Interview mit Thomas Finn

Anlässlich der Besprechung des Romans „Lost Souls“ konnte der Ringbote ein Interview mit Autor Thomas Finn führen. Dieses gewährt Einblicke in die Entstehung des Romans und wartet ebenso mit anderen überaus interessanten Informationen auf.

von Lars Jeske

Ringbote: Ihr gerade erschienener Roman „Lost Souls“ greift die Sage des Rattenfängers von Hameln auf und ist als Horror-Thriller ausgewiesen. Worum geht es genau?

Thomas Finn: Nun, wie der kurze Abriss schon andeutet, greife ich hier die Geschehnisse aus der weltbekannten und nebenbei auch ziemlich düsteren Sage des Rattenfängers von Hameln auf und spinne daraus einen Horror-Thriller, der inmitten des Weserberglandes spielt. Protagonisten sind eine junge Archäologin und ihre Patentochter sowie ein Kammerjäger – diesen Kniff konnte ich mir angesichts der Rattenthematik natürlich nicht verkneifen –, die nach dem unheimlichen Fund unter einer Kirche in zunehmend grausige Geschehnisse verwickelt werden. Geschehnisse, die darauf hindeuten, dass der Sage ein fürchterlicher Schrecken zugrunde liegt, der auch heute seine Finger nach den Lebenden streckt. Handlungsorte sind Hameln, das in der Nähe liegende Coppenbrügge sowie das an Mythen ebenfalls reiche Ith-Gebirge. Kurz: ein Horror-Thriller mitten in Deutschland – und mit sehr vielen Ratten. ?

Ringbote: Wenngleich „Lost Souls“ in der heutigen Zeit spielt, war eindeutig einiges an Recherchearbeit nötig, um authentisch zu wirken und mit echten Fakten aufwarten zu können. Was gab Ihnen den entscheidenden Impuls für diese Geschichte?

TF: Ich würde sagen, gerade weil „Lost Souls“ in der heutigen Zeit und an einem solch prominenten Orten spielt, waren genaueste Recherchen notwendig. Erst das verleiht der Story jene fiktive Authentizität, die den Schrecken glaubwürdig macht. Einer der Gründe, warum ich schon lange mit dieser düsteren Sage liebäugelte, war die unheimliche Eindringlichkeit, die ihr innewohnt. Nicht nur, dass das im Kern eine wirklich böse Rachegeschichte ist, bei der Jugendliche dazu missbraucht werden, sich an deren Eltern zu rächen. Der Sagenkern fußt auch auf einem wirklich traumatischen Geschehen, das ganz konkret auf das Jahr 1284 zurückdatiert wird. Allein das ist absolut einzigartig.

Ringbote: „Lost Souls“ basiert auf keinem rein fiktiven Szenario. Gab es einen besonderen Reiz für diese Geschichte kein frei erfundenes Setting zu wählen, sondern etwas Neues zu erschaffen, was auf einer zumindest in Deutschland überall bekannten Sage basiert?

TF: Tatsächlich zeigte sich bei den Recherchen, dass die Rattenfängersage sogar an sehr reale Geschehnisse erinnert, denen in den zurückliegenden Jahrhunderten viele Historiker, Mythenforscher und Heimatkundler auf den Grund zu kommen trachteten. Ein Deutungsversuch der Sage hat inzwischen etwas höhere Bekanntheit erlangt, ein anderer jedoch nicht – und der verweist auf ein ziemlich grausiges Szenario inmitten des Weserberglands. Diesen greife ich im Roman gezielt auf, spinne ihn weiter und verbinde ihn mit weiteren realen Mythen der Region, deren schiere Existenz mich ehrlich gesagt selbst verblüfft hatten. Das daraus dann tatsächlich eine neue Lesart der Sage erwuchs – die meisten bisherigen Geschichten, die irgendwie um die Sage kreisen, konzentrieren sich ja eher um die mysteriöse Figur des Rattenfängers – passierte dann ganz zwangsläufig. ?

Ringbote: Nach „Weißer Schrecken“ (2010), „Aquarius“ (2014), gewissermaßen auch „Dark Wood“ (2016) sowie dem Urban Fantasy-Roman „Schwarze Tränen“ (2014), in welchem Sie die Motive von Goethes Dr. Faust aufgreifen und die Geschichte weiterspinnen, gibt es jetzt mit dem Rattenfänger von Hameln wieder ein Rückgriff auf „historisches Material“. Ist dies so etwas wie ein Leitthema bei Ihnen?

TF: Ja, irgendwie wohl schon. Ich war schon früh zunehmend genervt davon, wie einfallslos auch in der deutschsprachigen Literatur immer wieder auf die USA als generischer Schauplatz für unheimliche Stories zurückgegriffen wird. Das hat natürlich etwas mit der Weite des Landes zu tun, aber auch mit den großen literarischen Vorbildern. Ganz nebenbei haben da wohl auch einzelne Kollegen die Hoffnung, sich so fit für eine mögliche Entdeckung durch Hollywood zu machen. Nur, dass das für europäische Autoren eh nahezu hoffnungslos ist. Ich jedenfalls empfand das schon immer als überaus berechenbar und langweilig. Mich haben da schon mehr die originär deutschen beziehungsweise europäische Schauplätze und Stoffe interessiert. Streng genommen war das schon mein Leitthema bei meinem 2006 erschienen Zeitreise-Roman „Der Funke des Chronos“, der in meiner Heimatstadt Hamburg spielt, aber auch bei meinen vier High-Fantasy-Romanen um „Die Chroniken der Nebelkriege“, bei denen ich ganz gezielt Deutschland zu einer echten Fantasywelt umgebaut habe. Wenn ich einen neuen Thriller konzipiere, versuche ich zunächst immer Wege zu finden, ihn in Deutschland anzusiedeln. Erst wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht klappt, ziehe ich auch andere Schauplätze in Betracht.

Ringbote: Oft legen sich Autoren schnell fest, oder werden in Schubfächer gesteckt, welchem Genre diese zuzuordnen sind. Dies kann Fluch oder Segen sein. Sie sind allerdings im besten Sinne des Wortes umtriebig. Breitgefächerte Inhalte, als da wären High-Fantasy, Thriller, Horror, Mord und Mysterien, aber ebenso Drehbücher und Theaterstücke. Woher bekommen Sie Ihre Ideen und wie ergibt sich der Grundtenor und das Genre einer Ihrer Geschichten?

TF: Was meine erzählerische Breite anbelangt, hat das vermutlich zwei Gründe. Zum einen natürlich mein eigenes, breit gefächertes Interesse, das gleichermaßen Stoffe wie „Harry Potter“ wie „Der Marsianer“ umfasst. Ich schätze einfach gut gebaute Geschichten – egal, welchem Genre sie entstammen. Nur phantastisch sollten sie nach Möglichkeit sein, auch wenn ich spannende Krimis durchaus ebenfalls zu schätzen weiß. Der zweite Grund ist der, dass man als Autor ganz pragmatisch auch auf das achten muss, was die Verlage wünschen – zumindest, wenn man in diesem Beruf überdauern will. Dazu gehört es, sich immer wieder auch ein Stück weit neu zu erfinden. Diese Abwechslung macht den Schriftstellerberuf einerseits extrem spannend, andererseits kannst du natürlich nur darauf hoffen, dass deine Stammleser auch genug Vertrauen zu dir haben, um dir auf all diesen Wegen zu folgen. Die handwerkliche Breite hingegen hat sich schlicht aus meiner Biographie ergeben. Erst die langen Jahre als Rollenspielautor für Spielsysteme wie „Das schwarze Auge“ oder „H.P. Lovecrafts Cthulhu“, dann – nach meinem Studium – drei Jahren als Lektor und Dramaturg in einer Theater- und Drehbuchagentur. In diese Zeit fallen auch meine Theaterstücke und verfilmten Drehbücher. Hinzu kommt meine seit Anfang der 90iger andauernde Leidenschaft für Live-Rollenspiele, von denen die wenigsten Leser etwas wissen. Sowohl als Veranstalter als auch als Spieler. All das hat sich dann wunderbar gegenseitig befruchtet. Irgendwie kreist also mein ganzes Leben um das Geschichtenerzählen – das jeweilige Genre ist mir da erst einmal völlig egal. Wichtiger ist die Begeisterung, die der Stoff bei mir und dann hoffentlich auch beim Leser weckt. Hinzu kommt, dass ich etwa Jugendbücher ebenso gern und begeistert schreibe, wie Thriller für ein erwachsenes Publikum.

Ringbote: Beinahe alle Ihre Romane sind Einzelbände, haben also weder wiederkehrende Charaktere oder Orte, noch sind sie als Romanserie angelegt. Gibt es dafür einen besonderen Grund? Lieben Sie vielleicht die Herausforderung eines weißen Blattes mehr, als an einem bestehenden Setting mit bekannten Personen weiterzuschreiben?

TF: Nein, hier muss ich leicht korrigieren. Vor allem in der ersten Hälfte meines Schaffens als Romanautor habe ich zunächst drei Bände zur damaligen „Gezeitenwelt“-Saga beigesteuert. Außerdem blicke ich mit den „Chroniken der Nebelkriege“ auf eine All-Age-Fantasy-Tetralogie und mit den „Wächtern von Astaria“ auf eine All-Age-Fantasy-Trilogie zurück. Die Chroniken werden übrigens dieses Jahr komplett neu illustriert bei Feder & Schwert aufgelegt. Und unter meinem offenen Pseudonym F. I. Thomas beende ich für Piper gerade einen High-Fantasy-Zweiteiler. Der erste Teil, „Glühender Zorn“, ist 2017 erschienen, der abschließende Teil, „Flammendes Erbe“, erscheint im Januar 2019. Die übrigen 11 Romane sind hingegen tatsächlich Einzeltitel. Das lag zum einen an der zugrundeliegenden Thematik, zum anderen aber auch daran, dass die Verlage Mehrteilern inzwischen recht skeptisch gegenüberstehen. Was schade ist, denn Mehrteiler bieten noch einmal ganz andere Möglichkeiten der Charakter- und Weltentwicklung. Was meine Mystery- und Horrorthriller betrifft, die werden aber vermutlich auch in Zukunft Einzeltitel bleiben.?

Ringbote: Mittlerweile haben Sie 20 Romane in weit weniger Jahren veröffentlicht. Falls es so etwas gab, können Sie sich noch an den ausschlaggebenden Moment erinnern, der Ihnen den finalen Anstoß gab, überhaupt zu schreiben?

TF: Das ist bis heute der drängende Wunsch, meine Ideen zu teilen und andere Menschen möglichst gut und spannend zu unterhalten. Ich wüsste auch gar nicht, wo ich mit meiner blühenden Phantasie sonst hinsollte.?

Ringbote: Was ist Ihr Antrieb immer wieder zu schreiben und gibt es so etwas wie eine allgemeine Botschaft, die Sie mit Ihren Büchern vermitteln wollen?

TF: Wie schon gesagt: Ich bin begeisterter Unterhaltungsautor. Die Schreiberei ist für mich nicht bloß ein Beruf, sondern eine echte Berufung. Und so lange diese Begeisterung anhält – und das tut sie nun schon fast mein ganzes Leben –, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Das mit den Botschaften hingegen überlasse ich lieber den Literaturkritikern. Sicher gibt es da welche, aber das wechselt von Projekt zu Projekt.?

Ringbote: Würden Sie eine Verfilmung des einen oder anderen Ihrer Romane gutheißen oder sehen Sie die Gefahr, dass dann etwas von der Aussageabsicht oder Aussagekraft verloren geht?

TF: Sicher würde ich das gutheißen. Welcher Autor würde auf eine solche Chance verzichten? Mit dem Medium Film erreichst du ja in der Regel sehr viel mehr Zuschauer, als du es mit einem Buch allein schaffst – und die würden so vielleicht auch auf dein übriges Schaffen aufmerksam. Davon ab würde es mir fernliegen, dem jeweiligen Regisseur oder Drehbuchautor erst einmal mein Misstrauen auszusprechen. Schließlich gibt es auch unglaublich viele Buchverfilmungen, die – im Gegenteil – ganz wunderbar gelungen sind. Aber ich bin auch eher der Das-Glas-Ist-halbvoll- und nicht der Das-Glas-ist-halbleer-Typ. Und künstlerische Attitüden sind schon gar nicht meins.  ?

Ringbote: Vielen Dank für Ihre Antworten. Haben Sie abschließend noch einen Tipp für begeisterte Leser, die selber mit dem Gedanken spielen einen Roman zu schreiben?

TF: Nutzt jede Gelegenheit zum Schreiben – und erlernt das Handwerk! Denn Begeisterung alleine ist eben nicht alles. Ehrlich gesagt bin ich immer wieder etwas erschüttert darüber, dass manche Neueinsteiger nicht einmal über Basiswissen wie etwa Kenntnisse über die Drei-Akt-Struktur verfügen. Wer einen Roman, ein Theaterstück, das Skript zu einem Hörspiel oder gar ein Drehbuch verfassen will, muss sich klarmachen, dass noch nie ein Meister vom Himmel gefallen ist. Ideen haben viele – die Kür liegt stets in der Umsetzung. Erfolgreiches Plotten, der richtige Einsatz dramaturgischer Hilfsmittel sowie der Umgang mit der Sprache selbst, all das entspringt nicht bloß dem jeweiligen Talent des Autors. Ein guter Autor verfügt immer auch über solides Grundlagenwissen. Einem guten Koch muss man ja auch nicht erst erklären, was eine Mehlschwitze ist. Nur, dass man als Autor eben eine Mahlzeit anderer Art zubereitet: eine für den Kopf.