Shadowforce Archer: The Hand of Glory

Als RollenspielerIn hat man ja schon allen möglichen Superschurken das Handwerk gelegt: Vom allseits beliebten Schwarzmagier über internationale Industriekonzerne bis hin zu außerirdischen Tentakelwesen war alles dabei. Jetzt sind die Nazis dran und als geschichtsbewusster Deutscher frage ich mich natürlich, ob man das einfach so machen kann, flüchtige Nazis für ein Rollenspiel zu verwursten.

von Jasper

 

Ich sage mal vorsichtig ja, denn die Nazis von der „Hand of Glory“, der titelgebenden Geheimgesellschaft des neuen Kampagnenbandes aus der „Shadowforce Archer“-Reihe haben mit den Verbrechern der Realität relativ wenig gemeinsam, sondern entsprechen vielmehr dem verniedlichten Comic-Bild, das man etwa auch aus „Indiana Jones“-Filmen kennt: oberfiese Mutantenschurken in schwarzem Leder, die mit einem Auge ein Monokel einkneifen, alle ein „von“ im Namen tragen, ständig „Achtung!“ brüllen und natürlich mit Hilfe uralter schwarzer Magie nach der Weltherrschaft greifen.

Ob man so eine Verniedlichung in Ordnung findet, überlasse ich einfach jedem selbst. Ich gehe mal davon aus, dass jeder und jede halbwegs Erwachsene den Unterschied zwischen Comic und Realität begreift – im übrigen spricht auch nichts dagegen, aus den „Hand of Glory“-Nazis einfach die Illuminaten, den transsylvanischen Geheimdienst oder die Gnome von Zürich zu machen und das Buch trotzdem zu verwenden, denn, soviel sei jetzt schon verraten, abseits aller eventuellen politischen Bedenken lohnt sich das präsentierte Material im Großen und Ganzen.

Diese Klischee-Nazis also werden angeführt von einer gewissen Eva Kraus, die aber nichts weiter als die menschliche Hülle einer Jahrtausende alten Kraft ist, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei archäologischen Ausgrabungen aus ihrem Schlaf gerissen wurde und prompt den Körper der armen Eva übernahm. Verwirrt und schwach stellte sie fest, dass ihr der zweite, männliche Teil abhanden gekommen war, den sie dringend benötigte, um wieder zu voller Kraft und Stärke zu gelangen. Das Eva-Monster lancierte auf der Suche nach ihrem männlichen Zwilling Hitlers Aufstieg mit Hilfe einiger deutscher Geheimgesellschaften und brach den Zweiten Weltkrieg vom Zaun, um auf der ganzen Welt nach verschollenen Kultstätten, magischen Gegenständen und menschlichen Seelen als Kraftquelle forschen zu können, die ihren Plan, die Welt zu unterjochen, befördern sollten.

Als ihr die Kontrolle über Hitler und die Nazis entgleitet und der Zweite Weltkrieg für sie verloren geht, zieht sie sich in ein weitverzweigtes Tunnelsystem unter dem Südpol zurück und verfolgt von dort aus mit Hilfe ihrer eigenen Geheimgesellschaft, der „Hand of Glory“, ihre finsteren Ziele. Die Organisation ist durch strengen Darwinismus in den eigenen Reihen, mystisch-magischen Faschismus und einen Hang zu Arbeit durch Gedankenbeeinflussung und PSI-Kräfte gekennzeichnet. Ihr Ziel ist es, den männlichen und weiblichen Teil der alten Kraft zu vereinen und auf der ganzen Welt eine Nazi-Theokratie zu errichten. Gut, dass es da noch die AgentInnen der Shadowforce Archer gibt, die das hoffentlich zu verhindern wissen.

Nach einer einführenden Kurzgeschichte wird im ersten Teil des Bandes die Verknüpfung zur interaktiven Plotlinie der „Shadowforce Archer-Webiste geschaffen, indem einige Handlungsstränge vorgestellt werden, die die einzelnen Spielrunden ausspielen und dann über den Handlungsverlauf auf der Website berichten können. Die häufigsten oder auch die interessantesten Ergebnisse werden die weiteren Veröffentlichungen um die Shadowforce Archer mitbestimmen. Das ist sicherlich ein interessantes Konzept, um den SpielerInnen das Gefühl zu geben, auf die Spielwelt wirklich Einfluss zu nehmen, etwa so wie eine echte Spionagetruppe, deren Erfolg oder Misserfolg die Weltlage verändern kann. Ein bisschen erinnert das an das Konzept des „Schwarzen Auges“, nur dass hier das Internet stärker und bewusster eingesetzt wird. Wer sich die Mühe macht, sich aktiv an der Website zu beteiligen, wird sicherlich eine interessante zusätzliche Spielebene gewinnen.

Es folgt eine detaillierte Zeitleiste, die die Aktivitäten der „Hand of Glory“ durch das letzte Jahrhundert bis in die Jetztzeit verfolgt und auch auf Ziele, Organisationsformen, Stützpunkte, Methoden und Feinde und Verbündete der Geheimgesellschaft eingeht.

Einen recht breiten Raum nimmt ein Teil über neue Regeln ein, der zum einen neue Charakterklassen behandelt, die hauptsächlich in den Reihen der Bösewichte zu finden seien werden und beinahe alle auf die eine oder andere Weise mit PSI-Kräften arbeiten, wie es ja auch dem Setting entspricht. Ebenfalls in diesem Abschnitt untergebracht sind neue Fertigkeiten und mystische Gegenstände, die die „Hand of Glory“ bis jetzt in ihren Besitz bringen konnte. In diesem Zusammenhang bekommt man auch eine nette Beschreibung des allgemeinen Feelings der Technik der „Hand of Glory“, altertümlich und leistungsfähig zugleich, die typischen dampfenden und zischenden Riesenmaschinen der altbekannten verrückten Wissenschaftler. Den Abschluss dieses Teils stellt die Beschreibung mehrerer Unterschurken- NSC-Klassen dar, darunter „Froschmann“, „Elitesoldat“ und dergleichen.

Im letzten Kapitel wird anhand einiger ausgearbeiteter NSC und Plotskizzen vorgeführt, wie man mit dem „Hand of Glory“-Setting arbeiten kann. Leider fällt diese Sektion ziemlich dünn aus, die vorgestellten NSC sind zwar interessant, aber die Abenteuervorschläge beschränken sich auf wenig mehr als „ Die Gruppe könnt ja mal XY auskundschaften“ oder „NSC X bringt Y in seinen Besitz und die SC müssen es ihm abjagen“. Die Beschreibung eines Stützpunktes in einem erloschenen Vulkan muss (inklusive Karte!) in Minischrift schließlich auf eine Seite passen, ebenso wie eine Übersichtskarte der Innenstadt von Buenos Aires, die für Verfolgungsjagden benutzt werden soll.

Für meinen Geschmack hätte man insgesamt im Regelkapitel etwas kürzen können – die „Froschmann“-Klasse braucht kein Mensch auf einer Seite und die U-Boote der „Hand of Glory“ hätten sicherlich keine eigene Tabelle benötigt – und dafür hier einige Seiten freischaufeln sollen, schließlich nützt der beste Spielhintergrund nichts ohne entsprechende Plots. So bleibt hier die Arbeit mal wieder größtenteils an den SpielleiterInnen hängen, die allerdings im vorderen Teil des Bandes eine Menge Anregungen für eigene Abenteuer finden und weiter hinten immerhin noch brauchbare NSC und einige nette Ideen geliefert bekommen. Die Karten muss man wohl hochkopieren und schließlich bleibt ja immer noch die Website, die auch zu diesem letzten Kapitel noch zusätzliche Informationen bereithält und vielleicht reichhaltigere Hilfen bereitstellt.

Die Aufmachung überzeugt leider nicht durchgängig; während das Titelbild im kantigen Superhelden-Comic-Stil mit dem geschwungenen Schriftzug sehr passend ist, wirken viele Innenillustrationen schlampig gezeichnet und die schon angesprochenen Minikarten sowie die Tatsache, dass auf einen Index am Ende verzichtet wurde, schlagen ebenfalls negativ zu Buche.

Fazit: Insgesamt ist „Shadowforce Archer: Hand of Glory“ ein gutes Produkt, das man mit einigen Einschränkungen empfehlen kann. Wer auf „Indiana Jones“ oder „Das Phantom“ steht, und am Spieltisch gerne mal den durchgeknallten Nazi-Verschwörer vom Südpol bekämpfen möchte, sollte sich diesen ungewöhnlichen Spielhintergrund mal ansehen. Eine Konvertierung in andere Systeme („Cthulhu“, diverse „GURPS“-Ableger, „Marvel Superheroes“) ist sicher möglich, sodass auch Fans anderer Spielwelten etwas Interessantes geboten bekommen könnten. Ich persönlich hätte mir noch etwas mehr Hintergrund und besser ausgearbeitete Abenteuerskizzen gewünscht und dafür einige der Regelergänzungen gestrichen, die ich nicht wirklich zwingend finde, aber das ist offenbar der Stil vieler „D20“-Publikationen.

Am Ende kann man also festhalten: guter, etwas abgefahrener Hintergrund, viele nette Ideen, aufbereitet mit zum Teil überflüssigen Informationen und zu gedrängten Abenteuervorschlägen, aus denen man selber etwas machen muss, aber mit Hilfe des guten Hintergrundes und der pfiffigen Internetunterstützung sicher auch etwas machen kann.

Dieser Artikel erschien usprünglich auf www.helden.de.


Shadowforce Archer: The Hand of Glory
Quellenbuch
Scott Gearin, Patrick Kapera, John Unger u. a.
Alderac Entertainment Group 2002
ISBN: 1-887953-65-5
96 S., Softcover, englisch
Preis: $ 24,95

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