Shadowrun 79: Fatimas Tränen

Ein hochbrisanter und sehr spezieller Auftrag erfordert ebenso spezielle Shadowrunner. Das Team soll ein heiliges Artefakt einer muslimischen Sekte bergen und an einen sicheren Ort im Norden Afghanistans bringen. Klingt einfach – ist es aber nicht.

von Chris Sesterhenn

 

Trockene Fakten – die äußeren Werte:

Das Taschenbuch „Fatimas Tränen“ umfasst 303 Seiten, verteilt auf 20 Kapitel, mit einem zehnseitigen Glossar. Übersichtskarten oder Kurzporträt von Alex Wichert sucht man vergeblich. Dafür findet sich eine Übersicht weiterer „Shadowrun“-Romane am Ende des Buches. Das Titelbild versucht einen Bezug zur Geschichte herzustellen. Es zeigt eine Frau (vermutlich die Runnerin Flechette), einen Adler vor dem Vollmond (das könnte der Adlerschamane Voiata sein) und einen Mann, (das wäre dann Reynard, welchen ich mir ganz anders vorgestellt habe). Immerhin: Der Hauch einer orientalischen Ortschaft bringt etwas Flair. Für meinen Geschmack kann das Bild nicht wirklich die Stimmung des Romans einfangen. Doch über Geschmack lässt sich wie immer streiten und es geht ja bei einem Roman auch eindeutig mehr um den Text im Inneren des Buches.

Um was geht es überhaupt? – zum Inhalt:

In London nimmt der russische Schieber Jari einen brisanten aber hochprofitablen Auftrag an: Es geht darum, ein heiliges Artefakt, die „Tränen Fatimas“, zu bergen. Die Tränen sollen starke Magie beinhalten und von einer muslimischen Sekte bewacht werden. Der Auftraggeber möchte, dass die Tränen Fatimas an einen sicheren Ort im Norden Afghanistans gebracht werden.

Jari wählt für diesen Job drei Shadowrunner aus: Flechette, die italienisch-deutsche Runnerin, braucht Jaris Hilfe und bietet im Gegenzug ihre Teilnahme an. Reynard ist ein Junge aus sehr reichem Elternhaus. Da Geld für ihn keine Rolle spielt, besitzt er die beste Cyberware, die auf dem Markt verfügbar ist. Er will aus seinem spießigen Leben ausbrechen und richtige Abenteuer erleben, sich selbst beweisen. Abgerundet wird das Trio durch den mächtigen Adlerschamanen Voiata. Er kennt sich im Zielgebiet bestens aus und wird von Jari dafür aus der Sicherungsverwahrung geholt. Aber Voiata hat noch ganz andere Pläne. Es gilt noch alte Rechnungen zu begleichen.

Unter Führung von Voiata macht sich das ungleiche Trio auf den Weg, in einem fernen Land „Fatimas Tränen“ zu besorgen. Doch sie können nur ahnen, was diese magischen Artefakte bewirken können und wozu der unbekannte Auftraggeber sie benötigt.

Zuckerbrot und Peitsche – Pro und Contra:

Alex Wichert bietet mit „Fatimas Tränen“ einen besonderen „Shadowrun“-Roman an. Die Detailtiefe der beschriebenen Landschaften macht einem Reiseführer alle Ehre. Mit etwas Phantasie taucht man beim Lesen in das ferne Afghanistan ein, spürt beinahe den Wind auf der Haut und den Staub im Hals kratzen. Zwar benötigen solche ausführlichen Beschreibungen Platz, doch es kommt nie Langeweile auf und der Leser fühlt sich direkt heimisch. Im Vergleich zu anderen „Shadowrun“-Romanen ein klarer Pluspunkt.

Die Handlung dreht sich um die drei Shadowrunner, ihre Probleme, Sorgen und Ziele. Alex Wichert schafft es, mit Erinnerungen und eingeflochtenen Rückblenden den Charakeren mehr Leben einzuhauchen und ihnen Profil zu verleihen. Doch leider gelingt dies nicht bei allen Charakteren gleich gut. Absoluter Mittelpunkt – auch bei der Entwicklung und dem aufgedeckten Hintergrund – ist der Adlerschamane Voiata. Seine Pläne und Ziele machen einen besonderen Reiz in „Fatimas Tränen“ aus. Selten habe ich in einem „Shadowrun“-Roman eine solche Schilderung der Wahrnehmung der schamanistischen Magie gelesen. Voiata hat seine Ecken und Kanten, besitzt große Macht durch seine Magie und Metamagie, ist seinem Totem eng verbunden und hat dennoch seine eigenen Probleme und Sorgen. Ein weiterer Pluspunkt, der noch größer ausfallen würde, wenn auch die beiden anderen Hauptdarsteller etwas mehr Tiefe und persönliche Entwicklung erfahren hätten.

Doch „Fatimas Tränen“ muss mit einem großen Problem kämpfen: So gelungen der Erzählstil ist, so sehr Voiata begeistern kann, so sehr dürfte der Roman die „Shadowrun“-Fangemeinde polarisieren. Mit „Shadowrun“-Romanen verbindet man in der Zwischenzeit ein bestimmtes Schema. Und genau diese Erwartungshaltung kann „Fatimas Tränen“ nicht vollständig erfüllen. Ein Teil wird dieses Schema einfach vermissen und den Roman vielleicht sogar im hinteren Mittelfeld der „Shadowrun“-Romane einsortieren. Der andere Teil wird sich über diese Abweichung freuen, dieser ungewohnten „Shadowrun“-Roman-Art mit Freude folgen und „Fatimas Tränen“ eher im oberen Mittelfeld einsortieren. Ich wünsche Alex Wichert und „Fatimas Tränen“, dass der zweite Teil unter den „Shadowrun“-Fans überwiegt.

Für wen lohnt es sich? – meine Einschätzung:


„Shadowrun“-Fans, welche auf der Suche nach dumpfer Action und stereotypen Runs sind, werden vermutlich mit „Fatimas Tränen“ so ihre Schwierigkeiten haben. Wer hingegen einen „Shadowrun“-Roman mit einem außergewöhnlichen Schamanen und einer gelungenen Beschreibungstiefe lesen möchte, der sollte sich auf das Werk von Alex Wichert einlassen.

Fazit: Mit „Fatimas Tränen“ präsentiert Fantasy Productions einen soliden Roman von Alex Wichert, welcher in der Lage ist, die „Shadowrun“-Fangemeinde zu spalten. Wie Eingangs schon erwähnt – über Geschmack lässt sich immer vortrefflich streiten. Anfangs hatte ich mit „Fatimas Tränen“ auch so meine Schwierigkeiten. Doch der sehr gute Erzählstil und insbesondere Voiatas Entwickung und Hintergrund konnten mich mitreißen. Zumindest aus meiner Sicht ein rundum gelungenes Werk.

Mit freundlicher Unterstützung von Fantasy Productions GmbH, www.fanpro.com und www.f-shop.de.


Fatimas Tränen (Shadowrun-Roman Nr. 79)
Rollenspiel-Roman
Alex Wichert
Fantasy Productions 2007
ISBN: 3-89064-513-1
303 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 9,00

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