Sierra Nevada – Wandern auf dem John Muir Trail

Raus in die Natur! Es gibt kein falsches Wetter, es gibt nur falsche Kleidung. Und wenn man doch die Regenjacke vergessen haben sollte, kann man in „Sierra Nevada – Wandern auf dem John Muir Trail“ bei schlechtem Wetter ganz komfortabel am Brettspieltisch in die Natur – natürlich auch hier nur mit passender Ausrüstung. Doch Achtung: Der John Muir Trail ist nichts für blutige Wanderanfänger.

von LarsB

Brettspiele haben schon vor einigen Jahren das frohlockende Wandeln durch die Nationalparks thematisch für sich erschlossen. „Parks“ und „Trails“ sind da sicherlich bekannte Vertreter dieser Gattung. „Sierra Nevada“ richtet sich nun sehr thematisch an spielerisch fortgeschrittene Wanderer. Die Wanderung entlang des John Muir Trail gehört landschaftlich zu dem Schönsten, was die amerikanischen Nationalparks zu bieten haben. In zwölf Tagen und zehn Etappen lernen wir die traumhafte Landschaft, die Flora und die Fauna kennen. Und wir lernen, was man so alles braucht entlang der Route. Da ist etwa das luftdicht verschlossene Gefäß für den Essensvorrat, um die Schwarzbären nicht anzulocken. Aber wie sehr vermag die nicht luftdicht verschlossene Spieleschachtel den gemeinen Wander-Spieler anzulocken?

Spielmaterial

Das Spielecover ist schön. Das Spielbrett steht dem in nichts nach. Wen Bergpanoramen ansprechen, der fühlt sich hier wohl. Die Pappressourcen werden organisch in die dargestellte Szenerie drapiert. Gleiches gilt auch für die vier Medaillenmarker. Die Karten sind von guter Qualität. Insbesondere die Highlightkarten, die jeweils besondere Orte entlang des Trails zeigen, sind einfach wunderschön illustriert. Ein weiteres kleines Highlight stellen die Wanderführer dar: Am Metallring aufgefädelte Karten zeigen dem Wanderer, welche Ressourcen beziehungsweise welcher Proviant auf die jeweilige Etappe mitgenommen werden muss.

Auch das Spielertableau auf dem die Ressourcen, der Proviant, die Ausrüstung und mehr verwaltet werden, ist einfach malerisch. Die übrigen Komponenten (Pappabzeichen, Pappausrüstungstoken, Naturkarten, Erlebniskarten, Zelte, usw.) machen einen guten Eindruck. Lediglich die Arbeitereinsetzfiguren als Pappmarker, auf denen Wanderstiefel dargestellt sind, schmälern den positiven Eindruck marginal. Weil man diese Plättchen so oft in die Hand nimmt, wäre etwas stapelbares Holziges haptisch schöner gewesen. Positiv seien hier noch die in hinreichender Anzahl vorhandenen Spielerhilfen erwähnt. Sie machen den Spielablauf gerade in den ersten Runden viel geschmeidiger. Und auf der letzten Seite des Regelhefts ist die Ikonographie des Spiels vollständig dargestellt. Sehr gut.

Der Spielablauf

Zwölf Tage spielen wir, in einer Partie wiederholen sich also zwölf Mal Morgen, Mittag und Abend. Der Morgen und der Abend sind im Wesentlichen Verwaltungsphasen. Umso aktionsreicher ist der westamerikanische Mittag.

Der Morgen verrät uns, wie das Wetter an diesem Tag werden wird. Das ist wichtig für alle, die an diesem Tag eine der zehn Etappe bestreiten wollen. Bei Hitze brauchen wir mehr Wasser. Bei Gewitter brauchen wir Feuer zusätzlich. Irgendwie muss man die Klamotten ja wieder trocken kriegen. Für Regenwetter brauchen wir Erde und bei Schnee oder Sturm brauchen wir eine zusätzliche Ressource Luft. Um hier den thematischen Stretch zu verstehen, gießt man sich vielleicht noch etwas Schnaps ins isotonische Getränk. Und dann geht’s. Echt. Hab’s getestet.

Schließlich ziehen alle Spieler eine Erlebniskarte vom Stapel und spielen eine der anfangs drei Karten aus. Die beschriebenen Erlebnisse sind wiederum sehr thematisch und vermögen es in Verbindung mit dem leicht brennenden Abgang des Korns aus der Wetterphase, den Spieler wieder in das Spiel hineinzuziehen. Hier kann man sich etwa Ressourcen ergattern und den Rucksack auffüllen.

Für den Mittag stehen allen Spielern anfangs drei stiefelbedruckte Aktionsplättchen zur Verfügung. Mehr Aktionsplättchen gibt es grundsätzlich auf dem Zelttrack, offiziell Höhenprofilleiste betitelt, die darüber hinaus weitere Boni für den Spieler parat hält. Für eine von insgesamt sieben unterschiedlichen Aktionen kann man sich dann entscheiden. Die Aktion „Wandern“ sticht dabei insofern heraus, als dass man am Ende der zwölf Spielrunden den Trail (zehn Etappen) vollständig absolviert haben muss, um überhaupt gewinnen zu können. Da man nur eine Etappe am Tag schaffen kann, darf man eben auch nur an zwei Tagen pausieren. Über sogenannte JMT-Marker, die entlang des Wanderwegs drapiert werden, ändern sich die genauen Streckenabschnitt-Anforderungen von Partie zu Partie. Und für das Wetter kann ja keiner was. Das ist hier eh meistens gut.

Mittags kann man natürlich auch Ressourcen sammeln, wobei die Ressourcen an diesem Tag schon von Mitwanderern gesammelt worden sind, wenn man zu spät kommt. Das kennt der Wanderer sicherlich, wenn der Bach ausgetrocknet ist, weil da vorher schon ein anderer Wanderer seine Getränkeflasche aufgefüllt hatte. Moment. Ich nehme auch nochmal einen Schluck aus meiner Getränkeflasche … Und es geht schon wieder besser. Spielmechanisch ist diese Designentscheidung absolut nachvollziehbar, um über die Verknappung der Ressourcen Spannung ins Spiel hineinzubringen. Dazu aber später mehr.

Über Aktion Nummer drei können Naturkarten entdeckt werden. Hier werden Sets gesammelt, die sich dann am Ende des Spiels auszahlen. Der Besuch von Highlightkarten (Aktion Nummer vier) verlangt in der Regel schon mehr Ressourcen als die Naturkarten. Die Belohnungen sind dafür aber auch größer. Hat man erstmalig einen der vier Geländetypen erkundet, schaltet man sich fortan einen Permanentbonus frei oder erhält einen einmaligen Ressourcenschub.

Ab Etappe vier steht einem die Aktion „Proviant auffüllen“ zur Verfügung, durch den nun möglichen Besuch der High Sierra Lodge. Das ist Motivation, am Anfang des Spiels nicht zu sehr zu trödeln, da auf dem Spielerbrett nur Essen für drei Tage eingepackt ist. In der High Sierra Lodge gibt es auch Pflaster (es sind leider keine Einhörner aufgedruckt – wie sollen sie dann wirklich helfen?), die eine Verletzung heilen. Aber nur ein Pflaster pro Verletzung. Wäre ja auch Quatsch, das gebrochene Bein und die ausgekugelte Schulter mit dem gleichen Pflaster zu behandeln. Prost!

Die Aktion „Bergsteigen“ steht nur einem Spieler pro Runde zur Verfügung. Das ist eine sich im Mittel lohnende Gambler-Aktion. Man bekommt zwei Erlebniskarten auf die Hand und darf zwei der Handkarten für ihre Belohnungen ausspielen. Eventuelle Voraussetzungen dürfen hier im Gegensatz zur Morgenphase ignoriert werden.

Wer früh aufsteht und damit die letzte der möglichen Aktionen nutzt, bekommt das sich bis dahin Runde für Runde angesammelte Wasser und ist in der nächsten Runde Startspieler.

Über das Einsammeln oder Ausspielen von Karten erhält man Stück für Stück mehr Ausrüstungsteile in den Rucksack und beschleunigt so das Vorankommen auf dem Zelttrack. Mehr Zelttrack, mehr Stiefel, mehr Aktionen. Wir erinnern uns.

Am Ende von Tag 12 wird abgerechnet. Wer hat die schönsten Eindrücke entlang des Wanderpfads gesammelt? Hier kann man durch die gesammelten Karten die ganze Reise nochmal rekapitulieren. Punkte gibt an am Ende an mehreren Stellen: Naturkartensets, Medaillen und das goldene sowie die eingesammelten Abzeichen füllen das Punktekonto. Voraussetzung für eine Wertung ist allerdings, dass man auch wirklich das Ende der Route erreicht hat.

Das Spielgefühl

„Sierra Nevada“ ist ein wirklich thematisches Spiel mit etwas erhöhtem Anspruch, in dem das Thema „Wandern in wunderschöner Natur“ sehr nachvollziehbar umgesetzt worden ist. Die Bärenkanister sind jedem Besucher des Yosemite-Nationalparks ein fester Begriff. Die wunderschönen Illustrationen der wahrlich fantastischen Naturhighlights entlang des John Muir Trails machen wahrlich Lust, auch mal höchstpersönlich auf diesen Pfaden zu wandeln oder zu wandern. Das Spiel hatte tatsächlich die Vorfreude auf unseren US-Urlaub beträchtlich erhöht.

Mechanisch ist das Spiel sehr solide und bietet interessante Entscheidungen. Es bietet gut gemachte und ordentlich verzahnte Workerplacement-Kost, ohne allerdings dabei einen Innovationspreis abzuräumen.

Dabei teilt das Spiel Ressourcen und Proviant dem Spieler recht knapp zu. Besonders kribbelig wird es, wenn man heute unbedingt eine Etappe schaffen muss. Niemand möchte schließlich riskieren, die letzte Wanderetappe in der letzten Runde nicht zu schaffen. Denn dann ist man raus und es bleibt einem nur noch das isotonische Getränk, um sich zu trösten. Damit ist der Spieler ständig mit der Frage konfrontiert, ob Ressourcen nun zuerst eingesammelt werden sollen oder ob andere Aktionen zunächst durchgeführt werden sollen, bevor das Einsetzfeld blockiert wird. Und wann sollte man die Wanderpausen einlegen? In alter Enginebuilder-Manier möchte man schnell neue Wanderstiefelpaare einsammeln. Da hilft das Wandern selbst nicht weiter. Auf der anderen Seite geht einem der Proviant aus, wenn man nicht zügig zur Hütte High Sierra Lodge voranschreitet. Und wer will schon bei schlechtem Wetter zusätzliche Ressourcen für das Wandern ausgeben, wo diese doch so knapp sind?

An den Erlebniskarten werden sich die Gemüter scheiden. Die Karten sind sehr unterschiedlich. Wenn ich vom Weg abkomme, erhalte ich eine einzelne spärliche Ressource nur, wenn ich bereits mit einem GPS-Gerät ausgestattet bin. Wenn ich Leuten helfe, die sich verirrt haben, bekomme ich immerhin einen Siegpunkt und einen Ausrüstungsgegenstand. Teile ich mein Essen mit anderen Wanderern verbessert sich meine Siegpunkt-Ausbeute sogar auf drei. „Den perfekten Tag genießen“ bringt mir neben einem Ausrüstungsgegenstand gleich zwei Ressourcen. Thematisch passt das alles. Eine Wanderung ist eben vorher nicht vollständig planbar. Fühlen sich die Erlebniskarten also ungerecht an? Es kann schon mal vorkommen, dass die Spieler unterschiedlich stark von ihren morgendlichen Erlebnissen profitiert haben. Hat das Einfluss auf den Ausgang des Spiels? Kann schon sein. Für Deterministen ist das Spiel daher wohl eher weniger was. Denn trotz großem Kartenpechs eine Partie zu gewinnen, ist dann eben auch nicht ganz leicht. Aber das kommt selten vor und das Spiel besteht aus viel mehr als Erlebniskarten. Und man hat als Wanderer eben auch die Möglichkeit, seine Chancen über den 4-Handkarten-Skill etwas zu verbessern, den man sich verdienen kann.

Beim Wetter hätte ich mir etwas mehr Abwechslung gewünscht. Meistens ist das Wetter passabel und bleibt damit ohne Auswirkungen auf den Spieler. Sicherlich hätte es Auswirkungen auf die Spielbalance, wenn man hier die Kosten durch mehr Schlechtwetter erhöht hätte. Das hätte an anderer Stelle aber abgefangen werden können. So fühlt sich Kapitel Wetter eher so „meh“ an, weil es einfach wenig spannend ist.

Abwechslungsreich wird das Spiel über die Wertungsplättchen, deren Auslage von Partie zu Partie variiert. Dabei gibt es ein gewisses Maß an Planbarkeit für die Eiligen auf der Zeltleiste und einen Überraschungsfaktor für alle Nachzügler. Durch das Nehmen dieser Plättchen steht für die nachfolgenden Spieler eine aktualisierte Auswahl zur Verfügung. Der Mechanismus hat mir sehr gut gefallen.

Die Medaillen passen zum ins Spiel eingewebten Wettrenncharakter, der einem bei „Sierra Nevada“ auch an anderen Stellen immer wieder über den Wanderweg läuft: Das Rennen um die besten Auszeichnungen für die Endwertung, zusätzliche Punkte für die Medaillen, die nur der erste Spieler bekommt, der bestimmte Bedingungen erfüllt, oder das schnellste Packen des Rucksacks oder Beschreiten der Höhenprofilleiste (in meiner Welt die „Zeltleiste“) versprechen mehr Punkte.

Bleibt zu hoffen, dass der Bach nicht wieder ausgetrocknet ist. Das isotonische Getränk ist nämlich alle. Aber es hat sich gut angefühlt, das Wandern auf dem John Muir Trail.

Fazit: Bei wunderschöner Gestaltung zieht es die Spieler förmlich auf den John Muir Trail. Die Mechaniken passen (mit den genannten Ausnahmen) thematisch, sodass man „Sierra Nevada – Wandern auf dem John Muir Trail“ das Thema auch abnimmt. Die wechselnden Endwertungsbedingungen bieten Abwechslung und taktische Tiefe. Ein kleiner Schuss Glück kommt über die Erlebniskarten mit hinein. Damit muss man klarkommen. Wer das Setting „Wandern in Nationalparks“ mag und nach spielerisch simplen Wander-Umsetzungen wie „Parks“ oder „Trails“ (Achtung, Wortspiel) den nächsten Schritt machen will, dem kann ich das schön verzahnte „Sierra Nevada – Wandern auf dem John Muir Trail“ sehr ans Herz legen.

Sierra Nevada – Wandern auf dem John Muir Trail
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Dan R. Rice III, Andrew Bosley, Jon Merchant
Skellig Games 2025
EAN: 072576519242
Sprache: Deutsch
Preis 59,90 EUR

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