Mission Control: Critical Orbit

War ja klar. Auf der dreizehnten Mission des S.A.G.A.-Weltraumprogramms wird die Mercury-III-Rakete während eines Notmanövers stark beschädigt. 20 Minuten bleiben der Crew, um mithilfe der Spezialisten auf der Erde die Reparatur durchzuführen und den Erstickungstod abzuwenden. Glücklicherweise unterstützen bei diesem kooperativen, asymmetrischen Unterfangen gleich drei im Umgang mit Würfeln und Stift kompetente Bodenstationen in Echtzeit.

von LarsB

Überblick

„Mission Control“ ist ein kooperatives Roll-&-Write-Spiel, welches bei Skellig Games auf Deutsch erschienen ist. Alle Spieler verfolgen das Ziel, die Mercury-III-Besatzung zu retten. Ein Spieler verkörpert gar eben diese Crew. Dazu lösen bis zu drei Spieler jeweils ihre Aufgabe auf ihrem individuellen Mission Control Boards, um dem Spieler auf dem Mercury-III-Board die Lösung seiner Puzzle-Aufgabe zu ermöglichen. Dazu werden Würfel geworfen und Eintragungen auf den Spielerboards gemacht. Mit Eintragen von Zahlen in Bonusfelder können sich die Spieler gegenseitig unterstützen. Bei einem bestimmten Spielfortschritt werden dem Mercury-III-Spieler notwendige Ressourcen für die Lösung seines Plättchen-Legepuzzles zur Verfügung gestellt. Mercury III hat dafür schmale zwanzig Minuten (Echt-)Zeit.

Material

„Mission Control: Critical Orbit“ kommt in einer kleinen quadratischen und stabilen Spielschachtel daher. Die vier Spielerboards nutzen den Fußabdruck der Schachtel komplett aus und sind damit groß genug. Das Mercury-III-Board ist als Double-Layer-Board ausgeführt, und das ist sinnvoll, dürfen doch einige Materialien auch in der Hitze des Gefechts auf diesem Brett nicht verrutschen. Die Boards der Mission-Control-Spieler sind abwischbar, was in Verbindung mit den beigelegten, auch aus anderen Spielen wie „Just One“ bekannten Dry-Erase-Stiften sehr gut funktioniert. Lediglich die Mini-Schwämme an der Stiftkappe haben eine begrenzte Reinigungsperformance. Karten, Polyomino-Plättchen, Marker und Würfel machen einen vernünftigen Eindruck.

Ikonografisch ist das Spiel solide aufgestellt. Verbesserungswürdig wären auf dem Bengaluru- sowie dem Köln-Spielbrett, dass nicht kenntlich ist, mit welcher Unterstützung man der Mercury konkret beim Erreichen der Zwischenziele weiterhilft. Das ist zwar immer die gleiche Unterstützung, gerade für Neueinsteiger oder Wiedereinsteiger wäre es aber hilfreich, den Spielfluss mit intuitiver Ikonografie zu unterstützen. Schließlich ist Mission Control ein Echtzeitspiel.

Das zweite Haar im Ikonografiesüppchen findet man auf den KI-Karten. Dort sind Spielerboni nur im Houston-Bereich zu finden, auch wenn der Bot zum Beispiel einen Köln-Mitspieler simulieren soll. Auch das ist verwirrend. Ein separater Bonusbereich auf den Karten wäre hier sinnvoller gewesen.

Spielablauf

Der Mercury-III-Spieler muss seine Kanister-Token nach Vorgabe auf seinem Spielbrett verteilen und die Polyominos sortenrein und verdeckt in seinem Zugriff platzieren. Letzteres fühlt sich etwas „fummelig“ an, ist aber zu verschmerzen, da die benötigten Karten und die restlichen Spielmaterialien schnell präpariert sind.

Von hier an dauert das Spiel maximal zwanzig Minuten. Der Mercury-III-Spieler wirft die drei Würfel und sucht sich einen aus. Ja, er darf auch abfragen, welchen Würfel die Mission-Control-Spieler gerne haben würden. Mercury III zieht dann die linke oder die rechte Ventilleiste um ein Feld nach unten und schaltet sich gegebenenfalls Boni oder gar ein Ventil frei. Den Rest der Zeit verbringt Mercury mit dem Puzzeln der Polyominos. Ziel ist dabei, eine durchgehende Rohrleitung zwischen zwei gleichfarbigen Kanistern zu kreieren. All diese fertigen Verbindungen müssen dann genug Sauerstoff erzeugen. Eventuelle Ventile müssen freigeschaltet werden.

Und hier kommen die Mitspieler, Verzeihung, Mission Control Houston, Köln und Begaluru ins sprichwörtliche Spiel. Alle Mission-Control-Spieler müssen beide Würfelwerte eintragen. Houston schreibt die Würfelwerte benachbart zu bereits notierten Zahlen, um mit diesen Zahlenmustern Tetris-Steine zu erzeugen. Ist so ein Stein fertig gestellt, steht der ab sofort dem Mercury-III-Spieler zur Verfügung. Auf einigen Polyominos sind brauchbar lange Rohrabschnitte abgebildet, auf vielen anderen befinden sich teuflisch viele kleine „Knicke“, die zunächst wenig nützlich erscheinen. Dem Bengaluru-Spieler stehen vier quadratische Raster zur Verfügung, auf denen er jeweils ein eigenes Sudoku erzeugt. Gleiche Zahlen sind weder in Zeilen noch in Spalten erlaubt. Hat der Spieler genug gültige Zeilen und Spalten gefüllt, wird Mercury III mit Ventilen ausgestattet. Ohne diese Ventile funktionieren gerade die guten Sauerstoff-Leitungen nicht. Köln sorgt durch das Abstreichen von Kästchen gemäß Augenzahl dafür, dass die Kanister als Start- oder Zielpunkt für die Rohleitungen flexibler positioniert werden dürfen. Damit lässt sich das Mercury-Puzzle deutlich einfacher lösen.

Auf jedem Spielbrett sowie auf den Polyominos sind Bonussymbole zu finden, die für die Mitspieler bei Aktivierung eine Art Joker bedeuten. Gelingt dem Mercury-Spieler das Lösen des Verrohrungs-Puzzles innerhalb der 20 Minuten, hat das gesamte Team gewonnen.

Spielgefühl

Aus Sicht des Mercury-Spielers hat das Spiel folgende Dynamik. Am Anfang treibt er Mission Control an, diese blöden Zahlen auf das Spielbrett einzutragen. Wie schwer kann das schon sein?! Er hat ja selbst noch nichts zum Puzzeln. Am Ende des Spiels nerven ihn die Mission-Control-Spieler, dass sie schon lange ihre Eintragungen vorgenommen haben und Mercury nun mal langsam die Würfel erneut werfen sollte, damit man am Boden wieder produktiv sein kann.
Die einzelnen Aufgaben der Mission-Control-Spieler sind für sich genommen nicht wahnsinnig komplex und eignen sich sehr gut, um in das Spiel hineinzukommen. Bengaluru hat da noch den anspruchsvollsten Job mit der Erstellung schlüssiger Sudoku-Puzzle. Gerade zum Ende der Partie erscheint der kognitive Anspruch an den Mercury-III-Spieler mehr als nur einen Hauch höher. Ab Mitte des Spiels bekommt er ständig neuen Input, muss alle Boni kennen und abhandeln und nebenher noch dieses VERDAMMTE Rätsel lösen mit Rohrleitungspolyominos aus der HÖLLE! Und die Uhr TICKT – zumindest in den Köpfen der Protagonisten.

Die Spieler unterhalten sich bei einer Partie „Mission Control“ vornehmlich über operative Themen: „Ich hab einen Bonus für Bengaluru.“ „Ich brauche unbedingt eine Fünf.“ „Wo bleibt mein bestelltes ‚L‘?“ „Wie viel Zeit haben wir noch?“ Jeder ist eben mit der Abhandlung seiner Aufgabe beschäftigt. Strategisch wurde in meinen Spielrunden nichts besprochen. Das ist aber auch nicht schlimm, weil „Mission Control“ mit zwanzig Minuten auch kein strategischer Brecher sein will.

Die Lernkurve bei diesem Spiel ist steil. Die erste Partie sollte von einem Anfänger-Team noch ohne Zeitdruck gespielt werden. Das kann auch gelten, wenn ein neuer Spieler ohne umfangreichen Brettspiel-Hintergrund dazustößt. So wird vermieden, dass alle Spieler sehr ungeduldig auf die Fertigstellungs-Meldung des Neulings warten, bis die Würfel erneut gewürfelt werden dürfen.

Bei zwei oder drei Spielern übernimmt ein KI-Kartendeck die Aufgaben von ein oder zwei Bodenstationen. Teilen sich bei einer Spieleranzahl von drei die beiden Mission-Control-Spieler die Aufgaben beim Abhandeln der KI-Anweisungen, muss ein Spieler in einer Zweispieler-Partie gleich zwei KIs zusätzlich zur eigentlichen Knobelaufgabe abhandeln. Das ist schon sehr anspruchsvoll und nur sehr erfahrenen Spielern zu empfehlen. Gerade die Abhandlung von Kettenboni wird da zu einer logistischen Herausforderung.

Das Spiel zündet richtig gut, wenn alle Mitspieler im Flow sind. Damit ist gemeint, dass die Spieler weder überfordert noch unterfordert sind. Das ist in der Regel nach höchstens zwei Partien der Fall. Durch das Wechseln der Aufgaben und das Erhöhen des Schwierigkeitsgrads bleibt das Spiel eine Weile interessant. Die Flow-Delle mit neuen Mitspielern muss man aushalten. Es sind ja nur zwei Partien …

Der Schwierigkeitsgrad kann für eingespielte Gruppen einfach erhöht werden: Es müssen nicht nur sechs, sondern acht oder sogar zehn Sauerstoff-Icons an den Rohren zu finden sein, die Kanister gleicher Farbe verbinden. Damit wird das Puzzle anspruchsvoller und es müssen mehr Ventile freigeschaltet werden. Das ist aus meiner Sicht der größte Knackpunkt dieses Spiels. Richtig brettspielerfahrene Spieler haben die 10 Sauerstoff-Icons bereits nach sehr wenigen Partien erreicht – selbst zu zweit ist uns das schnell gelungen. Ist das gelungen, fühlt sich das Spiel durchgespielt an.

Hier wurde eine große Chance nicht genutzt. Aufgaben für den Mercury-Spieler wie „Nutze Kanister mindestens zwei unterschiedlicher Farben“, „Nutze keine T-Plättchen“ oder „Beim Puzzlen müssen die mittleren Felder frei bleiben“ wären leicht zu implementieren gewesen. In eine kleine Story verpackt, hätte man den Crews sicherlich ein paar interessante Szenarien wie bei „Sky Team“ kredenzen können, für langanhaltenden Spielspaß. Die Dynamik des Echtzeitspiels hätte noch mehr Chancen geboten: nach 10 Minuten fallen zum Beispiel die Kanister einer Farbe aus oder alle Plättchen einer bestimmten Form. Vielleicht folgt ja noch eine Erweiterung? Diese zusätzlichen Herausforderungen spülen die Mitspieler wieder hoch in den Flow hinein. Das Spiel hätte es verdient.

Richtig immersiv wäre das Spiel mit einem mitgelieferten Countdown-Timer. In der Anleitung war kein Verweis darauf zu finden. Es gibt aber entsprechende Timer, etwa bei YouTube, die einen nochmal mehr in das Spiel hineinziehen. Das Spiel gewinnt damit für mein Empfinden erheblich.

Fazit: „Mission Control“ ist ein frischer Ansatz im Roll-&-Write-Genre. Wir sind a) kooperativ, b) in Echtzeit und c) asymmetrisch unterwegs: Jeder hat seine eigene Aufgabe und leistet seinen eigenen Beitrag zur Rettung von Mercury III. Das bringt sehr viel Spaß, solange man gefordert ist. Mehr Varianz in den Puzzeln und das konsequente Ausnutzen der Echtzeitdynamik hätten dem Spiel einen langfristigen Spielspaß-Raketenschub verleihen können. Auch etwas mehr Immersion direkt aus der Schachtel heraus hätte gutgetan. Aber mit dem entsprechenden Datenstream gibt es auch im Weltall Youtube. Und dann spürt man den Druck – hoffentlich in der frisch verlegten Sauerstoff-Leitung.

Mission Control: Critical Orbit
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Corey Andalora, Donnie Coleman
Skellig Games 2024
EAN: 0745604829069
Sprache: Deutsch
Preis: 34,90 EUR

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen