Magierdämmerung 3 – In den Abgrund

„In den Abgrund“ ist der abschließende Band von Bernd Perplies’ „Magierdämmerung“-Trilogie. Wie es nicht anders zu erwarten ist, treibt die Geschichte um den Reporter Jonathan Kentham dem unvermeidlichen Höhepunkt entgegen. Den Leser erwarten eine Menge überraschende Wendungen und phantastische Ereignisse, welche dem Chaos der Wahren Quelle der Magie entspringen.

von Andreas Loos

Das ist er nun, der letzte Band der „Magierdämmerung“. Noch einmal entführt Bernd Perplies den Leser in das viktorianische England des Jahres 1897, wenige Tage bevor Queen Victoria ihr diamantenes Thronjubiläum feiert. Der Reporter Jonathan Kentham und Kendra, die Enkelin von Giles McKellen, sind auf dem Weg zur wahren Quelle der Magie, um diese mit einem Artefakt erneut zu versiegeln. Auch andere Personen befinden sich auf dem Weg zum sagenumwobenen Atlantis. So reist das ungleiche Gespann Jupiter Holms und Randolph Brown, die zu meinen persönlichen Lieblingscharakteren gehören, zusammen mit der geheimnisvollen Magierin Lionida Diodato und ihrem noch viel mysteriöseren Begleiter Scarcatore an Bord des Luftschiffs Gladius Dei der Konfrontation an der Quelle entgegen. Dem Leser werden einige Momente gegönnt, in denen sich schöne Dialoge zwischen dem exzentrischen Holms und dem ewig mürrischen Brown entspinnen. Auch zwischen den beiden starken Persönlichkeiten Jupiter Holms und Lionida Diodato entwickelt sich ein besonderes Verhältnis auf Augenhöhe.

Auf der anderen Seite des großen Teichs tritt derweil der indianische Schamane Wovoka ebenfalls eine Reise nach Atlantis an. Und auch in London formiert sich weiterer Widerstand gegen den Magier Victor Mordred Wellington, der die Position des ersten Lordmagiers des Ordens des Silbernen Kreises an sich gerissen hat. Vielleicht kann ein Machtwort von Queen Victoria den ersten Lordmagier aufhalten, der vorgibt, zum Besten des Empires zu handeln?

Der Usurpator hat sich inzwischen auf der Insel in den Ruinen des vorzeitlichen Atlantis gemütlich eingerichtet und die chaotische Quelle gebändigt. Außerdem hat er ein paar phantastische, magisch betriebene Waffen ersonnen, die seine Macht sichern sollen. Daneben gebietet der manipulative Magier über eine große Anzahl ihm ergebener Verbündeter, allen voran seinen magisch zu einem Golem mutierten Adlatus Duncan White-Hyde. Mit Wellington hat der Autor einen Bösewicht erschaffen, der auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn wandelt, aber auch vielschichtiger ist, als es zum Beispiel noch der Hexenmeister Calvas im ersten Band der Tarean Reihe war. Die Figur erinnert mich mit ihren Motivationen und ihrer Persönlichkeit an die Antagonisten aus Jules Vernes Romanen. Wellington wirkt in meinen Augen wie Robur der Eroberer oder ein bösartiger Kapitän Nemo. Da Vernes Figuren aber nicht über die Gabe der Magie verfügen, kann Wellington noch erstaunlichere Taten vollbringen. Er ist auch erheblich vielschichtiger angelegt als Vernes Antagonisten.

Jonathan Kentham, der Protagonist, mit dem der Leser seinen Ausflug in die Welt der Magie startete, hat sich im Laufe der Trilogie gewaltig gewandelt. War er zunächst fast völlig im Standesdünkel seiner Zeit verwurzelt, und stets auf makelloses Auftreten bemüht, blickt er später differenzierter auf die Gesellschaft. Jonathan hat im Laufe der Ereignisse der „Magierdämmerung“ unfreiwillig fast alle Brücken zu seinem bisherigen Leben abgebrochen und konzentriert sich nun auf die Aufgabe, die Quelle der Magie erneut zu versiegeln. Damit ist er frei von den gesellschaftlichen Zwängen, denen er sich bisher untergeordnet hat. Am Ende des Romans steht er dann vor der Entscheidung, ob er wieder Teil dieser Gesellschaft sein möchte, die er von ihrer bigotten Seite kennen gelernt hat.

Die Geschichte selbst ist einmal mehr feinstes Kopfkino der Extraklasse. Der Leser wird von einem Cliffhanger zum nächsten geführt, und der Autor jongliert gekonnt mit der Vielzahl von Handlungssträngen und einer Menge Persönlichkeiten. Das Buch lässt sich sehr flüssig lesen, was meiner Meinung nach den „Kopfkinoeffekt“ zusätzlich unterstützt. Dabei entwickelt er nicht nur wundersame Begebenheiten, die im Zusammenhang mit der chaotischen Magie stehen, sondern er entwickelt auch Charaktere, die einem in Erinnerung bleiben. Eine Vielzahl von Figuren hat sich über drei Romane angesammelt, die Dramatis Personae zählt am Ende über sechzig Einträge.

Etliche Persönlichkeiten kommen über den Status einer „Fußnote“ in der Geschichte nicht hinaus, aber der Autor war bemüht, jeder Figur eine Relevanz in der Geschichte zu geben. Wie bei allen Werken von Bernd Perplies werden auch hier mehr oder weniger offensichtliche Anleihen aus Film und Fernsehen und Literatur genommen. Ein guter Teil stammt dabei aus „Star Wars“ und „Star Trek“, aber auch einige Elemente aus „Karate Kid“, „Herr der Ringe“, alten Seefahrerlegenden und einer Wagneroper dienten als Inspirationsquellen, um nur einige offensichtliche Anleihen anzuführen. Auch Mark Twain darf indirekt sein Scherflein dazu beitragen. Die Liste dieser cineastischen und literarischen Zitate ist lang.

Zusätzlich bindet der Autor Gestalten der griechischen Mythologie auf seine eigene Weise in die Handlung ein. Damit verbindet er den Mythos von Atlantis und die Legenden des alten Griechenlands mit seiner Vorstellung der chaotischen Magie zu einer Einheit, die eine unheimliche Wechselwirkung erahnen lässt. Besonders gut hat mir gefallen, dass der Autor die Anwendung der Magie durchweg plastisch und plausibel beschrieben hat. Von allen „Magieanwendungen“ und „Magietheorien“, über die ich im Laufe der letzten Jahre lesen durfte, ist die von Perplies entworfene die mit Abstand Beste. Zudem ist der Hintergrund ausgezeichnet recherchiert, und der Autor hat einige Personen aus dem realen Fin de Siecle genommen und in die Geschichte eingebunden, beispielsweise den Indianer Wovoka, dessen reales Ebenbild die zweite Geistertanzbewegung Ende der 1880 in den USA begründete, oder Mitglieder des britischen Königshauses, einen hohen amerikanischen Offizier oder einen genialen Ingenieur, dessen schnelles Schiff eine gewisse Rolle in der Handlung einnimmt. Alle Personen sind sehr geschickt in die Geschichte eingefügt.

Die technologischen Wunderwerke wie das Tauchboot Nautilus, das Luftschiff Gladius Dei und das Kriegsschiff, welches das Cover des vorliegenden Bandes ziert, kommen alle im dritten Band spektakulär zum Einsatz.

Der Showdown an der Quelle ist an Dramatik kaum zu überbieten, und einige faustdicke Überraschungen und erstaunliche Wendungen stehen den Protagonisten bevor. Am Ende steht ein zu erwartendes bittersüßes Happy End, das ein paar Fragen offen läst. Etwas gestört haben mich dabei die Auflösungen einzelner Handlungsstränge. Besonders für die Handlung, die sich um den Franzosen dreht, hätte ich mir einen etwas spektakuläreren Abschluss gewünscht. Auch die Rolle, die der Hauptprotagonist Jonathan Kentham als „Ringträger“ einnimmt, wurde nicht weiter ausgelotet. Vieles wird angeschnitten, aber das ganze Potenzial wurde in einigen Fällen nicht voll ausgeschöpft. Da wäre noch Stoff für einen vierten Band gewesen.

Ähnlich wie bei „Tarean“, der ersten Trilogie aus Bernd Perplies Feder, sind noch längst nicht alle Geschichten bei „Magierdämmerung“ erzählt. Vielleicht kommt der Autor irgendwann auf Jonathan Kentham, Jupiter Holms und die anderen Helden zurück.

Fazit: „In den Abgrund“ ist der fulminante Abschluss der „Magierdämmerung“-Trilogie. Im Verlauf der Buchreihe wurde die Welt der Magier gehörig auf den Kopf gestellt, und nun kommt es zum großen Showdown. Dem Leser wird gewohnt erstklassiges Kopfkino geboten. Ich musste mich mit Gewalt vom Buch lösen, trotzdem habe ich es dann doch in kürzester Zeit verschlungen. „In den Abgrund“ ist sehr gut recherchiert und fügt sich nahtlos in das Fin de Siecle ein. Die Steampunk-Elemente halten sich in Grenzen, dafür spielt die Magie eine überragende Rolle. Wer die Reihe noch nicht kennt, sollte zunächst die ersten beiden Bände lesen. Quereinsteiger erfahren zwar alles zum Verständnis Notwendige im Verlauf der Handlung, bringen sich aber um den Lesegenuss den die beiden ersten Teile bieten.


Magierdämmerung 3 – In den Abgrund
Urban-Fantasy-Roman
Bernd Perplies
Egmont-LYX 2011
ISBN: 978-3-802582660
504 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 12,99

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