Mythaloria

Nachdem der Heinrich-Tüffers-Verlag mit „Ultima Ratio – Im Schatten von Mutter“ bereits seit einiger Zeit ein hauseigenes Science-Fiction-Rollenspiel verlegt, erscheint nun mit „Mythaloria“ das erste Fantasy-System. Riskieren wir einen Blick.

von André Frenzer

Der Untertitel von „Mythaloria“ lautet „Das postapokalyptische Fantasy-Rollenspiel“. Damit scheint es sich in eine Reihe mit Systemen wie „Symbaroum“ zu stellen. Doch so dunkel ist der Hintergrund tatsächlich nicht.

Hintergrund

Eröffnet wir der 78-seitige Hardcover-Band dann auch mit einer Beschreibung des Hintergrunds. Beschrieben wird das aus mehreren Stadtstaaten bestehende Reich Eníkien. Die Apokalypse, welche bereits den Untertitel prägte, war hier göttlicher Natur. Denn einst lebte die göttliche Mutter Mythra mit ihrem Pantheon aus Göttern – hier Khaí genannt – mitten unter den Sterblichen und sorgte für Frieden und Wohlstand. Doch die unzufriedenen Sterblichen sagten sich von den Göttern los und einige wandten sich sogar finsteren Dämonen – den sogenannten Talokh – zu. Ein Krieg brach los, welcher das Land verwüstete und an dessen Ende die siegreichen Khaí dem Reich der Sterblichen den Rücken zuwandten und es verließen. Auf Jahrhunderte war der Boden unfruchtbar, und nur an der Küste konnten die Spezies Eníkiens noch überleben, wo sie dem Meer alles abrangen, was sie zum Leben brauchten.

Doch irgendwann versiegten die Spuren des Krieges. Das Land wurde wieder fruchtbar, und aus kleinen Dörfern wuchsen mächtige Stadtstaaten heran. Ebenso erstarkte eine Kirche, welche den Glauben an die alten Götter und die göttliche Mutter Mythra wiederbelebte. Denn auch wenn die Götter die Welt der Sterblichen verlassen hatten, so lehrte die Eníkische Kirche, ruhte doch ihr Auge auf den Taten der Sterblichen. Neben den konkurrierenden Stadtstaaten entstand länderübergreifend auch noch ein Kastensystem, in dem die eníkische Gesellschaft heute organisiert ist. An dessen Spitze stehen die Phai, reiche Handelsfürsten und Politiker sowie die Itai, die Kleriker der Kirche. Thetis, Kron und Khai stellen die freien Stände dar, und in der untersten Kaste leben die unfreien Ilos, welche den anderen Kasten als Sklaven dienen.

Das Grundregelwerk beschreibt zudem fünf verschiedene Spezies, welche alle mit mehr oder minder gleichen Rechten in Eníkien leben, den mythalorianischen Götterpantheon, die wichtigsten Stadtstaaten in aller Kürze sowie die Talokh und ihr außerdimensionales Reich, das Rhazhasuna. Da all dies auf gerade einmal 20 Seiten präsentiert wird, ist wohl offensichtlich, dass die Beschreibungen oftmals nur an der Oberfläche kratzen können. Dennoch erhält man ein recht gutes Gefühl für die Welt. Das ganze Setting wirkt angelehnt an die griechische Antike, was sich in verschiedenen Aspekten wie den Stadtstaaten und den Kasten niederschlägt, was rasch für einen gemeinsamen Vorstellungsraum sorgen dürfte.

Regeln

Das Regelwerk ähnelt in weiten Teilen dem Science-Fiction-Äquivalent „Ultima Ratio“. Es wird auf den nächsten rund 40 Seiten vorgestellt. Und wie auch schon bei „Ultima Ratio“ gilt: Trotz der Kürze des Regelwerks ist „Mythaloria“ kein leichtgewichtiges Regelwerk. Stattdessen gibt es eine ganze Menge unterschiedlichster Regeln, die manches Mal sehr knapp beschrieben werden und so mehrmaliges Lesen erfordern, um wirklich verständlich zu sein. Ebenso präsentiert sich manche Regel nicht sonderlich eingänglich.

Prinzipiell werden Proben gegen einen vom Spielleiter festgelegten Schwierigkeitsgrad gewürfelt. Dem Spieler stehen dabei eine zu ermittelnde Anzahl vierseitiger Würfel (das gesamte System basiert auf W4) und ein Modifikationswert zur Verfügung, der auf den Wurf addiert werden darf. Die Modifikation und die Anzahl der Würfel ergeben sich aus der Art der Probe (handelt es sich beispielsweise um eine einfache, eine komplexe oder gar eine kooperative Handlung) sowie daraus, ob auf eine Fertigkeit, eine Eigenschaft oder ein Attribut gewürfelt wird. Der grundsätzlich simple Mechanismus erfordert also etwas Übung, bis klar wird, wie ein Würfelpool zusammengestellt wird.

Im direkten Vergleich zu „Ultima Ratio“ ist besonders das Kapitel über Magie etwas Neues. Zauberproben werden ähnlich gehandhabt wie alle übrigen Proben – sie werden mit einem zu ermittelnden Pool aus W4 + Modifikatoren ausgeführt. Die Zauber wiederum setzen sich jeweils aus einem Fokus (also einem Ziel des Zaubers, was ein Areal, eine Kreatur oder auch eine Empfindung sein kann) und einer Magieschule (wie Erkennung oder Zerstörung) zusammen. Mithilfe beliebiger Kombinationen dieser beiden lassen sich nun Zaubersprüche wirken. Die Kombination aus „Kreatur“ und „Erkennung“ könnte also beispielsweise den Standort einer Kreatur verraten oder aber die wahre Wesenheit einer Kreatur enthüllen. Einige Beispielzauber runden dieses Kapitel ab.

Charaktere in „Mythaloria“ setzen sich aus verschiedensten Werten zusammen. Neben Attributen – welche die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit definieren – gibt es Fertigkeiten (also erlernte Fähigkeiten) sowie Eigenschaften, die eine Art „moralischen Kompass“ für den Charakter bilden. Die Fertigkeiten unterteilen sich später auch noch in allgemeine Fertigkeiten und spezielle Fertigkeiten, welche nur von bestimmten Professionen – Charakterklassen – erlernt werden können. Ein paar spezielle Spezieskräfte, die nur bestimmten Völkern zur Verfügung stehen, runden das ebenfalls recht komplexe Konstrukt ab. Die Charaktererschaffung erfolgt über verschiedene Auswahlmöglichkeiten wie Profession und persönliche Entscheidungen, welche Einfluss auf die fertigen Spielwerte haben.

Weitere Inhalte

Das Grundregelwerk präsentiert sich angenehm komplett. Neben dem eigentlichen Regelkern findet sich auch ein Ausrüstungskapitel in dem Band wieder, in dem neben (natürlich) Waffen noch einige andere nützliche Gegenstände und die gängigsten Dienstleistungen vorgestellt werden. Abgerundet wird der Band durch einige beispielhafte Nichtspielercharaktere sowie einen – leider viel zu kurz geratenen – Kreaturenkatalog und vier hervorragend illustrierte Archetypen, die entweder ebenfalls als NSC dienen können oder zum sofortigen Losspielen bereitstehen. Zu guter Letzt gibt es auch noch ein wenige Seiten umfassendes Einstiegsabenteuer, „Die Bestie von Dimas“. Diesem gelingt es trotz seiner simplen Handlung und den wenigen Seiten recht gut, die Themen, welche mit Mythaloria bespielt werden können, anzureißen.

Optik und Layout

„Mythaloria“ erscheint als vollfarbiger Hardcoverband. Wie auch schon bei „Ultima Ratio“ bewegen sich die verwendeten Illustrationen auf einem professionellen, anspruchsvollen Niveau und sehen hervorragend aus. Auch das Layout ist professionell und ist gut lesbar. Zur besseren Orientierung und Abgrenzung von Spielwerten arbeitet das Layout mit Tabellen, welche die Informationen verdichtet darstellen; durch den hohen Crunch-Faktor der Regeln gibt es so einen ganzen Haufen Tabellen, welche den Text zusätzlich auflockern. Außerdem gibt es reichlich Zwischenüberschriften, die das Auffinden von bestimmten Abschnitten erleichtern.

Das Regelwerk wurde offensichtlich einem guten Korrektorat unterzogen – so finden sich kaum Rechtschreibfehler in dem Band wieder. Das Lektorat wiederum hätte ruhig die eine oder andere Formulierung an den Regeln ändern dürfen. So bleibt es dabei, dass man manche Regeln mehrfach lesen muss oder sie erst im Kontext mit anderen Regelblöcken wirklich versteht. Das erhöht in meinen Augen die Schwierigkeit beim Durcharbeiten des Regelwerks.

Fazit: „Mythaloria“ ist ein angenehm kompaktes, aber dennoch sehr komplexes Regelwerk, welches auf wenigen Seiten alles zusammenführt, was man für einen Start in Eníkien braucht. Wer vor komplexen Regeln nicht zurückscheut und ein unverbrauchtes Setting sucht, sollte hier einen Blick riskieren.

Mythaloria
Grundregelwerk
Nikolas Tsamourtzis
Verlag Heinrich Tüffers 2023
ISBN: 978-3941340305
78 S., Hardcover, deutsch
Preis: 29,95 EUR

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