktisch unverwundbar ist, gehört auch zu den unlogischen Aspekten des Spiel, aber er lässt sich durchaus taktisch nutzen, wenn man diese Einheit seelenruhig zu einem umkämpften Aufgabenmarker spazieren lässt, wo sie wartet, bis sie wieder aktiv wird – nur um dann direkt Kontrolle über den Punkt auszuüben. Das kann man gut finden oder nicht – ist wohl eine Frage der Perspektive. Alles in allem ist der Kampf angenehm neu und frisch in seiner Herangehensweise, und trotzdem gewöhnt man sich sehr schnell daran, weil sich die Komplexität in Grenzen hält.

      Manche Aufgabenmarker sind entspannt gesichert.

Überhaupt gewöhnt man sich – wie weiter oben schon geschrieben – sehr schnell an die Mechanismen von „Shatterpoint“. Ich gestehe, dass mich dieser Umstand positiv überrascht hat. Bei der Lektüre des Regelwerks dachte ich an manchen Stellen noch: „Puh, warum machen die das so kompliziert? Konfliktleiste mit Konfliktmarker und Fortschrittsmarkern. Kampfkompetenztabellen. Kampfbäume.“ Es kam mir vor, als hätten die Macher unbedingt etwas anders machen wollen als andere Tabletop-Systeme. Dazu kam die völlige Abwesenheit von Handlung und eine Mission, die völlig spielmechanisch wirkte. Ich bin mit einer gehörigen Portion Skepsis in die erste Partie gegangen.

Diese Skepsis hat sich gelegt! „Shatterpoint“ ist taktisch interessant und bietet ein spannendes Duell. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, was man hier bekommt und was nicht. Wer bei einer Runde Tabletop eine Geschichte erzählen beziehungsweise erleben will, ist hier falsch und bei „Legion“ besser aufgehoben. Die Missionen dort sind deutlich vielseitiger. Das Kampfsystem wirkt auch etwas realistischer, wenn auch natürlich im Detail um ein Vielfaches komplizierter. („Legion“ besitzt nicht ohne Grund ein fast 90-seitiges Referenzhandbuch.) Wer dagegen auf eine schnelle Partie „Star Wars“ aus ist und vielleicht sogar Laien am Tisch hat, ist mit „Shatterpoint“ gut bedient. Die Grundbox bietet auch wirklich alles, was man braucht (Gelände, Squads, etc.). Klar, irgendwann kommt der Wunsch auf, noch mal ein oder zwei neue Squads zu erwerben und auszuprobieren oder das Gelände zu erweitern. Beides ist aktuell schon gut möglich. Es existieren zwei ergänzende Gelände-Sets und neun „Squad-Packs“, die jeweils Vierertrupps, etwa unter der Führung von Count Dooku, Obi-Wan Kenobi, General Grievous, Mace Windu oder Dax Bane, enthalten. (Man merkt, dass der Fokus derzeit auf der Klonkriegs-Zeit liegt, aber das soll sich 2024 ändern.)

      Vor allem die in der Spielmitte werden jedoch oft hart umkämpft.

Fazit: „Star Wars: Shatterpoint“ hat eine hohe Einstiegshürde. Tabletop-typisch muss erst das Spielmaterial geklebt und bemalt werden, außerdem liest sich das Regelwerk mitunter ziemlich sperrig. Das tatsächliche Spiel am Tisch dann erfreut durch eine steile Lernkurve. Man ist schnell drin, denn so kompliziert, wie sie wirken, sind die Spielmechanismen gar nicht. Innovative Ideen wie die Konfliktleiste und die Kampfstilkarten setzen „Shatterpoint“ sehr deutlich etwa von „Star Wars: Legion“ ab, allerdings muss man bereit sein, sich auf ein wenig narratives und dafür umso taktischeres Spielerleben – das Ringen um Kontrolle einzelner Spielfeldpunkte – einzustellen, wenn man an „Shatterpoint“ seinen Spaß haben will. Uns hat der Skirmisher bis jetzt jedenfalls gut unterhalten, und die nächsten Squads harren bereits ihrer Bemalung.

Star Wars: Shatterpoint
Brettspiel für 2 Spieler ab 14 Jahren
Will Shick, Michael Plummer u. a.
Atomic Mass Games/Asmodee 2023
EAN: 841333120788
Sprache: Deutsch
Preis: 149,99 EUR

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