von Amel
Es ist ein ungewöhnliches Thema für ein Rollenspielbuch. Die Gefahr, ein ernstes und tragisches Thema wie dieses geschmacklos darzustellen, ist groß. Um es aber gleich vorwegzunehmen: Geschmacklos ist „Magnum Opus“ nicht. Das Buch „möchte ein entschieden moralisches Buch sein“, wie Autor André Pönitz in einem langen Textkasten am Anfang des Bandes erklärt. Der Perspektivwechsel kann und soll genutzt werden, um tiefer zu blicken, zu lernen und zu verstehen.
Die Spieler verkörpern, wie oben erwähnt, alchemistische Geister, so genannte Fragmente, denen einprogrammiert wurde, die Mauer zu beschützen. Abhängig von der Kampagne – es wird auch die Möglichkeit erwähnt, Menschen zu spielen –, kann es ein wichtiger Teil sein, die Geheimnisse der Mauer und ihrer Geister aufzudecken. Aus diesem Grund erzähle ich an dieser Stelle nichts weiter zu den Hintergründen. Sie sind prinzipiell nicht kompliziert und werden von Pönitz auf wenigen Seiten gut lesbar zusammengefasst.
Die Fragmente haben – so viel muss ich in an dieser Stelle verraten – einen menschlichen Kern, von dem sie aber selbst zunächst nichts wissen. Die Charaktererschaffung beschränkt sich zu Beginn auf zwei Aspekte, nämlich ein Konzept und eine menschliche Essenz. Das Konzept könnte sein: „Die sichere Isolation der Mauer“, oder „Die unberechenbare Gewalt der Mauer“. Die menschliche Essenz ist eine Facette eines Menschen, die dessen Kern ausmacht, so etwas wie „Kind auf der Suche nach Liebe“. Dazu kommen fünf recht spezifische Fertigkeiten, z. B. Künstliches Leben (einen Homunkulus erschaffen, der mit der Umwelt interagieren kann) oder Orakel (einen Blick in die Zukunft werfen). Die anderen Aspekte erschafft der Spieler nach und nach während des Spiels und enthüllt damit Teilbereiche des Wesens des Fragments.
Das ist einerseits gewiss gewöhnungsbedürftig, andererseits auch recht geschickt. Zunächst sind die Spieler sehr abstrakte Wesenheiten, die ihrer Programmierung folgen und tun, wozu sie erschaffen wurden. Nach und nach entdecken sie mehr über sich selbst und ihre menschliche Seite und bewegen sich so auf ihr Ende, den Fall der Mauer, zu. Zum Glück gibt Pönitz gute Tipps, wie man Abenteuer aufbaut, beschreibt sieben kurze Szenarien und gibt ein langes Spielbeispiel.
Das Buch ist gut gemacht. Es ist gut geschrieben und bearbeitet sein Thema auf kreative und ungewöhnliche Weise. Als Kunstobjekt funktioniert es sicherlich hervorragend. Es regt zum Nachdenken an; zeigt, was Rollenspiel machen und sein kann; eröffnet neue Perspektiven und ist nicht nur aus diesem Grund lehrreich. Aber würde ich das spielen wollen? Ehrlich gesagt nicht. Mir ist das zu schwierig, zu „verkopft“. Ich habe den Eindruck, das Spiel leidet unter etwas, das ich das Unbedingt-was-Neues-Syndrom nennen möchte. Geht man als Autor mit dem Ziel an ein Projekt, etwas nie Dagewesenes zu erschaffen, ist es leicht zu ignorieren, wie viele Menschen schlussendlich daran Spaß finden. Man muss Pönitz hoch anrechnen, dass er es geschafft hat, ein gutes und spielbares Spiel mit diesem Thema zu erschaffen. Vielleicht ist es sogar wichtig, dass schwierige politische Themen Einzug ins Rollenspiel halten – wenigstens ab und zu.
Grafisch gliedert sich das Heft in die anderen kleinen Veröffentlichungen für das deutsche „Fate“ ein. Es ist ein DIN-A5-Softcover, übersichtlich gelayoutet. Das Cover ist hübsch und wenige, aber gelungene Zeichnungen lockern den Text auf.
Fazit: Alchemistische Geister, die die Berliner Mauer beschützen sollen. „Opus Magnum“ ist ein Spiel, das sich mit Politik und Moral beschäftigt und es erlaubt, deutsche Geschichte auf ungewöhnliche Weise zu erleben. Gruppen, die sich auf das schwierige Thema einlassen, werden viel über sich und die Welt lernen.
Opus Magnum
Quellenbuch
André Pönitz, Sabrina Klevenow, Ralf Berszuck
Uhrwerk 2019
ISBN: 978-3-95867-157-7
72 S., Softcover, Deutsch
Preis: EUR 14,95
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