von Daniel Pabst
Das Spiel „Precognition“ von Julien Prothière (Autor) und Cédric Lefebvre (Entwickler), erschienen beim Verlag Ludonaute, beinhaltet: 4 Schiffstafeln, 12 Maschinenraumtafeln, 1 Kartenverteilungsübersicht, 96 Erkundungskarten, 8 Entscheidungskarten, 15 Fluss- und Inselplättchen, 27 Koop-Plättchen, 1 Reisemarker, 50 blaue Figuren („Mensch“), 40 grüne Figuren („Ymuner“), 48 Marker („Batterie“), 20 Plättchen („5 Menschen / 5 Ymune“), 12 Plättchen („10 Nahrung“), 4 Nahrungsmarker, 4 Gefahrenmarker, 8 Spielhilfen und 1 Anleitung.
Bei „Precognition“ verkörpert ihr einen von vier Ymunen. Diese humanoiden Wesen mit den Namen „Tal Defitia“, „Tal Terias“, „Tal Kartus“ und „Tal Pria“ sind nach einer weltweiten Katastrophe – wie der Name „Ymune“ bereits erahnen lässt – immun gegen das Virus, das einen Großteil der Menschheit ausgerottet und die Überlebenden radikal verändert zurückgelassen hat. Das Spielziel ist es, die Kranken zu heilen, zu vereinen und auf Létéa zu verschiffen. Dafür haben die Mitspielenden je ein Schiff, das Ressourcen sammelt und den Menschen Sicherheit bietet. Doch leider werdet ihr nie alle Menschen heilen können; so müsst ihr euch darauf einstellen, dass manche erst in eure Quarantäne müssen, nur um kurze Zeit später zu versterben …
Bereits das Thema spricht nicht jedermann an. Schnell lassen sich Parallelen zu der Pandemie herstellen, die das reale Leben für alle verändert hat. Will man das auch noch als Brettspiel vor sich haben? Was wollen uns der Autor Julien Prothière und der Entwickler Cédric Lefebvre mit diesem Spiel sagen? Eure Maschinenräume des Schiffes verwandeln sich in der Expertenvariante in folgende Räume: „Apotheke“, „Luftschleuse“, „Generator“, „Funkstation“, „Agrarlabor“, „Autonomes Gewächshaus“, „Kommandozentrale“, „Dekontaminationskammer“, „Laden“, „Werkstatt“, „Lazarett“ oder „Suchtrupp“. Braucht es die Spiel-Varianten? Kann das Spaß machen?
Der primäre Spielmechanismus von „Precognition“ ist das „Dual-Select-System“. Zu diesem gibt es ein Erklärvideo: www.youtube.com/watch. Bis man dieses System verstanden hat, braucht es Zeit. Für die erste Partie benötigt man gut und gerne eine Stunde Vorbereitungszeit. Für eine angegebene Spielzeit von ebenfalls einer Stunde, ist das happig und sollte bedacht werden. Hat man aber dieses „neue“ System verstanden, so wird über 12 Runden (3 Jahreszeiten) gespielt. In jeder Runde spielt man zwei Karten aus. Statt diese Karten von einem eigenen Deck zu ziehen und selbst davon auszuwählen, ist es beim „Dual-Select-System“ komplizierter, was der folgende Auszug aus der Anleitung verdeutlicht:
Grob zusammengefasst werden die Karten aus eurem Deck selektiv weitergereicht, sodass man ungefähr weiß, welche Karten man erhält. Das soll mit der Vorahnungs-Gabe der Ymune harmonieren. Allerdings kann man von dieser Vorahnung nur bedingt profitieren, denn im „Dual-Select-System“ kann man nur beschränkt darauf Einfluss nehmen, was man für Karten erhält, da man nie sicher sein kann, was die Mitspielenden weitergeben werden. Man muss sozusagen darauf „pokern“, was einem zugeschoben wird. Hinzu kommt als „Erschwernis“, dass ihr immer mehr Menschen an Bord bringt und diese zunehmend erkranken oder an Hunger leiden.
Vielleicht merkt man beim Lesen, dass das Spielkonzept nicht glücklich macht und entscheidende Mängel mitbringt. Wenn man schon ein Spiel mit der „Gabe der Vorahnung“ herausbringt, dann ist unverständlich, warum man in seiner Vorahnung auf das Glück und die unfreiwillige Hilfe der Mitspielenden angewiesen wird. Thematisch wiederum ist es nicht verständlich, warum die vier Ymune nicht zusammenarbeiten, wenn sie die Menschen retten wollen. Denn auch wenn es einen kooperativen Modus gibt, so ist das Grundkonzept auf einen kompetitiven Modus ausgerichtet. Heißt also, dass ihr versucht, die meisten Menschen nach „Létéa“ zu bringen, wohingegen die anderen Ymune weniger Leben retten sollen …
So kann es im Spielverlauf passieren, dass ihr lieber Menschen in die Quarantäne schicken wollt, als sie zu heilen, da nur die Genesenen mit Nahrung versorgt werden müssen (sic!). Damit das Spiel die aufgedruckte Altersempfehlung von 12 Jahren oder älter erfüllt, haben der Autor und der Entwickler in der Anleitung viele beschönigende Worte gefunden. Schon zynisch steht da dann: „Du entscheidest, ob du kranke und/oder gesunde Menschen verlierst“, „Für jeden gesunden Menschen verlierst du 1 Nahrung“, „Du darfst 1 oder mehrere beschützende Ymune abgeben, um deine Gefahrenstufe jeweils um 2 zu senken“ oder „Du verlierst alle übrigen gesunden Menschen, die du nicht ernähren kannst, und musst sie zurück in den Vorrat legen“.
Um nach einer gespielten Partie mehr Abwechslung hineinzubringen, wurden weitere Maschinenraumtafeln beigelegt. Diese haben nämlich die Funktion, euer Schiff zu modifizieren und euch die Entscheidung zu überlassen, ob ihr mehr Nahrung, mehr heilende Ymune oder mehr kranke Menschen von Land aufnehmen wollt. Diese Tafeln sind durchaus ein nettes Beiwerk, wenn man vorhat, diesem Spiel weitere Abende zu opfern. Wie angesprochen, gibt es auch den kooperativen Modus, bei dem man versucht, gemeinsam die meisten Menschen zu retten. Das ist nicht sehr herausfordernd, und es ist leider egal, für welchen der vier Ymune man sich entscheidet, da keiner eigene besondere Fähigkeiten mitbringt. Um noch flexibler auf die Gruppe reagieren zu können, gibt es zuletzt auch einen „Team-Modus“ für vier Spieler, bei dem man „Zwei gegen Zwei“ spielt.
Das großangekündigte „Dual-Select-System“ ist schlecht. Entweder man rät richtig und kann seine Karten kombinieren oder man liegt falsch und der eigene Motor kommt zum Erliegen. Besser machen es beispielsweise Spiele wie „Hanamikoji“, „Hanabi“ oder „Tides of Madness“. Auch bieten die 12 Runden keine große Abwechslung, und wenn man endlich das Ziel erreicht hat, liest man in der Anleitung: „Wir haben die Flussmündung erreicht. Létéa ist jetzt nur noch 4 Tage entfernt. Die Menschen an Bord, die es bis hierhin geschafft haben, sind unsere Zukunft“. Man hat also noch vier (!) Tage vor sich? Hieß es nicht, dass man die Menschen nach Létéa bringt? Was passiert in den verbleibenden vier Tagen? Selbst die Rahmenhandlung floppt.
Die Illustrationen von Sébastien Caiveau sind von nicht besonderer Qualität. Die Bilder auf den Karten wiederholen sich – auch wenn sie für sich betrachtet nicht allzu schlecht sind. Die Illustration der Schiffe ist unsauber und auch makaber. Dadurch erhält man beim Spielen nicht den Eindruck, dass die Ymune den Menschen Gutes bringen wollen. Sollten sie in Wirklichkeit also etwas anderes planen? Das alles macht definitiv unglücklich. Und warum diese Ymune (die als Holzfiguren den Menschen auch in ihrer Größe überlegen dargestellt werden) ihre Vorahnung nicht dafür nutzten, die Menschheit vor dem Eintreffen des Virus zu warnen bleibt offen. Es wirkt insgesamt so, dass hier einzig ein brisantes und aktuelles Thema auf ein Spiel transferiert wurde, ohne dabei zu begreifen, was das Spielsystem für eine Botschaft vermittelt!
Fazit: Selten spielt man ein Brettspiel, das in allen Punkten schlecht abschneidet. „Precognition“ aber ist ein solches Spiel. Auch wenn man sich große Mühe gibt, dem Spiel etwas Positives abzugewinnen – es gelingt nicht. Wenn man auf den Verkaufspreis schaut, schüttelt es einen umso heftiger. Hart aber ehrlich heißt es diesmal am Ende der Rezension daher: Abstand nehmen von „Precognition“. Zum freudigen Spielen sucht man sich besser eines der zahlreichen anderen hier rezensierten Brett- und Kartenspiele aus!
Precognition – Die Gabe der Vorahnung
Brettspiel für 2 bis 4 Spielende ab 12 Jahren
Julien Prothière, Cédric Lefebvre
Ludonaute 2022
EAN: 3760269592643
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 59,99
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