Judge Dredd (Traveller)

Mega City One ist eine gewaltige Metropole, in der jeder seiner 400 Millionen Einwohner ein potenzieller Gesetzesbrecher ist. Diese Straßen werden von den „Judges“ patrouilliert, harten Gesetzeshütern der Zukunft, ausgebildet, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und ausgerüstet, es mit den Verbrechern des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts aufzunehmen. Der härteste von allen ist Judge Dredd, denn er ist das Gesetz. Und bei Grud, du Duckmäuser glaubst ihm besser, wenn er es dir sagt! – „Judge Dread“ ist ein neues Setting für das „Traveller“-Rollenspiel, in welchem die Spieler in die Rolle von Judges schlüpfen, um die Stadt gegen eine Unmenge von Feinden zu beschützen.

von Andreas Loos

 

Vor einigen Jahren nahm sich Hollywood der bizarren Welt von Judge Dread an. Sylvester Stallone erhielt für seine Darstellung des Gesetzeshüters die Goldene Himbeere. Bei den Fans des Comics kam der Film damals schlecht an, weil der Hauptdarsteller hier den Helm abnahm und quasi fast den gesamten Film den unbeugsamen Richter ohne Dredds Markenzeichen mimte.

Okay, wenn man bedenkt, dass man mit Helm auch David Prowse, der den Darth Vader darstellte, hätte nehmen können, ist es schon verständlich, dass man den für viel Geld engagierten „Star“ im Ganzen zeigen wollte. Für mich persönlich war der Film der erste Berührungspunkt mit Judge Dredd, und er weckte damals mein Interesse. Der ironische Humor der Comics und die Figur des Dredd fand ich schon immer faszinierend. Auch wenn ich die Abenteuer von Dredd schon seit ein paar Jahren nicht mehr verfolge, interessierte mich das Setting auf Anhieb. Der Film findet übrigens keine Erwähnung im Rollenspiel.

Das Buch ist mit ungefähr 270 Seiten zwischen zwei sehr stabilen Buchdeckeln prall gefüllt mit allen wichtigen Informationen, die man braucht, um eine Kampagne in der Welt von Judge Dredd zu spielen. Das Rollenspiel verwendet die Regeln für das „Traveller“-Rollenspiel von Marc Miller. Alle Seiten sind farbig gestaltet. Wenn man das Buch aufschlägt, bekommt der Leser eine Karte der Erde präsentiert, auf der sich alle Megastädte und andere wichtige Orte finden lassen. Am Ende des Buches bekommt man einen Panoramablick auf Mega City One geboten. Die Illustrationen sind in dem für die Comics typischen Stil gehalten. Die Bebilderung hält sich allerdings in Grenzen. Stattdessen hat man mehr Wert auf informativen Text gelegt, der an etlichen Stellen jedoch redundante Informationen enthält.

Im ersten Kapitel geht es in die Academy of Law, sprich hier wird die Charaktererschaffung behandelt. Die Regeln modifizieren die Grundregeln aus dem „Traveller“-Rollenspiel nicht unerheblich. Ein wesentlicher Unterschied zur klassischen „Traveller“-Kampagne ist die Tatsache, dass die Spieler nur in die Rolle von Judges schlüpfen können. Es gibt allerdings Varianten – neben den klassischen Streetjudges existieren auch Medjudges und Tekjudges und natürlich auch PSI-Judges. Wie schon beim Originalrollenspiel werden Charaktere über Ausbildungsabschnitte (Terms) erstellt. Auch hier gibt es einen Überstehungswurf für jeden Abschnitt. Falls der Charakter es nicht schafft, einen Ausbildungsabschnitt zu bestehen, fliegt er von der Akademie oder stirbt. In jedem Fall muss man von vorne anfangen, denn anders als beim klassischen „Traveller“ gibt es zu der Kariere bei den Richtern keine Alternative. Am Ende steht die Abschlussprüfung, die Full Eagle Day genannt wird. Dann ist die Charaktererschaffung abgeschlossen. Ähnlich wie Captain Jamison im Grundregelwerk wird hier auch ein Beispielcharakter erschaffen – Judge Walker –, um das System bei der Arbeit zu demonstrieren.

Das zweite Kapitel befasst sich mit neuen Fertigkeiten, etwa dem Umgang mit Sprengsätzen oder dem Bau von Befestigungsanlagen und speziellen Techniken. Viele dieser Fertigkeiten, von der Spezialfertigkeit, die sich mit dem Umgang mit der Lawgiver Pistol befasst, einmal abgesehen, findet man auch in diversen anderen „Traveller“-Regelwerken. Die speziellen Techniken, welche die verschiedenen Judges anwenden können, personalisieren den Charakter weiter und werden im Rahmen der Charaktererschaffung gewonnen. Sie sind fast alle auf spezielle Sparten, wie etwa Streetjudges oder PSI-Judges, gemünzt.

Wie sich das Justice Department zu seiner jetzigen Form entwickelt hat und wie sich das Organ für Recht und Ordnung in der größten Stadt der Welt organisiert, erfährt man in Kapitel drei. Von der Position des Chief Judge, zusammen mit einer kurzen Geschichte der Personen, die dieses Amt bekleideten, über den Council of Five bis zu den Senior Judges werden die einzelnen Positionen beschrieben, die sich mit der Regierung der Stadt und der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung befassen. Danach werden die spezialisierten Abteilungen vorgestellt, darunter die PSI-Division mit ihren Unterabteilungen, die Tek-Division, die Streetjudges, die Medjudges und dem Wally Squad, das sich mit Undercovermissionen befasst. Beispiele für Aufgaben, die von den einzelnen Abteilungen ausgeführt werden, machen das Kapitel zu einer Schatztruhe für Spielleiter, die ihre Gruppen auf typische Missionen schicken wollen. Den Abschluss des Kapitels macht eine kleine Auswahl zusätzlicher fortschrittlicher Ausrüstung, die den Richtern zur Verfügung steht. Es wird, wie in allen anderen Kapiteln auch, ständig darauf hingewiesen, dass die Richter große Verantwortung tragen, indem sie das Gesetz repräsentieren, aber nicht über dem Gesetz stehen. Jeder Richter steht – wie anscheinend jeder Bürger der Stadt – quasi mit einem Bein bereits im Gefängnis. Wenn ein Spielleiter das hier präsentierte im Spiel voll umsetzt, wird es meiner Meinung nach sehr schwierig, den durchschnittlichen Spieler auf Dauer aus einer Zelle herauszuhalten.

Dredds Lieblingsphrase “I am the law!“ dient dem vierten Kapitel als Überschrift. Hier gibt es Ratschläge, wie man Gesetzesbrecher festnimmt und aburteilt. Um das etwas einfacher zu gestalten, wird eine Fülle von Straftatbeständen in Gesetzescodes präsentiert. „Code 1.1 Der vorsätzliche Mord an einem Richter während dieser seine Pflicht erfüllt“ wird mit Lebenslänglich bestraft. (Lebenslänglich ist wirklich Lebenslänglich: Der Delinquent verlässt das Gefängnis nur noch nach seinem Ableben, wenn seine Leiche recycelt wird.) Zu meiner Überraschung gibt es keine Todesstrafe. Dafür gibt es Insgesamt 24 verschiedene Hauptcodes und eine Vielzahl von Untercodes, die man bei der Verurteilung eines Gesetzesbrechers anwenden kann. (Für die Juristen, die das hier Lesen: Es gibt keine Regel zur Gesamtstrafenbildung. So kann es leicht passieren, das ein Verurteilter für Dutzende Jahrzehnte hinter Gittern landet, statt zu Lebenslänglich verurteilt zu werden.) Abgerundet wird das Kapitel mit eine Beschreibung von Verstärkungen, die ein Richter anfordern kann, sowie ein paar besondere Verbrechensarten, die nur vor dem Hintergrund von „Judge Dredd“ möglich sind.

Das nächste Kapitel befasst sich mit der Ausrüstung der Judges, die zum einen beschrieben und zum anderen in zwei Schaubildern anhand eines Standard-Judges gezeigt wird. Die Lawgiver Pistol und das Lawmaster Bike bekommen beide ein umfangreiches Schlaglicht. Im Anschluss werden noch „normale“ Ausrüstungsgegenstände abgehandelt, die sich auch in den Händen von Otto-Normal-Gesetzesbrecher finden lassen. Die Palette reicht von nützlichen Gegenständen bis zu total abgefahrenen Gegenständen und verbotenen Substanzen wie zum Beispiel Zucker oder Umpty Candy. Dazu kommen noch besondere Dienstleistungen und Orte, wie zum Beispiel spezielle Raucherräume, in denen Personen ihrem Laster nachgehen können, ohne dafür gleich für etliche Jahre hinter Gittern zu verschwinden. Obligatorisch werden zum Abschluss noch Waffen aufgeführt, die in Mega City One gebräuchlich sind und mit den die Judges jeden Tag konfrontiert werden können.

In einer Stadt, die riesige Menschenmengen beherbergt, sind Verkehrsprobleme vorprogrammiert. Das gilt für die größte Stadt der Welt doppelt und dreifach. Das sechste Kapitel befasst sich daher mit dem Verkehrssystem der Stadt und bietet Spielern und Spielleitern gleichermaßen Fahrzeuge an, die man für Verfolgungsjagden über die überfüllten Megways benutzen kann. Diese Kapitel ist sehr umfangreich gehalten, und die Fahrzeuge haben alle ausgearbeitete Werte. Auf fast 24 Seiten werden eine Menge schöner Designs vorgestellt. Zwar gibt es keine Bilder der Fahrzeuge, aber die Beschreibungen sind schön plastisch gehalten.

Wie die gewaltigste Stadt auf der Erde organisiert ist, unter welchen Bedingungen seine Bewohner leben beziehungsweise wie sie ihre Zeit tot schlagen, da wegen Automatisierung der Industrie und dem allgegenwärtigen Einsatz von Robotern in fast allen Bereichen kein Mensch außer den Judges zu arbeiten braucht, erfährt man im siebten Kapitel. Zum einen erfährt man etwas über die zivile Verwaltung der Stadt und den rein repräsentativen Posten des Bürgermeisters, zum anderen erfährt man etwas vom größten Problem, das fast alle menschlichen Bewohner der Stadt haben: Langeweile. Kein Mensch muss (oder genauer gesagt: kann) arbeiten, alles wird von Maschinen erledigt. Die Arbeitslosenquote ist höher als 95%. Zudem werden die Leute in riesigen Wohnblöcken eingepfercht. Der Spielleiter bekommt hier das Rüstzeug, um ganze Sektoren voll dieser urbanen Alpträume zu entwerfen. Um das Ganze noch lebendiger zu gestalten werden zusätzlich die größten Wahrzeichen der Stadt, typische Einrichtungen (Malls und Smokatoriums) und Organisationen (wie zum Beispiel die Logen der Freiklempner oder Pro-Demokratie-Bewegungen) sowie diverse abgedrehte Sportarten und total abgefahrene „Trends“ vorgestellt, die den Hintergrund auf eine absolut bizarre Ebene bringen. Dem Spieleiter wird von Seiten der Autoren angeraten, seine Kampagne nur auf einen Sektor zu beschränken. Ein Sektor hat genug Einwohner und Probleme, um eine ganze Armee von Richtern in Beschlag zu nehmen. Um die Erschaffung eines Sektors zu vereinfachen wird dem Spielleiter eine „Bauanleitung“ an die Hand gegeben. Ein Blick über den Schutzwall, der die Stadt umgibt, und kleine Einblicke in weitere Orte auf der Erde und darüber hinaus gewährt, schließt das Kapitel ab.

Das achte Kapitel befasst sich mit PSI-Kräften, der Titel „Thought Crimes“ erinnert an George Orwells „1984“. Tatsächlich werden hier aber hauptsächlich neue psionische Fertigkeiten vorgestellt, die das Repertoire aus dem „Traveller“-Grundregelwerk ergänzen. Neben neuen Kräften gibt es auch noch Regeln über die Risiken, die ein PSI-Anwender beim Einsatz riskiert. Damit sind in der Regel geistige Krankheiten und psychische Probleme gemeint. Alles ist schön ausgearbeitet und gestaltet den Einsatz von PSI-Kräften komfortabel. Den Abschluss des Kapitels bilden Ausrüstungsgegenstände, die speziell auf psionische Kräfte zugeschnitten sind oder mit diesen zusammenhängen, wie zum Beispiel einem PSI-Detecor und Drogen, die PSI Kräfte unterdrücken.

Eine der Kernaussagen des „Judge Dredd“-Hintergrundes ist folgende: Da die Menschen keiner Arbeit nachgehen können, gerade weil Roboter ihnen diese abnehmen, haben die Leute einfach zu viel freie Zeit. Was im „Star Trek“-Universum zu einer idealen Gesellschaft führt, ist in der Welt von „Judge Dredd“ eigentlich die Wurzel allen Übels. Mit dem Problem konfrontiert, ihre freie Zeit mit einem Inhalt zu füllen, lassen sich die Leute zu allerlei gefährlichen Dummheiten hinreißen.

Das Beste am Hintergrund von „Judge Dredd“ ist, dass viele der bizarren Ereignisse und Gegner sich wissenschaftlich nicht erklären lassen. Es ist alles möglich, und die Spieler sollten das auch wissen. In den Comics ereignen sich ebenfalls die abstrusesten Dinge, ohne dass eine Erklärung dafür geliefert wird. Um dem „Seltsamkeitsfaktor“ des Settings ausreichend Rechnung tragen zu können, bekommt der Spielleiter im neunten Kapitel alle möglichen Tipps und Hinweise, wie er den Hintergrund noch farbenfroher gestaltet. Ohne diese seltsamen Begebenheiten und den ironischen Unterton wäre der Hintergrund ein rein kafkaesker Albtraum, der von einem autoritären Polizeistaat um seiner selbst Willen am Leben gehalten wird. Um diese deprimierende Realität zu umgehen, gibt es Regeln zur Erschaffung von Aliens, Straftätern und eine Aufzählung von verschiedenen mentalen Krankheiten, wie zum Beispiel dem Dredd-Syndrom, einer Art von Paranoia, die sich nur auf Dredd beziehungsweise Judges bezieht. (Dredd ist hinter mir her, weil ich morgen etwas Illegales tun werde, glaubt mir, ich weiß zwar nicht, was ich verbrechen werde, aber morgen kommt Dredd und holt mich ab! [Hysterisches Lachen]) Oder das berüchtigte Lemming-Syndrom, bei denen hunderte von Bürgern einfach so von ihrem Wohnblock in den Tod springen. Und das sind noch die harmloseren Vertreter von mentalen Störungen, die man hier antrifft.

Die Regeln für die Erschaffung von Gesetzesbrechern können auch gut zur Vorbereitung von Gegnern und Abenteuern dienen. Ein paar typische Aliens, Mutanten und bekannte Kriminelle, wie etwa die berüchtigte Angel Gang oder die untoten Dark Judges aus einer anderen Dimension runden das Kapitel ab.

Roboter sind für die Stadt überlebenswichtig. Tatsächlich könnte Mega City One ohne die überflüssigen Menschen gut auskommen, ohne Roboter hingegen würde die Metropole im Chaos versinken. Neben ein paar Worten zu den Robotern der Stadt, gibt es im zehnten Kapitel noch ein paar harte und schnelle Regeln zur Erschaffung verschiedener Roboter. Ein paar generische Designs erleichtern am Ende des Kapitels den Einstieg in die Materie.

Der Zentralcomputer der Stadt hört auf den Namen Mac, im elften Kapitel wird unter der Überschrift „Macs Database“ eine kurze Zeitlinie für den Hintergrund präsentiert. Im Übrigen widmet sich das Kapitel vor allem der Organisation einer Kampagne und von Abenteuern. Dieser Bereich gibt vor allem unerfahrenen Spielleitern hilfreiche Tipps, aber auch alte Hasen werden hier fündig. Viele der Tipps zielen darauf ab, den Hintergrund und die eigenen Abenteuer stimmig zu gestalten.

Den Abschluss bildet die Beschreibung eines Stadtsektors, Nummer 13 um genau zu sein. Sektor 13 ist wohl nichts für Abergläubische, ansonsten ist der Sektor im Nordosten von Mega City One repräsentativ gehalten. Eine grobe Beschreibung des Sektorhauptquartiers der Judges darf natürlich nicht fehlen. Was mich ein wenig gestört hat, war das Fehlen einer Übersichtskarte. Das wäre meiner Ansicht nach nicht zu viel verlangt gewesen. Als Spieler und auch als Spielleiter finde ich solche Karten sehr hilfreich. Ansonsten bietet Sektor 13 den idealen Einstieg in das Spiel, zumal der Spielleiter ein paar gute Aufhänger für Abenteuer geliefert bekommt. Auch die Beziehungen der Wohnblöcke sind gut beschrieben und bieten weitere Ideen für Einsätze der Spieler.

Fazit: Das „Judge Dredd“-Rollenspiel bietet fast alles, was man braucht, um in der Welt des härtesten Gesetzeshüters aller Zeiten Abenteuer zu bestehen. Alles was zum Spielen noch fehlt, sind die Grundregeln des „Traveller“-Rollenspiels. Diese werden hier derart modifiziert, dass nur noch ein Minimum an Regeln aus dem eigentlichen Grundregelwerk entnommen werden muss. Meiner Einschätzung nach wären das weniger als kompakt geschriebene 30 Seiten. Das ist in meinen Augen natürlich ärgerlich, denn diese Regeln hätte man auch ohne weiteres mit hineinpacken können. An dem detaillierten und umfassend ausgearbeiteten Setting hingegen kann ich nichts aussetzen. Mongoose Publishing hat in der Vergangenheit erheblich schlechteres Material auf den Markt geworfen. Wer schon immer Seite an Seite mit Judge Dredd Gesetzesbrecher jagen wollte, sollte hier unbedingt zugreifen. Aber auch diejenigen, die einmal in einem anderen „Traveller“-Setting als dem des dritten Imperiums spielen wollen, können hier heimisch werden.


Judge Dredd – The Roleplaying Game
Grundregelwerk
Lawrence Whitaker
Mongoose Publishing 2009
ISBN: 978-1-906508-54-8
270 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 49,95

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