Historischer Atlas von Mittelerde

Neben Barbara Stracheys „Frodos Reisen“ ist das hier rezensierte Buch „Historischer Atlas von Mittelerde“ ein Standardwerk für Tolkien-Begeisterte. Das Werk von Karen Wynn Fonstad ist umfassender angelegt als Stracheys Buch, beispielsweise wird auch Bilbos Abenteuerreise kartographisch wiedergegeben. Es sollte sich als nahezu unverzichtbares Quellenbuch für Mittelerde-Fans und -Spielleiter*innen herausstellen!

von Markus Kolbeck

Auf dem Titelbild ist Edoras in Rohan mit der goldenen Halle Meduseld abgebildet. Dieser Band fasst das Werk von Fantasy-Autor John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) in Landkarten, Schauplätzen, Reiserouten und erläuternden Texten zusammen. In erster Linie basiert der Band auf Tolkiens Büchern „Das Silmarillion“, „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“. Aber auch andere Quellen sind darin aufgegangen, wie „Nachrichten aus Mittelerde“ und das zehnbändige „The History of Middle-Earth“, dessen erste zwei Bände als „Das Buch der Verschollenen Geschichten 1 & 2“ auf Deutsch publiziert wurden. In dieser Version liegt der Atlas in vollständig überarbeiteter Ausgabe vor. Die erste Ausgabe ist 1981 auf Englisch erschienen und 1991 wurde „The Atlas of Middle-Earth. Revised Edition“ im Original veröffentlicht, 1994 dann auf Deutsch. Mir liegt er in sage und schreibe 20. Auflage von 2019 vor. Die Notwendigkeit der zweiten Edition ergibt sich daraus, dass Tolkiens Sohn ab 1983 (also nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe des Atlas) die Reihe „The History of Middle-Earth“ herausgegeben hat. Dadurch konnten die Karten im Atlas auf den neuesten Stand der Forschung gebracht und verfeinert werden. Der Umfang des Hardcover beträgt 202 Seiten plus 13 Seiten Danksagung, Vorwort und Einleitung. Die Autorin ist Professorin für Geographie.

Inhalt

Auch wenn der Begriff „Mittelerde“ im Titel erscheint, bezieht sich der Atlas doch auf die ganze Welt, die Arda genannt wird, von der Erschaffung der Welt durch Eru Ilúvatar und die Valar (Schutzmächte der Welt) bis zum Beginn des Vierten Zeitalters. Mittelerde ist somit ein Teil von Arda. Es werden Geographie und Bevölkerungsbewegungen vor allem der ersten drei Zeitalter wiedergegeben. Er enthält neben „physikalischen Übersichtskarten zahlreiche geologische Karten, dazu politische Karten, Detailkarten wichtiger Regionen, Behausungen, Geländequerschnitte, Karten zu Klima- und Vegetationszonen, zu Sprachen und Bevölkerungsverschiebungen, Truppenbewegungen etc.“

Das Erste Zeitalter schildert im Wesentlichen die Situation westlich der Ered Luin (Blaue Berge) in der Region, die gemeinhin als Beleriand bezeichnet wird und die in einem Kataklysmus untergehen sollte. Das Zweite Zeitalter widmet sich unter anderem dem dritten Haus der Menschen, Edain genannt, die von den Valar die Insel Númenor als Geschenk zur Besiedlung bekommen haben. Dieser Menschenschlag wurde zu den Númenórern, aus denen die Dúnedain hervorgingen, wiederum nach einer Katastrophe. Im Dritten Zeitalter wurde 1601 den Hobbits das Auenland zugesprochen und 1975 wurde aus den verbliebenen Dúnedain die Waldläufer des Nordens.

Die Abenteuerreise von Bilbo Beutlin, Gandalf und den Zwergen von Beutelsend bis zum Erebor, dem Einsamen Berg, wird auch kartographisch beschrieben, allerdings werden Schauplätze, die im „Der Herr der Ringe“ vorkommen, nicht extra geschildert. Namentlich sind das vor allem Bilbos und Frodos Zuhause Beutelsend und Bruchtal, Heimstatt der Elben unter Fürst Elrond in Eriador. Die Chronologie von den Ereignissen in „Der Hobbit“ ist in hohem Maße spekulativ, wie die Autorin anmerkt, da Tolkien wenig Daten in diesem Buch hinterließ. Wesentlich besser sieht es da bei Frodos Queste aus, wie sie in „Der Herr der Ringe“ niedergeschrieben ist. Auch hier gibt es die Reiseroute mit Maßstab und Daten sowie praktisch alle Schauplätze.

Im Anhang gibt es noch weitere geographische Angaben in Zahlen, eine Auflistung der Anmerkungen, eine schöne Auswahlbibliographie und ein sehr nützliches Ortsregister der Karten, worin jede geographische Besonderheit mit Seitenangabe und Koordinaten versehen ist.

Kritik

Fonstad hat mit akribischem Spürsinn Tolkiens Werk auf Hinweise für Landkarten, etc. durchleuchtet. Die Karten in Schwarz, Hellbraun und Grautönen auf weißem Grund sind nicht sonderlich künstlerisch ansprechend, allerdings ausgesprochen akkurat, wenn es die Datenlage zulässt. Die erläuternden Texte geben keine Nacherzählung der Handlungen aus den Büchern her, vielmehr sollte man diese vorher oder parallel lesen. Diese Texte spiegeln wieder, dass sich die Autorin sehr viele Gedanken zur Verortung der Welt Arda und insbesondere Mittelerde gemacht hat. Es werden immer wieder Quellenangaben und Zitate gemacht, was die hervorragende Fundierung des Atlas unterstreicht. Man bekommt auf alle Fälle ein Gefühl für die Ausmaße der Welt und die Spannweite der episch-historischen Ereignisse vermittelt. Das Verständnis für die Tiefe des Werks von Tolkien nimmt zu.

Der Band bietet eine Fülle an Informationen, die man sich beim ersten Durchlesen kaum merken kann. Tolkien-Experten dürften eine helle Freude daran haben, aber auch andere ernsthafte Tolkien-Fans dürften die vielen Details und die angenehm zu lesenden Texte gefallen. Nicht nur die Früh- beziehungsweise Entstehungsgeschichte von Arda ist mythologisch hoch interessant! Als Quellenbuch erster Güte ist es auch für Spielleiter*innen eines Mittelerde-Rollenspiels, wie „Der Eine Ring“ oder „Abenteuer in Mittelerde“, hervorragend geeignet. An der Rechtschreibung lässt sich kaum etwas bemängeln. Lediglich zwei Fehler sind mir aufgefallen: Morgoths Wolf Carcharoth wird ein Mal als Charcharoth wiedergegeben und die Küstenregion Belfalas als Belfals. Bei der Fülle an Termini ist dies aber durchaus entschuldbar. Aufmachung, Umfang und Preis sind auch in Ordnung.

Ein Wort noch zu den Tolkien-Büchern: „Nachrichten aus Mittelerde“ und „Das Buch der Verschollenen Geschichten 1 & 2“ sind wohl vor allem für den*die Mittelerde-Experten*in geeignet. Empfehlenswert für alle Fantasy-Fans sind vielmehr die Fantasy-Bücher „Das Silmarillion“, „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“, die das Hauptwerk von J. R. R. Tolkien darstellen.

Fazit: Die Bandbreite des Weltenwerks von Physik über Geographie nach Politik, Klima, Sprachen, etc. ist enorm. Trotz manchmal unzureichender Quellenlage steht der Atlas auf soliden Füssen. Genauer in der Darstellung geht es wohl nicht. Er stellt das ultimative Quellenbuch für Tolkien-Begeisterte und Mittelerde-Spielleiter*innen dar! Von mir eine klare Empfehlung für diese Personengruppen!

Historischer Atlas von Mittelerde
Sachbuch
Karen Wynn Fonstad
Klett-Cotta (Hobbitpresse) 2019
ISBN: 978-3-608-96043-3
215 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 28,00

bei amazon.de bestellen