H. P. Lovecraft. Das Werk II

Laut Stephen King ist Howard Phillips Lovecraft (HPL) der bedeutendste Horror-Autor des 20. Jahrhunderts! Der vorliegende Band ist der zweite und abschließende Band der Lovecraft-Edition und behandelt eine Auswahl seiner Geschichten, die abseits vom sogenannten „Arkham-Zyklus“ liegen. Dabei werden die Storys nicht nur (meist) farbig reich bebildert, sondern auch ausführlich kommentiert. Die Neuübersetzung stammt aus der Feder zweier ausgewiesener Lovecraft-Kenner, die den speziellen Stil und die besondere Atmosphäre der Erzählungen des Horror-Schriftstellers abbilden.

von Markus Kolbeck

Zu Horror-Autor H. P. Lovecraft, Herausgeber Leslie S. Klinger und den beiden Übersetzern Andreas Fliedner und
Alexander Pechmann habe ich bereits in meiner Rezension zu „H. P. Lovecraft. Das Werk“, dem ersten Band, etwas geschrieben, sodass ich hier gleich fortfahren will. Wer allerdings eine fundierte, umfassende und detaillierte Biographie von Lovecraft lesen will, sei auf „H. P. Lovecraft: Leben und Werk 1 & 2“ von S. T. Joshi verwiesen.

Der Band „H. P. Lovecraft. Das Werk II“ ist erstmals 2021 bei Fischer im Imprint Tor auf Deutsch erschienen (Originaltitel der englischen Ausgabe: „The New Annotated H. P. Lovecraft: Beyond Arkham“ (2019)). Das Hardcover mit Schutzumschlag umfasst 512 Seiten und ist mit fast 200 oft vierfarbigen Abbildungen von Originalillustrationen, Covern, Filmplakaten, Originalschauplätzen, Personen und vielem mehr versehen. Viele Aspekte von Lovecrafts Leben und Werk werden in Anmerkungen zum Text beleuchtet. Hier werden 25 von insgesamt 102 verfassten Geschichten (unter eigenem Namen oder als Kollaborationen) abgedruckt und somit nicht alle, auch nicht im Zusammenspiel mit Band 1, der 22 Geschichten enthält. Die Storys im vorliegenden Band wurden zwischen 1917 und 1935 verfasst und spielen fast alle in den USA.

Inhalt

Nach einer Einführung von Victor LaValle wird im Vorwort von Leslie S. Klinger kurz auf Literatur, Leben und familiären Verhältnisse von Lovecraft eingegangen. Die Erwähnung von Lovecrafts problematischer politischer Einstellung in Form von Rassismus und Antisemitismus wird nicht übersehen; auf diese und andere Charaktereigenschaften und politische Einstellungen wie seine Fremdenfeindlichkeit und mutmaßliche Frauenfeindlichkeit wird ausführlicher im Vorwort des ersten Bandes eingegangen. Es folgt noch eine Information zur Ausgabe des Bandes, dann geht es los mit HPLs Geschichten.

Gleich auffallend bei den Kurzgeschichten und Erzählungen sind die zahlreichen Anmerkungen am Rand der Seiten und auch die Bebilderung. Die Anmerkungen erläutern Fremdwörter (wie aus der Mythologie entlehnte Begriffe), Namen von Personen von Bedeutung (die man aber heute nicht mehr unbedingt kennt), Örtlichkeiten, Bücher, Zeitangaben und viele weitere Besonderheiten. HPLs Geschichten sind atmosphärisch dicht, was der Autor durch die Verwendung  zahlreicher Adjektive heraufbeschwört. Dafür ist er bekannt, so findet es sich auch in dieser Übersetzung.

Unter den Kurzgeschichten und Erzählungen sind unter anderem „Juan Romeros Übergang“, „Die Katzen von Ulthar“, „Der Tempel“, „Die Musik des Erich Zann“, „Unter den Pyramiden“ (auch als „Gefangen bei den Pharonen“ bekannt) und „Pickmans Modell“ zu finden. Einer der drei Kurzromane Lovecrafts, „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“, ist auch hier enthalten.

HPLs Geschichten beinhalten das Übernatürliche, jahrtausendealtes Unheil, Magie, schreckliche familiäre Schicksale, Wahnsinn, Hybris, Ghule, Traumreisen und vieles mehr.

Es gibt – quasi als Bonus – noch vier Anhänge, nämlich eine kurze tabellarische Chronik zu Leben und Werk von H. P. Lovecraft, eine Liste mit den Geschichten des Autors in der Reihenfolge ihres Entstehens, die sogenannte „Red Hook“-Beschwörung und ein längeres Verzeichnis aller in HPLs Geschichten erwähnten Orte. Den Abschluss des Bandes machen eine umfangreiche Bibliographie und eine Danksagung.

Kritik

Die Kritik einleitend will ich nur kurz auf HPLs Werk und seine Qualitäten eingehen. Der Autor probierte unterschiedliche literarische Stile aus, bevor er den endgültigen fand. Er geht dabei sicherlich eigene und als originell zu bewertende Wege! Der mittlerweile berühmte Schriftsteller schrieb facettenreiche, spannende und oftmals gruselige Storys. Die varianten- und ideenreichen Geschichten zeugen von einem großen Maß an Phantasie. Der*die Leser*in wird immer wieder überraschend mit neuen Themen und Aspekten konfrontiert. So hat Lovecraft das verfluchte Buch „Necronomicon“ und wohl auch die Traumlande erfunden, kurz den gesamten „Cthulhu-Mythos“ auf den Weg gebracht. Obwohl die Geschichten zuerst in Pulp-Magazinen erschienen, haben sie doch einen gewissen Anspruch. Raumschiffe und Laserpistolen gibt es nicht darin!

Was mich am meisten an diesem Band stört, ist, dass er mit „Das Werk II“ untertitelt ist, aber keine umfassende Werkausgabe darstellt, auch nicht mit dem ersten Band. Von den – wie bereits erwähnt – insgesamt 102 Geschichten des Horror-Autors werden hier nur 25 wiedergegeben. Man muss dabei aber berücksichtigen, dass mit dem ersten Band, „Das Werk“, weitere 22 Geschichten, die innerhalb des „Arkham-Zyklus“ angesiedelt sind, geboten werden. Trotzdem ist diese Verfahrensweise des Autors beziehungsweise des Verlags für mich enttäuschend! Die reichlich vorhandene Bebilderung, historisch und modern, sowie die Anmerkungen sind hervorragend recherchiert und stellen einen großen Zugewinn für die Lovecraft-Forschung dar! Sie sind aber auch für viele Lovecraft-Liebhaber*innen von Interesse, die mehr über das Werk eines ihrer Lieblingsschriftsteller erfahren wollen.

Zu den Klassikern unter den Geschichten gehören „Die Katzen von Ulthar“, „Die Musik des Erich Zann“, „Die lauernde Furcht“, „Die Ratten in den Mauern“, „Unter dem Pyramiden“, „Pickmans Modell“ und „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“, die wohl die Gunst der Leser*innen erringen werden oder bereits haben. Gefallen hat mir auch „Das Grauen von Red Hook“, da ich dessen Thematik und Handlung kaum noch in Erinnerung hatte und daher auf die ein oder andere Überraschung stieß. Diese Erzählung gilt aber als eine der rassistischsten von Lovecraft und ist daher nur mit Vorbehalt zu lesen! Der Kurzroman „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ hat mir am besten gefallen, im Allgemeinen gilt dann auch, dass die Geschichten, je länger sie sind, umso ausgearbeiteter und gelungener ausfallen.

In „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ wird die Kreaturenbezeichnung „night-gaunts“ (im Original) üblicherweise als „Dunkeldürre“ übersetzt. Der Übersetzer Alexander Pechmann hat aber stattdessen den Begriff „Nachtstelzer“ gewählt. Das kann man so machen, auch Übersetzer haben natürlich ihre künstlerische Freiheit. Jedoch finde ich den alten Begriff „Dunkeldürre“ passender und stimmiger, außerdem ist er meiner Meinung nach auch atmosphärischer. Es gibt in den beiden Bänden noch mehr solcher Beispiele, bei denen die beiden Übersetzer neue Wege gegangen sind, jedoch halten sich die Neuerungen in Grenzen.

Die Neu-Übersetzung betrachte ich ansonsten als gelungen, der Stil und die Atmosphäre der Lovecraft’schen Storys wird gut eingefangen. Der hohe Preis von derzeit 78,- Euro für den Band ist dadurch zu rechtfertigen, dass er als Hardcover und mit sehr vielen, oftmals farbigen Bildern versehen ist. Allerdings sind diese nicht auf Hochglanzpapier abgedruckt, sondern zusammen mit dem Text auf normalem Druckpapier. Eine literaturkritische Analyse lässt der Band vermissen. Bevor man als Interessent*in jedoch den teuren Band (oder gleich beide) erwirbt, sollte man vielleicht erst eine der Geschichten, wie beispielsweise „Cthulhus Ruf“ (gibt es als Taschenbuch bereits für weniger als 5,- Euro), anderswo lesen. Damit kann man die Art des Autors, Grusel in seinen Geschichten  zu transportieren, testen. Obwohl HPL heutzutage populär ist, wird nicht jedem*r seine Geschichten gefallen.

Anmerkung

Wer unbedingt alle Geschichten von H. P. Lovecraft lesen will, sei auf die im Festa-Verlag als Taschenbücher erschienene preiswerte Edition „H. P. Lovecraft – Die Gesamtausgabe im Schuber“ verwiesen.

Fazit: Zum Abschluss meiner Rezension kann ich eigentlich nur schreiben, was ich auch schon zu „Das Werk“ geschrieben habe: Dieser Band ist ein Meilenstein in der Präsentation von HPLs Werk, was die zahlreichen Bilder und die noch zahlreicheren Anmerkungen betrifft. Er ist absolut hervorragend und aufwändig recherchiert und stellt einen großen Beitrag zur Lovecraft-Forschung dar. Davon, dass mit diesem und dem Vorgängerband nur eine Auswahl von Lovecrafts Geschichten veröffentlicht wird, sollte man sich als Fan eigentlich nicht abhalten lassen, auch wenn dies  kritikwürdig ist. Und für Neuleser stellt das Buch den idealen Einstieg in das Werk des berühmten Horror-Autors dar. Ansonsten sei auf die Gesamtausgabe verwiesen. Weil es sich auf einen Ausschnitt (wenn auch großen) aus dem Gesamtwerk beschränkt, muss letztendlich jede*r selbst wissen, ob er hier zugreift.

H. P. Lovecraft. Das Werk II
Horror/Mystery-Roman
Leslie S. Klinger (Hrsg.)
Fischer Tor 2021
ISBN: 978-3-596-70046-2
512 S., Hardcover, deutsch
Preis: 78,00 EUR

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