Wie von Pegasus Spiele inzwischen gewohnt, kommt auch dieses Buch in edlem Hardcover-Design daher und steht somit optisch den zuletzt erschienen Regel- und Quellenbüchern in keinem Aspekt nach. Bemerkenswert ist auch, dass es sich hier wieder nicht um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt, sondern fast ausschließlich um neues, von der Cthulhu-Redaktion bei Pegasus speziell für diesen Band verfasstes Material. Schon beim ersten Lesen der Kapitel über die Stadt und ihre Bewohner fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt, man kann geradezu das Klappern von Hufen und Kutschenrädern auf dem Kopfsteinpflaster vernehmen, der Schein der Gaslampen dringt durch die Fenster herein und der Trillerpfeifen-Pfiff eines Bobbys erklingt, fast verschluckt vom allgegenwärtigen, schon beinahe körperlich greifbaren Nebel.

Selten habe ich ein Quellenbuch gelesen, dass derart die Atmosphäre einer Epoche und eines Ortes vermittelt wie dieses. Gleich, ob man eher zur Gaslicht-Epoche in den 1890ern tendiert, die sich eigentlich für London als Herz des viktorianischen Imperiums besonders anbietet, oder doch zum klassischen Setting in den 1920ern, hier erhält der Spielleiter von Stadtplänen über Preislisten bis hin zu ausführlichen Beschreibungen fast aller Aspekte des alltäglichen, und auch nicht so alltäglichen, Lebens der Londoner alles, um sich und den Spielern ein wahrlich authentisches Spielvergnügen zu verschaffen. Für den Leser ist es wirklich schwierig herauszufinden, welche Teile des Inhaltes einfach nur hervorragend recherchiert und welche dann doch hinzuerfunden sind. Vermutlich ist der Übergang fließend, und so erscheint dann eben alles umso authentischer.

Doch nun zum Inhalt: Kapitel Eins befasst sich als kurze „Einführung“ mit der Geschichte Londons von der Urzeit bis in die 1920er, stellt dabei kurz die jeweiligen Monarchen, Victoria für die Gaslicht-Epoche und Edward VII. für die 1920er, vor und schließt mit kurzen Bemerkungen über das monetäre und politische System, sowie das Leben als Ausländer in London.

Kapitel Zwei: „Streifzüge durch London“ beschreibt einen ausführlichen Streifzug durch die Metropole und ihre nächste Umgebung, stellt die einzelnen Stadtteile vor und widmet sich bemerkenswerten Gebäuden, wie dem Britischen Museum, Westminster Abbey und dem Tower of London. Erwähnt werden auch die Parks und Plätze Londons, die Themse wird genauer behandelt sowie das unterirdische London, bestehend aus U-Bahnen, Bunkern und Katakomben. Kanalisation und unterirdische Flüsse spielen in jeder Cthulhu-Kampagne eine Rolle und dürfen natürlich nicht vernachlässigt werden, ebenso wie Tollhäuser und Totenäcker sowie bekannte, von Geistern heimgesuchte Orte in London.

Kapitel Drei widmet sich dann dem „Leben in London“. Beginnend mit dem weltbekannten Londoner Wetter, das ein nicht zu unterschätzendes Element einer in London angesiedelten Kampagne sein sollte, wird das alltägliche Lebenswerk und der Tagesablauf von Lords, Ladies, Mittelstand und Proletariat behandelt, der Verkehr auf Londons Straßen und Wasserwegen, Amusement wie Sport, Tanz und Clubbing, der spezielle Way of Life des East Ender Cockney, das mehr als nur ein Dialekt ist, es gibt Beschreibungen von Polizei, Gerichts- und Postwesen und schließt dann mit den spektakulären Kriminalfällen aus Londons jüngerer Geschichte.

Kapitel Vier: „Als Spielercharakter in London“ wendet sich dann speziell an die Spieler, die die Möglichkeit erhalten, typische Londoner Berufe auszuüben, wie den Butler oder Gentleman. In Form eines kleinen Spielerhandbuches zur Informationsbeschaffung werden Tipps gegeben zur Biblitheksnutzung in London, interessanten Zeitschriften, Buchläden oder Büchereien, die für den Mythos-Forscher von Interesse sein könnten.

Im nächsten Kapitel wird es dann wirklich interessant. Spätestens hier sollte ein Spieler aufhören zu lesen, auch wenn es sicher schwerfallen wird, den Band zur Seite zu legen. Kapitel Fünf: „Okkultismus und Mythos in London“ beschreibt die im London der 1890er und 1920er ansässigen, okkulten und sich mit dem Mythos befassenden Gruppierungen. Auch hier ist der Übergang von Fakt zu Fiktion wieder fließend. Neben historisch verbürgten Organisationen wie der Theosophischen Gesellschaft der Madame Blavatsky und dem Ordo Templi Orientis, dessen bekanntestes Mitglied der infame Aleister Crowley sein dürfte, sowie spiritistischen und wissenschaftlichen Organisationen, werden auch in London und Umgebung aktive Mythoskulte beschrieben, über die an dieser Stelle aber nicht näher berichtet werden soll.

In Kapitel Sechs werden schließlich zwei sehr schöne in London spielende Szenarien zur Verfügung gestellt. Im 1888 spielenden, sehr detailliert ausgearbeiteten „Nebel der Wahrheit“ erhält der Fall Jack the Rippers eine ganz neue Bedeutung, im etwas schlankeren „Elwoods Kinder“ beschäftigen sich die Charaktere mit einer ganz London zu verschlingen drohenden Gefahr. Diese beiden Szenarien, auf deren Inhalt hier nicht näher eingegangen werden soll, zeigen schon sehr schön die spielerischen Möglichkeiten, die die besondere Atmosphäre Londons bietet.

In einem ausführlichen Anhang erhält man nun noch eine großzügige Zeitleiste mit Ereignissen in London, Britannien und dem Empire, vor deren Hintergrund der Spielleiter die Kampagne ablaufen lassen kann, sowie umfangreiche Preislisten für Waren und Dienstleistungen und ein Straßenverzeichnis für den in der Einbandinnenseite befindlichen Stadtplan.

Fazit: Der Inhalt dieses Buches schreit geradezu danach, sofort in die Tat umgesetzt zu werden. Es ist randvoll mit Idden für Szenarien. Das London der 1890er und 1920er wird zu geradezu gespenstisch realistischem Leben erweckt. Dies wird erreicht durch eine hervorragende Verschmelzung von Fakt und Fiktion, die ausführliche Beschreibung realer und literarischer Persönlichkeiten und Orte und die hervorragende Aufmachung mit zahllosen aus der Periode stammenden Schwarz-Weiß-Fotografien, Karten und Straßenplänen. Bemerkenswert ist auch, dass alle Informationen in dem Band für beide Epochen gegeben werden, sodass einer Kampagne auf Sherlock Holmes‘ Spuren oder mit Dr. Fu Manchu als Widersacher nichts im Wege stehen sollte. Lediglich das Kapitel über Mythos-Aktivitäten in London hätte ich mir ein wenig umfangreicher gewünscht. Dennoch kann eine bedingungslose Kaufempfehlung ausgesprochen werden.