Sherlock Holmes – Die Armee des Dr. Moreau

Schon mit „Der Atem Gottes“ bewies der britische Autor Guy Adams seine Gabe, auf kurzweilige Art und Weise den Meisterdetektiv Sherlock Holmes mit anderen literarischen Gestalten und einer guten Prise Phantastik zu kombinieren. In „Die Armee des Dr. Moreau“, dem mysteriösen Nachfolgefall, dem Holmes und der Erzähler Dr. Watson sich stellen müssen, geht es um eine unheimliche Mordserie und grausige Tiermenschen.

von Frank Stein

Die Romanhandlung spielt kurz nach den Geschehnissen, die in „Der Atem Gottes“ nachzulesen waren. Holmes langweilt sich zu Tode, weil es keine anständigen Fälle für ihn gibt. Da kommt ihm der Besuch seines Bruders Mycroft, der für die Regierung arbeitet und im berühmten Diogenes Club sein privates Hauptquartier eingerichtet hat, genau recht. Der bringt sogleich einen ansprechend ominösen Fall mit. Es geht um einen gewissen Dr. Moreau, einen Naturwissenschaftler von mehr als zweifelhaftem Leumund, der vor Jahren in London tätig war, dann aufgrund abscheulicher Tierexperimente aus der Hauptstadt verscheucht wurde und anschließend heimlich auf einer abgelegenen Insel und mit Mycrofts Billigung seine Arbeit fortsetzte. Dort soll er eine Rasse Tier-Mensch-Hybriden geschaffen haben, die ihn letztendlich umbrachten.

Das alles wäre kaum mehr als eine schaurige und wenig glaubwürdige Anekdote, wenn nicht auf einmal auf den Straßen London übel zugerichtete Leichen gefunden worden wären. Die Wunden der Toten deuten auf Kreaturen hin, die es in London eigentlich nicht geben dürfte. Handelt es sich bloß um heimlich eingeschmuggelte Wildtiere? Mycroft glaubt das nicht. Gewisse Spuren deuten vielmehr darauf hin, dass Moreau womöglich doch die Insel überlebt haben könnte und nun nach London zurückgekehrt ist, um sein grausiges Werk fortzuführen. Welche Pläne er damit verfolgt, ist vollkommen unklar. Aber dass er nichts Gutes im Schilde führen kann, für diese Erkenntnis braucht es nicht des Verstandes eines Sherlock Holmes.

Mit „Die Armee des Dr. Moreau“ führt Adams im Grunde genau das fort, was er mit „Der Atem Gottes“ begonnen hatte. Er kombiniert den Meisterdetektiv und sein literarisches Umfeld (Watson, den erwachsenen Baker-Street-Boy Wiggins, Lestrade und Co) mit anderen Größen des phantastischen Romans der letzten Jahrhundertwende und lässt sie einen übernatürlichen Fall beackern. Mit Dr. Moreau – ersonnen von H. G. Wells (1866-1946) – steht ein prominenter Gegner dem Meisterdetektiv gegenüber. Als Holmes’ Helfer grüßen dagegen Professor Challenger von Arthur Conan Doyle (1859-1930), Professor Cavor – erneut von H. G. Wells –, Professor Lindenbrook von Jules Verne (1828-1905) und Abner Perry aus der Feder von Edgar Rice Burroughs (1895-1950) von den Seiten. Challenger und Perry sollen später in ihrer Karriere noch verlorene Welten entdecken und Cavor wird zum Mond reisen. Nur Lindenbrook war bereits am Mittelpunkt der Erde. Leider wird allein Challenger stärker genutzt. Die anderen Herren haben bloß kurze Gastauftritte.

Drehte sich im Vorgängerroman alles um Magie, stehen hier der verrückte Wissenschaftler und sein Werk im Fokus. Richtig ausgeschöpft wird das Motiv allerdings nicht. Die meiste Zeit recherchieren Holmes und Watson den Spuren hinterher, und am Ende rummst es dann einmal kurz und heftig. Ins Labor des Bösen werden wir nur ganz kurz gebeten. Ein richtiges Rätsel ist der Fall eigentlich auch nicht. Der meiste Platz des Romans wird für naheliegendes Zusammentragen von Informationen verwendet. Die Schlussfolgerungen daraus gelingen sogar Watson. Dass die Handlung am Ende eine Wende hin zum Action-Finale nimmt, fühlt sich schließlich ein wenig wie ein abrupter Richtungswechsel an, der eingeschlagen wurde, um auf den letzten Seiten noch einmal an der Spannungsschraube drehen zu können.

Das Motiv des Oberbösen konnte mich nicht recht überzeugen. Sein Vorhaben scheint als Ganzes nicht vollends durchdacht zu sein. Gut gefallen hat mir dagegen der Perspektivenwechsel. Gegen Ende übernehmen auch andere Figuren als nur Watson die Feder und erzählen ein paar Seiten aus ihrer Perspektive. Doch auch hier fühlt sich das ein wenig wie ein Bruch in der Handlung an, denn dieses Stilmittel setzt Adams erstmals ab Seite 227 (von 316) ein. Ungeachtet der Kritikpunkte macht der Roman als flotte Pulp-Story aber absolut Spaß, was insbesondere an den gelungenen Charakterisierungen der Protagonisten liegt.

Sehr schön ist wieder das ans Ende gesetzte „Nachwort“ des Autors, in dem er seine literarischen Spielereien enthüllt, sprich die realen und literarischen Figuren vorstellt, die er sich „ausgeborgt“ hat. Auch die Optik weiß erneut zu gefallen. Das Umschlagbild, das – unheimlich, aber in einer recht freien Interpretation des Romantitels – einen wildschweinsköpfigen Soldaten auf einem Pferd zeigt zeigt, sorgt bereits für die richtige Stimmung.

Fazit: Wem „Der Atem Gottes“ gefallen hat, kann auch in diesem Fall wieder bedenkenlos zugreifen. Stil und Thema ähneln dem Vorgängerwerk. Ein solider Krimi-Plot, ein Gipfeltreffen literarisches Recken und eine Prise Pulp sorgen erneut für kurzweilige Unterhaltung. Leider werden ein paar der prominenten Gestalten nicht wirklich genutzt und das letzte Gefecht wirkt doch etwas schnell geschlagen. Dennoch macht es Spaß, Holmes und Watson zu folgen, wobei vor allem Holmes in seiner Erzählpassage mit süffisanten Gedankengängen punkten kann.


Sherlock Holmes: Die Armee des Dr. Moreau
Urban-Fantasy-Roman
Guy Adams
Panini Books 2014
ISBN: 978-3-8332-2873-5
316 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 12,99

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