Legenden von Harkuna 1 – Das Reich des Krieges

Die britische High-Fantasy-Spielbuchreihe „Fabled Lands“ wurde vor gut fünfzehn Jahren zum ersten Mal veröffentlicht. Ursprünglich als Zwölfteiler geplant, schafften es nur die ersten sechs Bände bis in die Regale der Buchläden, von denen wiederum nur die ersten vier Ende der 1990er Jahre unter dem Titel „Sagaland“ ihren Weg nach Deutschland fanden. Der Mantikore-Verlag hat nun begonnen, alle sechs Teile in neuer Übersetzung als „Legenden von Harkuna“ wieder auf den Markt zu bringen.

von Bastian Ludwig

 

 

Das Konzept der „Legenden von Harkuna“

Harkuna ist ein High-Fantasy-Kontinent nach bekanntem Muster, angelehnt an das europäische Mittelalter und angereichert mit Magie, Monstern und einer Fülle geheimnisvoller Orte. Als Angehöriger einer von sechs Charakterklassen begibt man sich hier auf große Abenteuerreise, womit wir auch schon beim Alleinstellungmerkmal der Reihe wären: die offene, auf alle Bände verteilte Spielwelt. Anders als etwa bei den „Einsamer Wolf“-Abenteuern oder auch bei Klassikern wie „Der Hexenmeister vom flammenden Berg“ werden in den einzelnen Büchern keine abgeschlossenen Geschichten erzählt. Stattdessen ist jeder Band in einer anderen Region Harkunas angesiedelt, zwischen denen der Spieler herumreisen kann, indem er zu einem der anderen Bücher greift. So kann es also sein, dass eine Quest in einem Buch erteilt, aber in einem anderen ausgeführt wird, woraufhin man wieder in das erste Buch zurückspringen muss, um sich seine Belohnung abzuholen. Die Idee dahinter ist es, kein Abenteuer mit einer Hauptquest zu erzählen, sondern dem Spieler eine ganze Welt zur Verfügung zu stellen, in der er frei auf Erkundungstour gehen kann.

„Das Reich des Krieges“

Der erste Band konzentriert sich auf die von einem Bürgerkrieg erschütterte Region Sokara. General Marlock hat gegen den einstigen König Corin VII. geputscht, dessen Sohn hat sich mit einer Schar Getreuer in die Berge zurückgezogen, um von hier aus die Rückeroberung seines Thrones voranzutreiben. In diesen unsicheren Zeiten legt der Spieler mit seinem Boot an der Küste von Sokara an und macht sich auf, dieses für ihn neue, unbekannte Land zu erforschen. Ganz wird er sich dabei nicht aus dem Kampf um die Herrschaft heraushalten können.
„Das Reich des Krieges“ hat 680 Abschnitte und ist damit ein echter Wälzer unter den Spielbüchern. Die Quests bewegen sich im üblichen Rollenspielrahmen: Räuchere das Monsternest unter der Stadt aus, klaue das Artefakt aus dem Tempel, finde die verschwundene Person und ähnliches. Die meisten Aufgaben lassen sich dabei in wenigen Schritten erledigen. Man hört ein Gerücht oder bekommt einen konkreten Auftrag, geht zu einem bestimmten Ort, tut, was getan werden muss, und holt sich die Belohnung ab; mehrstufige Missionen gibt es kaum. Alternativ kann man auch einfach auf eigene Faust die Gegend erkunden und stolpert so immer wieder in Kämpfe oder macht Entdeckungen. Will man sich ein wenig Ruhe vom anstrengenden Abenteurerleben gönnen, hält das Spiel auch eine Reihe von alltäglicheren Beschäftigungen für einen parat. So kann man sich beispielsweise als Händler verdingen, indem man auf einem Markt kauft und auf einem anderen verkauft – wenn man möchte sogar mit dem eigenen Schiff –, man kann sich Stadthäuser kaufen, um seine Habe zu deponieren, nach Silber schürfen und einiges andere. Für ein Spielbuch ein wirklich breit gefächertes Angebot.

Der Schwierigkeitsgrad von „Das Reich des Krieges“ ist nicht ohne. Dank der völlig offenen Welt kommt man auch an Aufträge, für die man eigentlich noch nicht stark genug ist, und das Buch knausert mit Hinweisen darauf, wie hart es denn werden wird. Meist hat man bei einer Quest nur ein oder zwei Abschnitte Zeit, bevor man einer Gefahr gegenübersteht. Und dann ist es auch schon zu spät. Fliehen geht nur in bestimmten Missionen; oft entscheidet ein einziger Wurf darüber, ob man entkommen kann oder kämpfen muss oder gleich stirbt beziehungsweise sein ganzes Geld und alle Ausrüstung verliert, was nicht weniger ärgerlich ist, da es relativ lange dauern kann, bis man eine gute Rüstung, eine ordentliche Waffe und ein wenig Bargeld zusammen hat. Bei manchen Aufträgen hat man nur einen einzigen Versuch, sie auszuführen. Scheitert der, war es das, auch wenn man unbeschadet entkommt. Ebenso kann es passieren, dass man zum Beispiel einen Dungeon plündert, später angeheuert wird, etwas Bestimmtes aus diesem Dungeon mitzubringen, ihn dann aber nicht mehr betreten kann. Das kann man unfair finden, auf der anderen Seite bekommt man so aber auch ein Gefühl dafür, dass das eigene Handeln Auswirkungen auf die Spielwelt hat. Außerdem erhöht es den Wiederspielwert des Buches. Gleiches gilt auch für Missionen, die bestimmten Charakterklassen vorbehalten sind.

Besitzt man nur diesen ersten Band der „Legenden von Harkuna“ wird das spannende Konzept der Reihe zum Pferdefuß. Zwar kann man „Das Reich des Krieges“ auch spielen, wenn man keinen der anderen Teile besitzt, dann landet man aber naturgemäß immer wieder an Stellen, an denen man in ein anderes Buch hinüberwechseln müsste, um eine Quest zu beenden, oder auch nur, um zu sehen was „hinter der nächsten Wegbiegung“ liegt. Umdrehen ist hier die einzige, enttäuschende Möglichkeit.

Etwas frustrierend ist es auch, dass dem Spieler dank der fehlenden Hauptquest ein richtiges Finale vorenthalten wird. Das Spielerlebnis endet nicht, erfährt keinen runden Abschluss, der Held besiegt nicht den Oberschurken, ihm wird nicht auf die Schulter geklopft, er bekommt nicht das Mädchen und so weiter. Stattdessen gibt es irgendwann einfach nichts mehr zu tun und zu entdecken und man muss eben aufhören beziehungsweise in einer anderen Region auf die Suche nach neuen Abenteuern gehen, wenn man denn weitere Teile der Reihe besitzt.

Fazit: Mit „Das Reich des Krieges“ bekommt man eine ordentliche Portion klassischen High-Fantasy-Spaß geliefert. Eine für ein Spielbuch beachtliche Vielfalt an Tätigkeiten und Aufträgen sorgt zusammen mit dem knackigen Schwierigkeitsgrad dafür, dass man das Abenteuer auch zwei oder drei Mal angehen kann. So richtig dürfte der Band sein Potenzial aber erst im Zusammenspiel mit den weiteren Teilen der Reihe entfalten.


Legenden von Harkuna 1 – Das Reich des Krieges
Abenteuer-Spielbuch
Dave Morris, Jamie Thomson
Mantikore-Verlag 2011
ISBN: 978-3-939212-07-2
375 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 14,95

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