Sherlock Holmes – Der Atem Gottes

Der berühmte Detektiv, der von Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) ersonnen wurde, erlebt in den letzten Jahren bemerkenswerte Popularitätsschübe. Befeuert von den beiden Hollywood-Blockbustern mit Robert Downey Jr. und Jude Law sowie der phänomenalen BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman, erscheinen alte Fälle und neue Fälle, für Kinder und Erwachsene, in Buchform und als Hörspiel. Nun hat auch Panini Books sein Interesse an Sherlock Holmes entdeckt – und legt mit „Der Atem Gottes“ aus der Feder des Briten Guy Adams eine keinesfalls gewöhnliche Kriminalgeschichte vor.

von Frank Stein

Die Geschichte trägt sich Ende Dezember 1899 zu, am Vorabend eines neuen Jahrhunderts und eines neuen, modernen Zeitalters. Magie und Mystik befinden sich auf dem Rückzug, Wissenschaft und Technik, wofür unter anderem Sherlock Holmes mit seinen Ermittlungsmethoden steht, übernehmen die Welt. So fühlt es sich wie ein Aufbäumen alter Mächte an, als eines Tags der okkulte Ermittler Dr. John Silence bei Holmes und Watson in der Baker Street 221b vor der Tür steht, um den Meisterdetektiv vor einer tödlichen Bedrohung zu warnen. Ein unerklärliches Phänomen, das „Atem Gottes“ genannt wird, hat bereits einen Mann zerschmettert, weitere sollen auf einer fragwürdigen Todesliste stehen, darunter Holmes selbst.

Während sich der Meisterdetektiv der Ergründung dieses Phänomens widmet, mehren sich seltsame Begebenheiten. Dr. Watson durchlebt grauenvolle Horrorvisionen. Außerdem findet ein Angriff übernatürlicher Kräfte auf einen Zug statt. Und auf dem schottischen Landgut des berüchtigten Aleister Crowley, eines Mitglieds der okkulten Vereinigung des „Hermetischen Ordens der Goldenen Morgendämmerung“ kommt es schließlich zum Kampf gegen die dunklen Mächte.

„Der Atem Gottes“ schlicht einen weiteren „Sherlock Holmes“-Krimi zu nennen, greift zu kurz. Obwohl das Ganze wie ein typischer Holmes-Fall beginnt, indem scheinbar grauenhafte Ereignisse passieren, hinter denen Holmes und der Leser dennoch rationale Gründe erwarten, merkt der kundige Konsument schon nach wenigen Seiten, dass wir hier ein Werk vorliegen haben, das in der Nische der Gaslight Fantasy verortet ist, wenngleich, wie sich später erweisen wird, in einer sehr „milden“ Form.

Das zeigt sich nicht nur darin, dass Guy Adams mehrere literarische Figuren der Zeit um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts als reale Personen in den Roman eingebaut hat. So arbeitet Dr. John Silence, der von Algernon Blackwood (1869-1951) erfundene „Psychic Doctor“ mit Holmes zusammen, später treffen sie auf den okkulten Detektiv Thomas Carnacki von William Hope Hodgson (1977-1918). Außerdem wird Van Helsing von Bram Stoker erwähnt, wenn auch nicht als Abraham, sondern als Lawrence (ein augenzwinkernder Verweis auf die Namensänderung der Figur im Hammer-Film „Dracula A.D. 1972“ mit Peter Cushing).

Darüber hinaus nimmt das Übernatürliche immer deutlichere Züge an, sodass es irgendwann nicht mehr ignoriert werden kann. Zugegeben: Ein Teil davon wird in einer plötzlichen Wendung am Schluss wieder relativiert. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Magie prinzipiell Bestandteil dieses Holmes-Universums ist. Der Schluss mag dem einen oder anderen Leser das Werk dann auch ein wenig verleiden. Natürlich ist in gewöhnlichen Holmes-Abenteuern zu erwarten, dass sich für einen vermeintlichen Spuk eine realistische Erklärung findet.

Im vorliegenden Fall ist die Motivation, die sich am Ende herausstellt, zwar super gelungen und ein augenzwinkernder Seitenhieb auf den Gesinnungswandel der Menschen zum damaligen Jahrhundertwechsel. Doch die Methode von Holmes Gegner erweist sich als etwas abgedroschen, zumal sie, bei genauer Betrachtung, den beschriebenen Ereignissen nicht standhält – es sei denn, man geht davon aus, dass Watson als Erzähler „unzuverlässig“ ist, aber in so einem Fall ist selbstredend die ganze Geschichte in Frage gestellt. Nichtsdestoweniger vermögen auch die letzten Seiten das Werk als Ganzes nur wenig zu schmälern.

Sehr schön ist das ans Ende gesetzte „Nachwort“ des Autors, in dem er einige seiner literarischen Spielereien enthüllt, sprich die realen und literarischen Figuren vorstellt, die er sich „ausgeborgt“ hat. Auch die Optik weiß zu gefallen. Das Umschlagbild, das drei schattenhafte Gestalten vor den Wahrzeichen Londons und umgeben von okkulten Symbolen zeigt, sorgt bereits für die richtige Stimmung.

Fazit:
„Der Atem Gottes“ ist ein gelungenes „Sherlock Holmes“-Abenteuer, das zugleich als Krimi funktioniert, aber auch spielerisch den Zeh ins dunkle Becken der Gaslight Fantasy hält. Mit dem Finale wird mancher Leser, der sich auf das Übernatürliche eingestellt hat, nicht ganz glücklich sein, aber bis zum letzten Kapitel wird man sehr gut unterhalten – gerade weil Guy Adams Holmes gegen Magie und Mystik antreten lässt und ihm dafür auch einige literarisch interessante Mitstreiter zur Seite stellt. Für Holmes-Fans, die nicht zu puristisch sind, und Leser, die Gaslight Fantasy mögen, eine Empfehlung!


Sherlock Holmes: Der Atem Gottes
Urban-Fantasy-Roman
Guy Adams
Panini Books 2014
ISBN: 978-3-8332-2872-8
288 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 12,99

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