Legend of the Five Rings – 4. Edition Grundregelwerk

Selten hat mich ein Rollenspiel so in seinen Bann geschlagen wie „Legend of the 5 Rings“. Die Mischung aus quasi-japanischer Kultur und Werten angesiedelt in einer Fantasy-Welt hat eben ein ganz besonderes Feeling. Dieses Feeling ist auch in der vierten Edition nicht verloren gegangen.

von Shawn Neal

 

Schon auf den ersten Blick strahlt das Buch eine zur Thematik des Spiels passende Atmosphäre aus. Das dunkelrote Cover zeigt auf der Frontseite lediglich ein Katana und einige japanische Kanji. Nach einem kurzen Blick weiß man, worum es geht: um ein Rollenspiel um Ehre, Status, Kampf und Glauben, wobei hier Ehre und Status wohl der gewichtigste Teil sind. Auch wenn es natürlich auch um Kämpfe geht, so sind diese doch extrem tödlich und beenden das Leben eines Spielercharakters innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Aber auch jemand, der sich unehrenhaft verhält, kann sehr schnell tot sein (meistens durch die eigene Hand und auf Anordnung seines Daimyo, also seines Herren). Der allgegenwärtige Ehrbegriff ist die Grundlage des Spiels. Sehr viel wurde der japanischen Samuraikultur und Weltanschauung entliehen und in die Fantasy-Welt Rokugan eingepasst, die Japan in vielen Bereichen sehr ähnlich ist (bis hin zu den japanischen Termini des Regelwerks). Eine Lektüre des „Buch der fünf Ringe“ des japanischen Samurai Myamoto Musashi sei allen, die sich gut in den Hintergrund des Spiels hinein finden möchten, deshalb sehr ans Herz gelegt.

Die Präsentation und Qualität des Buches sind über jede Kritik erhaben. Hochwertiges Papier, gute Illustrationen, gute Bindung. Ein so schön illustriertes und gelayoutetes Buch habe ich lange nicht in der Hand gehabt. Leider auch kein so teures. Mit 59,95 Euro ist das Buch für den Umfang extrem teuer geraten, auch wenn es Hardcover und farbig ist. Dafür bekommt man aber ein „Stand-Alone“-Regelwerk. Man kann sofort los spielen, ohne dass zusätzliche Bücher benötigt werden. Alles ist enthalten. Natürlich werden einzelne Bereiche des Buches in optionalen Quellenbüchern noch vertieft und ausgebaut, aber nichts davon wird zum Spielen benötigt.

Das Buch folgt im Aufbau seinem Titel. Neben einer Einleitung gibt es fünf „Bücher“, eines für jeden der Titel gebenden Ringe. „Das Buch des Windes“ enthält auf ca. 60 Seiten alles über das Smaragdreich Rokugan, die Hintergrundwelt für „Legend of the Five Rings“. Man wird umfangreich über unter anderem Götter, Religion, Weltanschauung aber auch Geographie, soziales Klassensystem, Etikette, Verbrechen und die großen sechs Clans informiert. Das folgende „Buch der Erde“ stellt dann die allgemeinen Regelmechanismen kurz vor. Hier werden auf etwas über 20 Seiten die Grundregeln des Spiels dargeboten. Die Charaktererschaffung ist im „Buch des Feuers“ enthalten. Auf über 100 Seiten wird hier alles aufgeführt, was zur Erschaffung eines Charakters eines der großen Clans nötig ist: Fertigkeiten, Vor- und Nachteile, Magie und Zaubersprüche, sowie Ausrüstung.

Auf 60 Seiten widmet sich das „Buch des Wassers“ dann weiterführenden Regeln. Dort werden Regeln zum Spielen von Charakteren des Clans der Spinne, der minderen Clans, der Kaiserlichen Familie, Mönchen und Ronin angeboten, sowie Regeln für Massenschlachten, Ahnen, Kata, Kiho, Maho und Schattenlandverderbnis vorgestellt. Das Regelwerk schließt mit dem „Buch der Leere“ ab. In diesen 115 Seiten des Buches wird dann der Spielleiter angesprochen. Es wird erklärt, wie sich „L5R“ von einem anderen Rollenspiel unterscheidet, welche Kampagnentypen am ehesten auf Rokugan anwendbar sind und wie man als SL selbst Abenteuer für „L5R“ schreibt. Es werden alternative Spielstile angeboten, und natürlich gibt es ein, wenn auch recht kurzes, Bestiarium. Weiterhin werden die einzelnen Provinzen der großen Clans beschrieben und die Besitztümer der minderen Clans vorgestellt (inklusive Angabe des jeweiligen Ortes auf der Karte Rokugans, die sowohl vorne als auch hinten im Buch abgebildet ist). Den Abschluss des Buches bilden Ideen für Beispielabenteuer, ein komplett ausgearbeitetes Abenteuer und Angaben zu Inspirationsquellen für das Spiel. Dann folgen nur noch ein ausführlicher Index und der Charakterbogen.

Mit der 4. Edition wurde das Regelsystem leicht überarbeitet und weiß besser zu gefallen als seine arg fehlerbehafteten Vorgänger. Endlich ist keine feste Spielära mehr vorgegeben und der Hintergrund orientiert sich nicht mehr an der momentan aktuellen Version des Sammelkartenspiels gleichen Namens. Die Regeln wurden vereinfacht und wirken nun besser strukturiert, und die Anzahl der Fehler hält sich in Grenzen. Gerade wer die 3. Edition des Spiels kennt, weiß dass dies nicht immer so war.

Die deutsche Übersetzung des Buches ist im Allgemeinen sehr gut gelungen. Lediglich vereinzelte Fehler lassen sich finden, und ein oder zweimal wurden Begriffe nicht immer gleich übersetzt. Bei zumindest einem Samurai Clan wurde eine kurze Passage in englischer Sprache übersehen und hat es in das deutsche Buch geschafft, aber es ist nichts dabei, das den Spielfluss oder das Verständnis des Buches erschweren würde.

„Legend of the Five Rings“ verwendet nach wie vor das Roll-and-Keep System, bei dem jeder Wurf in der Form XkY beschrieben ist. Hierbei bezeichnet X die Anzahl der Würfel, die geworfen werden, und Y die Anzahl Würfel, die von diesem Wurf behalten werden (und deren Werte addiert werden).

Ein Beispiel: Charakter A versucht einen Baum zu erklettern mit einem Wert von 4k2. Damit würfelt er 4W10 und behält davon 2W10 (am ehesten die beiden höchsten Werte).

Das grundlegende Regelsystem ist damit also sehr einfach, wird aber natürlich durch optionale Regeln und diverse Sonderregeln erschwert. Wie schon weiter oben angesprochen, reicht allein das Grundregelwerk, um das Spiel zu genießen. Zum ersten Mal sind gleich im Grundregelwerk nicht nur die großen Samurai-Clans Rokugans vertreten, sondern auch die minderen Clans. Damit ergibt sich in der 4. Edition eine unglaubliche Fülle von verschiedenen Charakteren, sei es nun Samurai, Mönch oder Shugenja (eine Mischung zwischen Magier und Priester). Regeln für alle Facetten des (Samurai)Lebens sind genauso enthalten, wie Regeln für diverse Arten von Duellen; seien es Schwertduelle, die in einem Schlag entschieden werden, Magieduelle oder Poesieduelle – alles ist vorhanden. Ebenso finden sich ausführliche Abhandlungen zum Thema Ehre und Stand. Natürlich gibt das Buch auch Hinweise und Tipps, wie ein Spielleiter eine Kampagne in Rokugan leiten kann. Diese Hinweise sind hier, aufgrund des extrem vielschichtigen Hintergrundes Rokugans, noch wichtiger als in anderen Rollenspielbüchern und helfen sehr gut, die in Rokugan lebenden Menschen und ihre Weltanschauung besser zu verstehen.

Fazit: „Legend of the Five Rings“ ist kein Rollenspiel für „mal eben zwischendurch“. Dazu ist es zu vielschichtig. Man muss den an Japan angelehnten Hintergrund mögen, und es wäre auch nicht schlecht, sich mit der altjapanischen Feudalkultur auszukennen, da das Spiel extrem darauf basiert und ohne diesen Hintergrund deutlich an Flair verliert. Wer sich aber auf die japanische Kultur und Weltanschauung, gepaart mit dem Fantasy-Hintergrund, einlassen kann und auch kein Problem damit hat, dass ein Charakter durch einen einzigen Schwertstreich sterben kann oder von seinem Herrn zu rituellem Seppuku gezwungen wird, der wird ein gutes und atmosphärisch dichtes Spiel finden, mit dem er viele Jahre lang Freude haben wird. Wer aber eigentlich nur vor einer asiatisch angehauchten Hintergrundwelt ein paar Monster schlachten möchte, der ist hier grundlegend falsch.


Legend of the Five Rings – 4. Edition
Grundregelwerk
Shawn Carman, Robert Hobart, Jim Pinto
Uhrwerk Verlag 2010
ISBN: 978-3942012102
400 Seiten, Hardcover, deutsch
Preis: EUR 59,95

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