Shadowrun 67: Kellan Colt 2: Giftmischer

Kellan Colt, die kleine Runnerin aus Kansas City, die nach Seattle gekommen ist, um etwas über ihre verschwundene Mutter zu erfahren, hat sich ihre ersten Sporen verdient. Nun will sie aus dem Schatten ihres Trollmentors Lothan heraustreten und ein eigenes Ding durchziehen. Sahne Idee, Greenhorn!

von Bernd Perplies

 

Im Vorgängerband „Born to Run“ war Kellan noch eine blutige Anfängerin. Dann lernte sie ein paar angesagte Leute kennen, etwa den Ork G-Dogg, der Gott und die Welt kennt, den Trollmagier Lothan, der ein Ego hat, das ihn noch doppelt überragt, aber als Unterweiser in die arkanen Künste erste Wahl ist, die Deckerin Jackie Ozone, ein großes Tier in den Schatten, aber offenbar mit einem Herz für kleine Fische, oder den Elfenpunk Orion, zu dem Kellan nach anfänglichen Spannungen eine echte Freundschaft entwickelt. Dank der tatkräftigung Unterstützung dieser bemerkenswert selbstlosen Runner fasst Kellan Fuß im Sprawl von Seattle und beginnt, erste Deals durchzuziehen.

Mittlerweile steht Kellan voll im Schattenleben. Sie hat ein schickes Motorrad, ist mit dem Barkeeper des „Underworld 93“ per du und profitiert nach wie vor von ihrer Gabe, überall mächtige Verbündete zu finden, die vergessen lassen, dass sie eigentlich erst 19 ist und von der echten Härte des Geschäfts noch nicht allzu viel versteht. Ihren Ambitionen tut das keinen Abbruch, Kellan brennt vielmehr darauf, sich aus dem Schatten des väterlichen, aber auch sie einengenden Lothan zu lösen. Ein eigener Run muss her, so viel steht fest.

Da kommt ihr Squeak gerade Recht. Der kleine Decker und Bewunderer von Kellan hat eine Info über ein vergessenes Waffenarsenal im Stammesland der NAN unweit von Seattle aufgetan, das auf den ersten Blick fette Beute verspricht. Kellans alte Kollegen, Liada, Silver Max, G-Dogg und Lothan, halten den Run indes für zu gefährlich, die Aussicht auf Gewinn zudem für zu vage. Kellan will die Sache schon fallenlassen, da wird Squeak ermordet. Vielleicht steckt also doch mehr hinter seinem Datenfund?

In Ermangelung ihrer alten Crew muss sich Kellan nach neuen Leuten umsehen. Überraschende Hilfe erhält sie von der Profi-Runnerin Midnight, einer Elfe, die behauptet, ihre Mutter gekannt zu haben. Außerdem heuert sie den indianischen Adler-Schamanen Natokah an – eine gute Idee angesichts ihres Reiseziels – sowie den alten Zwerg Draven, der am liebsten mit Helm, Kettenhemd und Axt auf die Jagd geht. Elfenkumpel Orion komplettiert das Team. Gemeinsam macht man sich auf den Weg ins Gebiet des Salish-Sidhe-Council. Doch was sie finden, ist nicht ganz das, was sie gesucht haben...

Bereits wie der Vorgängerband ist auch „Giftmischer“ Runnerkost der gradlinigsten Art. Die ganze Story dreht sich um Kellan, die einen eigenen Run verantworten will, entgegen der Warnungen all ihrer Freunde ihren bockigen Kopf durchsetzt und auch noch verdammt glimpflich davonkommt, als die Sache voll danebengeht. Ein bisschen wünscht man sich, dass Kellan mal von den Realitäten des Lebens eines Shadowrunners eingeholt würde, denn ihre fast kindische Entschlossenheit, eine riskante Aktion mit zweifelhaftem Ertragsaussichten durchzuziehen, scheinbar nur um sich selbst zu beweisen, wie toll sie ihr Leben doch im Griff hat, nervt zwischendurch gewaltig.

Doch Kenson verhätschelt seine Protagonistin, umgibt er sie doch mit ehrenhaften und fast zu netten Runnern, die es ihr auch nachsehen, wenn sie mal zwischendruch von einem Giftelementar ziemlich ätzend angespuckt werden. Auch die Hinweise auf eine eigene Agenda, die quer durch den Roman gestreut sind, werden nicht weiter verfolgt und bleiben entsprechend folgenlos für Kellans Abenteuer. Gier, Hass, Verrat, Schwäche und die Philosophie, immer sich selbst am nächsten zu sein – mit diesen Niederungen des menschlichen Zusammenlebens muss Kellan noch konfrontiert werden.

Was will ich damit sagen? „Giftmischer“ ist recht unspektakulär. Das soll nicht heißen, der Roman sei totaler Mist. Die Handlung ist an sich okay, die Figuren sind sogar erneut recht cool und es macht Spaß, mit ihnen durch Seattle zu cruisen. Aber hinsichtlich der Dramatik flutscht die Story wie geölt durchs Hirn und hinterlässt dabei kaum emotionale Spuren. Es gibt keine Ecken und Kanten, an denen man hängen bleibt, die aufwühlen und das Lesen zum Erlebnis machen. Möglicherweise zögert das Auge ein ganz klein wenig, wenn es über die Riggerin Fast Eddy gleitet. Man hat das Gefühl, diesen Namen schon einmal gelesen zu haben (lang, lang ist’s her). Doch wie ein wenig Recherche enthüllt, hat die fesche Dame nix mit dem abgehalfterten Geek gleichen Namens zu tun, der sich durch Chris Kubasiks „klassischen“ „Shadowrun“-Roman „Der Wechselbalg“ schlawinerte.

Erneut übrigens dient der Roman als eine Art Begleittext zu dem Großfiguren-Clix-Spiel „Shadowrun Duels“. Natokah, Draven und Midnight sind alle Figuren des zweiten Sets, die im Roman zum Leben erweckt und mit einer Geschichte versehen werden, als hübsche Plastikkameraden indes eher gegeneinander als miteinander antreten.

Fazit: Auch der zweite Roman von Stephen Kenson um die junge Runnerin Kellan Colt erweckt den Eindruck einer rasch heruntergeschriebenen Einführungsgeschichte für angehende „Shadowrun“-Spieler vor allem jüngeren Semesters (alternativ: eines Begleittextes für das Figurenspiel „Shadowrun Duels“). Die Handlung ist ziemlich gradlinig und weist kaum Überraschungen auf. Dafür stellt sich das Team rund um Kellan als eingeschworene Truppe dar, mit der man gerne um den Block zieht, sind für sie doch Kameradschaft und Hilfsbereitschaft noch wichtiger als schnöde Nuyen. Das macht das Buch nicht eben zum Lese-Muss für Fans der Szene, aber immerhin pädagogisch wertvoll (in einer Welt, in der man Kriminelle mimt, paradox genug).


Kellan Colt 2: Giftmischer (Shadowrun-Roman Nr. 67)
Rollenspiel-Roman
Stephen Kenson
Fantasy Productions 2005
ISBN: 3-89064-565-8
325 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,00

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